Zum Hauptinhalt springen

Nicht ganz so schlimm wie befürchtet

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Pleite-Rekord kommt erst 2010. | Export-Boom ist endgültig gestoppt. | Arbeitsmarkt und Staatsschulden als Kernprobleme. | Kündigungen, Kurzarbeit und so viele Konkurse wie schon lang nicht: Der konjunkturelle Rückschlag, der Österreichs Wirtschaft im zu Ende gehenden Jahr enorme Probleme bereitete, sorgt in mehrfacher Hinsicht für ein bittere Bilanz.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

So etwa waren gleich 28.400 Arbeitnehmer von den rund 6900 Insolvenzen heimischer Betriebe direkt betroffen, die es heuer erwischt hat. Mehr als 3700 Unternehmen - um fast 15 Prozent mehr als im Vorjahr - sind in die Pleite geschlittert, in 3151 Fällen wurde der Konkursantrag mangels Masse abgewiesen. Die Schulden der Bankrotteure werden auf 4,1 Milliarden Euro geschätzt, zigtausende Gläubiger werden das Geld wohl großteils vergessen müssen.

Zugleich mussten zahlreiche Betriebe auf Grund von Umsatz- und Auftragseinbrüchen auf Kurzarbeit umstellen und/oder mehr oder minder kräftig Personal abbauen. Daher war allen voran Herbert Buchinger, Bundesgeschäftsführer des AMS, Monat für Monat mit der tristen Realität am Arbeitsmarkt konfrontiert: Waren im vierten Quartal 2008 lediglich 168.000 Österreicher ohne Job, so gab es von Jänner bis März 2009 landesweit bereits 196.000 Arbeitslose. Nach einem markanten Anstieg auf 221.800 im dritten Quartal wurde im November mit rund 258.000 Personen ohne Arbeit der bisherige Zenith erreicht - und die Dezemberzahlen werden wohl noch schlimmer aussehen.

Der massive Stellenabbau insbesondere in Industrie und Gewerbe traf vor allem die Männer: Von den zuletzt 32.000 zusätzlichen Arbeitslosen, die heuer ohne Beschäftigung dastehen, stellen sie beinahe zwei Drittel. Die weiblichen Arbeitnehmerinnen profitierten zwar vom saisonal bedingt kräftigen Anstieg der Erwerbstätigenzahl, beispielsweise im Dienstleistungsbereich, bekamen aber wiederum den deutlichen Zuwachs an Teilzeitbeschäftigten zu spüren.

Die sehr schwierige Lage am Arbeitsmarkt wurde schließlich für die 15- bis 24-Jährigen besonders spürbar: In dieser Altersgruppe schnellte die Arbeitslosenquote gleich um 3,2 Prozentpunkte auf 11,3 Prozent empor.

Ausfuhr-Rückgangsetzt viele unter Druck

Unter dem Strich wird die Arbeitslosenrate heuer gemäß EU-Definition 4,8 Prozent ausmachen - also lediglich einen Prozentpunkt mehr als 2008. Österreich wird damit im internationalen Vergleich nach den Niederlanden auf Platz zwei der EU-Mitgliedsstaaten rangieren und letztlich mit einem blauen Auge davonkommen. Laut nationalen Berechnungen hatten heuer allerdings im Schnitt 7,1 Prozent der laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger derzeit 3,36 Millionen erwerbstätigen Österreicher keinen Job, weil in dieser Statistik beispielsweise auch Schulungsteilnehmer einbezogen sind.

So wie KSV1870-Chef Johannes Nejedlik überzeugt ist, dass es 2010 deutlich mehr Insolvenzen als heuer geben wird, weiß auch Buchinger, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt trotz erfreulicher Indizien, dass es wieder langsam bergauf geht, noch nicht wirklich entspannt hat. Ende Oktober etwa gab es in Österreich 245.523 vorgemerkte Arbeitslose, um 21,1 Prozent mehr als ein Jahr davor. Dieser Trend könnte durchaus anhalten, weil viele Unternehmen an den Spätfolgen der konjunkturellen Baisse noch lange leiden werden.

Besonders betroffen sind jene, die stark im Export engagiert sind. 2009 ist nämlich eine langjährige Erfolgsgeschichte endgültig zu Ende gegangen: Die Ausfuhren der heimischen Wirtschaft sackten im Zeitraum Jänner bis September um nicht weniger als 23,5 Prozent auf rund 69 Milliarden Euro ab. Übrigens: Auch die Einfuhren lagen mit 72 Milliarden um etwa 20 Prozent unter dem Vorjahreswert. Vor allem die Industriekonzerne bekamen fast durchwegs Umsatz- und Gewinnrückgänge ab: Die Umsätze in der Industrie etwa brachen im ersten Halbjahr 09 um 14,7 Prozent ein, im Baubereich waren sie um 4,4 Prozent rückläufig.

Der Großhandel, der im ersten Halbjahr nominell um 12 Prozent weniger umsetzte, und die Dienstleistungsbranche, deren Umsätze im genannten Zeitraum um 5,4 Prozent zurückgingen, erlebten ebenfalls turbulente Zeiten.

Die schlechte Buchungslage im Frühjahr wiederum machte Reisebüros sowie Reiseveranstalter nervös, auch die Personalvermittler und Arbeitskräfteüberlasser hatten nichts zu lachen, und in den Bereichen Hotellerie und Gastronomie machte man sich umsatzmäßig ebenfalls Sorgen.

