Zum Hauptinhalt springen

Nicht im Bilde

Von Simon Rosner

Kommentare

Dank des Sportartenhoppings der TV-Stationen sieht der Zuschauer alles - und doch erfährt er fast nichts. Dabei erzählt Olympia so schöne Geschichten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Als Usain Bolt, die übrigen Statisten und 80.000 Zuschauer im Olympiastadion für 9,63 Sekunden die Luft anhielten, ruhten die anderen Sportstätten. Ein Hockeymatch, ein Handballspiel waren noch im Gange, doch das war’s. Die 100 Meter sind eben stets das designierte Highlight.

Doch dieser Bewerb ist eine singuläre Ausnahme bei Olympischen Spielen, bei denen stets an verschiedenen Orten gleichzeitig gespielt, gesportelt und wettgekämpft wird. Die Übersicht zu bewahren ist bei insgesamt 302 Entscheidungen nicht gerade leicht. Die Fernsehstationen tun ihr Möglichstes, sie springen von hier nach dort, auf zehn Minuten Fechten folgt die Leichtathletik, dann Radfahren, dann eine kurze Zusammenfassung, dazwischen ein Interview, wieder Fechten, Leichtathletik und so weiter.

Dass sich TV-Stationen primär auf die jeweiligen nationalen Teilnehmer konzentrieren, SF die Schweizer, der ORF die Österreicher und ARD/ZDF die Deutschen zeigen, ist nachvollziehbar. Allerdings passiert es dann, wie etwa beim Herren-Tennisfinale, dass ein Ereignis von sporthistorischer Dimension - Andy Murray, einem der Besten, war der erste große Titel vergönnt - so gut wie gar nicht im Bild war.

Manche Sportarten, vor allem die Ballsportarten, haben es besonders schwer, sich bei diesem Überangebot zu behaupten, und fast alle Wettbewerbe werden im Fernsehen auf das Wesentliche, die entscheidenden Minuten zusammengestutzt. Beim 100-Meter-Finale bekam der Zuschauer alles geboten: das Vorspiel, den Lauf, die Nachbereitung. Doch das ist die Ausnahme. Deshalb ist Olympia nicht viel mehr als der Schein einer Präsentationsplattform für Sportarten und Athleten. Bei so viel in so kurzer Zeit können bei den Zuschauern nur kleine Fetzen an Erlebnissen zurückbleiben.

Dabei ist ein Wettkampf wie ein spannendes Buch, seine Protagonisten haben ihre Vorgeschichten, ihre Werdegänge, ein Wettkampf hat stets auch einen bestimmten Verlauf, der große Erzählungen schreibt. Wie etwa im Badminton-Endspiel der Männer: die Nummer eins, Lin Dan, gegen die Nummer zwei, Lee Chong Wei. 30 Mal haben sie einander vorher getroffen, alle wichtigen Partien, bei Olympia, der WM, den großen Turnieren, hat der Chinese Lin Dan gewonnen. Diesmal lief es anders, stand Wei unmittelbar vor dem großen Sieg. Doch dann scheiterte er. Wieder. Und er brach in sich zusammen. Um diesen Zusammenbruch deuten zu können und zumindest ein bisschen an seiner lähmenden Enttäuschung Anteil zu nehmen, bedarf es eines Vorwissens. Doch das hat fast niemand, und die TV-Anstalten scheitern auch an der Erzählung der Geschichten dieser Spiele. Beim Sportartenhopping fehlt die Zeit. Und doch sind es diese Geschichten, die den Sport ausmachen, sie bleiben aber so gut wie unentdeckt. Die Art der Übertragung und der Rezeption der Spiele macht eines überdeutlich: Es geht eigentlich nicht um den Sport, es geht um die Leistungen der eigenen Athleten. Statt dem großen Tennisfinale zeigte der ORF unter anderem das Tischtennis-Viertelfinale mit Österreich. Und das ZDF zeigte Fechten mit Deutschland. Nur auf Bolt können sich alle einigen.