Erinnerungen an prägende Bildungsmomente.
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Was sind die Momente in der Schulzeit, die einem bleiben? Für mich waren es fünf. Als ich in der 4. Klasse die Deutschschularbeit zurückbekam: Drei minus. Enttäuschend, da ich mich darauf gewissenhaft vorbereitet hatte. Eine andere Kollegin bekam ein "Genügend". Sie hatte türkischen Migrationshintergrund, wie man heute sagen würde. Ich bin mit italienischer Muttersprache aufgewachsen, war daher bilingual von Kindesbeinen an. Nach Erhalt der Schularbeit sagte die Lehrerin zu uns beiden: "Ihr müsst euch doppelt anstrengen, wenn ihr etwas erreichen wollt." Ich dachte mir, das sei generell kein schlechter Tipp, und mit dreifacher Anstrengung sei man dann wohl auf der sicheren Seite.
Der zweite Moment war ein Projekt mit dem Titel "Gewalt in der Sprache". Die Vollendung des Projekts - die Kirsche auf der Torte quasi - durften wir uns durch Interviews mit Politikern und anderen Persönlichkeiten verdienen. Ich wollte natürlich die damalige Bildungsministerin interviewen, Stichwort(folge): "Kinder kriegen statt Party", aus Schülersicht das Spannendste, das man sich vorstellen kann. Niemand sonst wollte dieses Interview führen, ich schon. Mein Fazit aus diesen beiden Erlebnissen und besonders nach halbwegs unfallfreier Vollendung des Interviews: Jetzt weiß ich, dass ich es schaffen kann.
Nummer drei waren die Schulfotos in der 3. Klasse. Die Unzufriedenheit mit meinem Porträtbild war mir anzusehen, worauf meine Englischlehrerin mich tröstete: "Das ist gut geworden."
Der vierte Moment war die Matura in Geschichte. Der Geschichtelehrer, eine seltene Mischung aus sportlichem Talent mit intellektuellem Hintergrund, sagte mir: "Das ist alles nur Show." Damit - mit so kleinen Gesten - kann ein Lehrer, wohldosiert eingesetzt und zum richtigen Zeitpunkt vorgebracht, viel bewirken.
Und die fünfte - und abschließende - für mich persönlich wertvollste Erfahrung, manche würden auch "Learning" sagen: Nach einem "Befriedigend" auf eine Deutschschularbeit machte ich die Probe aufs Exempel und verglich sie mit denen zweier autochthoner Freunde. Einer hatte ein "Sehr gut", der andere ein "Gut". Mit Interesse stellte ich fest, dass beide nicht weniger Fehler in ihrem Heft hatten als ich, jedenfalls nicht weniger gravierende Fehler. Meine Schlussfolgerung: Für dieselbe Leistung bekam ich ein bis zwei Grade schlechtere Noten. Natürlich hätte ich ein Gespräch mit meiner Deutschlehrerin suchen können. Aber erstens hat jeder Mensch seinen Stolz, und zweitens hätte es wahrscheinlich nichts gebracht.
Fortan schrieb ich meine Schularbeiten mit Wut im Bauch. Aber auch mit dem Wissen, dass ich davon profitieren würde, weil ich mir die Leistung erst verdienen musste, wo andere für bessere Resultate nicht mehr leisteten.
All das hat mir später beim Verfassen meiner Dissertation ungemein geholfen, da ich mir mit Sprache und allem Dazugehörigen leichttat. Wenn ich heute promovierter Jurist bin und dieses Privileg nur eine weitere Mitschülerin von damals ihr Eigen nennen darf, so ist das unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass meine Arbeiten mit Schweiß, Blut und Tränen zustande kamen.
Aufgrund der speziell auf mich zugeschnittenen Notengebung (die türkische Kollegin verließ bald daraufhin die Klasse) tat ich mir auch beim Verfassen meines ersten Buches leicht, und die Lektorin stellte erstaunt fest, dass in meinem Werk aus ihrer Sicht nur so wenig zu verbessern war. Ob meine Mitschüler davon profitiert haben, dass ich im Deutschunterricht tendenziell schlechter beurteilt wurde als sie, weiß ich nicht. Mit Blick auf ihre weiteren Bildungslaufbahnen erlaube ich mir aber das Urteil, dass dem nicht so ist.
Ein großer Dank ist meiner Deutschlehrerin geschuldet, deren Unterricht mich inspiriert hat, meiner Leidenschaft, dem Schreiben, treu zu bleiben.