Die Zahlenwerke, die Gabriela Petrovic, kaufmännische Direktorin der Statistik Austria, und ihr Team verbreiteten, machten den Ernst der Lage auch in anderen Bereichen dingfest: So etwa sank das durchschnittliche Einkommen in der Landwirtschaft im Vergleich zu 2008 real um rund 20 Prozent. Es gab starke Preisrückgänge bei Milch und Getreide, der Wert der Getreideproduktion etwa verringerte sich laut ersten Schätzungen um fast 30 Prozent. Die Weinbauern wiederum brachten mit rund 2,3 Millionen Hektolitern eine um mehr als ein Fünftel geringere Erntemenge als im vergangenen Rekordjahr ein.

Die meisten Österreicher reagierten allerdings auf die immer mieser werdende Stimmung ziemlich krisenresistent: Die Sparquote beispielsweise stieg auf ein historisch hohes Niveau. Im Zeitraum von Juli 2008 bis Juni 2009 hatten die heimischen Haushalte 11,7 Prozent ihres verfügbaren Einkommens auf die hohe Kante gelegt. Während sich die Arbeitnehmer laut Statistik Austria über ein nominell um 3,7 Prozent gestiegenes Entgelt freuen durften, sanken die Einkommen der Selbstständigen allerdings um 2,8 Prozent. Gleich um 9,2 Prozent gingen die Vermögenseinkommen zurück, was mit stark verringerten Dividenden bzw. Gewinnentnahmen und den niedrigen Zinssätzen zu tun hatte.

Für manche Ausgaben schien die Zeit trotzdem reif: So etwa wurden von Jänner bis November 300.000 Pkw neu zugelassen - gleich um 7,9 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2008. Nicht nur bei Autokäufen gab es einen Rekord: Von Juli bis September haben nämlich 4,1 Millionen Österreicher rund 6,75 Millionen Urlaubsreisen unternommen - um 10,3 Prozent mehr als im Sommer 2008. Sie sorgten mit 19,88 Millionen Nächtigungen für eine neue Bestmarke. Da die Zahl der Nächtigungen ausländischer Gäste jedoch um 2,6 Prozent rückläufig war - am stärksten haben die Russen, die Schweden und die Briten ausgelassen -, endete die heurige Sommersaison alles in allem mit einem kleinen Minus von 1,1 Prozent. Mit fast 62 Millionen Nächtigungen sah die Tourismusbilanz trotzdem nicht schlecht aus.

Auch Österreichs Einzelhandel durfte nicht klagen: In den ersten neun Monaten dieses Jahres legte er umsatzmäßig gegenüber dem Vorjahr real um ein Prozent zu - im September sogar um 3,2 Prozent. Das gute Ergebnis war vor allem auf die Sparten Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren zurückzuführen. Freilich: An den Konsumenten, die sich im Weihnachtsgeschäft recht spendabel zeigten, ging die Krise nicht spurlos vorbei. Denn obzwar das Kaufkraftvolumen heuer aufgrund der hohen Lohnabschlüsse im Vorjahr, der Steuerreform und der geringen Inflation zugenommen hat, steigen die Konsumausgaben im zu Ende gehenden Jahr laut Studie der RegioPlan Consulting lediglich um 0,5 Prozent. Real bedeutet das Stagnation.

Ein Sanierungsplan muss dringend her

Wenn das Bruttoinlandsprodukt wie heuer gleich um 3,4 Prozent schrumpft, so scheint sich das eben auf alle auszuwirken. Am stärksten jedenfalls auf den Finanzminister, dem 2009 eine beachtliche Stressrestistenz abverlangt wurde. Josef Pröll, der im April sein gruseliges Doppelbudget 2009/2010 als "klare Kampfansage an die Krise" verkauft hatte, musste zum einen sinkende Steuereinnahmen verkraften, aber zum andern kräftig Gas geben. Das Bankenrettungspaket etwa, das die heimischen Kreditinstitute stabilisieren sollte, schlug unmittelbar auf die Staatsverschuldung durch.

Der Bund, der Ende 2008 mit 160 Milliarden Euro in der Kreide stand, schleppt inzwischen mitsamt den Bundesländern, Gemeinden und Sozialversicherungsträgern einen auf mehr als 190 Milliarden angewachsenen Schuldenberg mit sich. Das Budgetdefizit 09 wiederum wird laut Wifo-Prognose 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, womit die Maastricht-Kriterien längst zum Wunschtraum geworden sind. IHS-Chef Bernhard Felderer warnt als Präsident des Staatsschuldenausschusses seit Monaten unermüdlich vor einer ausufernden öffentlichen Verschuldung. Er forderte die Regierung wiederholt auf, endlich ein Sanierungskonzept für Österreich zu erstellen.

Die größten PleitenDas Versandhaus Quelle rangiert mit 88 Millionen Euro Passiva nur an der vierten Position der Pleite-Statistik 09. Für die größten Bruchlandungen sorgten die Marta Unternehmensberatungs GmbH (150 Millionen), die oberösterreichische Interliner-Gruppe (137 Millionen) sowie die Non Ferrum Metallpulver GesmbH & Co KG (100 Millionen).

Zugesperrt: Der Papierriese M-real beschloss im Jänner das Aus für sein Halleiner Tochterwerk. Im Juni ordnete der deutsche Reifenkonzern Continental an, die Reste des ehemaligen Semperit-Werks in Traiskirchen zu schließen. Und im September musste die slowakisch-österreichische Billig airline SkyEurope endgültig aufgeben.

Geplatzte Coups: Die seit April geplante Übernahme von Opel durch Frank Stronachs Magna-Gruppe ist im November letztlich gescheitert.

Megadeals: Die Übernahme der AUA durch die Lufthansa war die spektakulärste Transaktion.

Im März verkaufte die OMV ihr Aktienpaket an der ungarischen MOL um 1,4 Milliarden Euro an den russischen Ölkonzern Surgutneftegaz.