Gegner und Kritiker der EU jubeln quer durch den Kontinent. Nur die FPÖ gibt sich zurückhaltend. Noch.
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Für die Gegner der EU ist mit dem Entscheidung der Briten - oder besser gesagt von Engländern und Waliseren - die Tür zum Paradies, einer Rückkehr zu den guten alten Zeiten nationaler Souveränität trotz Globalisierung, weit aufgestoßen. Den Befürwortern der Europäischen Union scheint der Vergleich mit dem Tor zum Abgrund eher angebracht. Sie fürchten zu Recht, dass andere EU-Staaten gefallen am britischen Weg finden könnten: ein nationales Referendum über die EU-Mitgliedschaft. Am Frust über "Brüssel", dieser Chiffre für alles, was in und mit Europa faktisch oder gefühlt falsch läuft, mangelt es jedenfalls in der Regel nicht.
Schon die Abhaltung des britischen Referendums wurde von den Gegnern der EU als Meilenstein gefeiert. Nach dem historischen Votum der Briten kennt deren Jubel nun keine Grenzen mehr - obwohl Grenzen aller Art in diesen Kreisen ansonsten ziemlich populär sind. Erstmals in der Geschichte der EU entschloss sich ein Mitgliedsstaat, der Union den Rücken zu kehren. Keppeln und Matschkern, Nörgeln und Jammern, Schimpfen und Poltern - all das prägt schon seit Jahren die Grundmelodie jeder Debatte über europäische Themen. Doch vor der ultimativen Konsequenz aller Unzufriedenheit, nämlich die Mitgliedschaft in jenem Klub zu kündigen, mit dessen Menüplan man ständig unzufrieden war, schreckten die meisten zurück. Doch damit ist es jetzt aus und vorbei.
Noch am Freitag feierte Marine Le Pen, die Chefin des radikal rechten Front National, das Votum als einen "Sieg der Freiheit". Und Frau Le Pen sah sich natürlich prompt bestätigt: "Wie ich es seit Jahren fordere, brauchen wir jetzt dasselbe Referendum in Frankreich und in den Ländern der EU." "Frexit", ein Austritt der Grande Nation, einem Gründungsmitglied und - gemeinsam mit Deutschland - Herzstück der Union, steht damit ab sofort ganz oben auf der politischen Agenda der französischen radikalen Rechten. Und für die Niederlande, einem weiteren Gründungsmitglied der einstigen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der als Vorläufer der heutigen Union 1951 das Licht des devastierten Nachkriegseuropas erblickte, ließ es sich Geert Wilders, Chef der rechtspopulistischen Freiheitspartei, nicht nehmen, ein EU-Referendum für sein Land zu fordern.
Brexit? Gute Sache, findet Trump
In Italien, einem weiteren Gründungsmitglied und EU-Kernstaat, übernahm diesen Job Matteo Salvini, der Chef der separatistischen Lega Nord. Salvini bezeichnete die Union als "Tod für das europäische Volk", was doch insofern bemerkenswert ist, als Nationalisten gemeinhin die Existenz eines solchen europäischen Volks wütend bestreiten. Die EU jedenfalls ist für den Lega-Nord-Chef "der Tod für Europa und das Paradies für Bankiers und Finanzleute". Eine Formulierung, die wohl auch nationalistische Linke wie Syriza in Griechenland oder Podemos in Spanien unterschreiben würden.
Weitere werden zweifellos auf diesen Zug aufspringen. Donald Trump etwa absolvierte diesen Sprung bereits. Der umstrittene Kandidat der Republikanischen Partei für die Wahl des US-Präsidenten im November weilte am Freitag zufälligerweise im EU-freundlichen Schottland, wo er über einige Immobilieninvestments und Golfplätze verfügt. Im Votum für den Austritt sieht er eine "große Sache" und den Anfang vom Ende der Union.
Wer nicht in diesen vielstimmigen Chor einstimmt, ist erstaunlicherweise die FPÖ. Die Feststellung von Bundeskanzler Christian Kern, dass es in Österreich "mit Sicherheit" kein solches Referendum geben werde, dürfte eher nicht für diese Zurückhaltung der größten Oppositionspartei verantwortlich sein. Und an einem gut gefüllten Reservoir erprobter Argumente für EU-Skepsis mangelt es den heimischen Rechtspopulisten erst recht nicht. Doch vor der unverhohlenen Forderung nach einem EU-Austritt Österreichs scheut die FPÖ bisher noch zurück. Lediglich Beppo Grillo, der impulsive Satiriker, Chef der italienischen Protestbewegung "5 Sterne" und leidenschaftliche Anhänger der direkten Demokratie, ist ähnlich schüchtern, wenn es um eine Abstimmung über einen EU-Austritt geht.
Warum eigentlich? Schließlich ist Kritik an der EU hierzulande ein weites Feld, das zu beackern sich politisch meistens lohnt.
"Wir wollen nach wie vor lieber die EU von innen reformieren als aus ihr austreten", erklärt der freiheitliche EU-Mandatar Harald Vilimsky auf die Frage der "Wiener Zeitung". Lange will er der Gemeinschaft jedoch nicht mehr Zeit geben: "Wir sehen das als letzte Chance für Reformen." Und wie die nach den Willen der FPÖ ausschauen sollen, davon hat Vilimsky eine klare Vorstellung: Sistierung von Schengen, Aussetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und überhaupt ganz generell eine Rückverlagerung von Kompetenzen von Brüssel zu den Nationalstaaten.
Ein Jahr will die FPÖ der EU noch Zeit geben
Schengen und Arbeitnehmerfreizügigkeit betrachtet das Gros der EU allerdings als Kernelemente der EU, die nicht zur Disposition stehen. Dass die Reformdebatte also in diese Richtung geht, ist so gesehen hochgradig unwahrscheinlich. Und dann?
Dann, so Vilimsky, würde auch die FPÖ zu den Befürwortern eines EU-Referendums in Österreich wechseln. Als "ultima ratio", wie der blaue Mandatar betont. Doch ewig will die FPÖ der angeschlagenen Union sicher nicht mehr Zeit geben: Viel mehr als ein Jahre dürfe es nicht dauern, bis konkrete Veränderungen sichtbar werden, sagt Vilimsky.
Aber noch nicht heute, lieber verschiebt die FPÖ die Entscheidung über ein EU-Referendum in Österreich auf morgen, oder noch besser: übermorgen.
Für die Zurückhaltung der ansonsten nicht für Zurückhaltung bekannten Partei gibt es einige harte Gründe. Da ist zum einen die schlichte Überzeugungskraft der geografischen Lage Österreichs: Mitten in Zentraleuropa und - bis auf die Schweiz und Liechtenstein im äußersten Westen - umgeben von EU-Mitgliedstaaten. Dann unsere Wirtschaftsstruktur - kaum Flaggschiffe, dafür zahllose KMU, die erfolgreich exportieren, und natürlich der Tourismus. Hinzu kommt, dass Österreich schon lange vor dem EU-Beitritt eine De-facto-Währungsunion mit der deutschen D-Mark eingegangen ist, der Währung seines mit Abstand wichtigsten Partnerlandes, die in geänderter Form im Euro weiterlebt.
Aus der EU auszutreten, und damit auch die engen Bande zu Deutschland, Italien und Osteuropa zu lockern, ist eine High-Risk-Strategie, für die es in Österreich keine Mehrheit gibt. Bisher jedenfalls. Aber auch das ist bekeanntlich nicht in Stein gemeißelt. Und falls es so weit kommen sollte, wird die FPÖ bereitstehen. Wenigstens darauf wird Verlass sein.