Der Fußball kann sich nur aus sich selbst heraus verändern. Dazu bräuchte es aber einen Schulterschluss.
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Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Selten war diese Floskel derart mit Bedeutung gefüllt wie beim Auftaktspiel des Iran bei dieser WM am Montag, als die Perser zwar das Spiel gegen England mit 2:6 verloren, aber mit ihrem Schweigen bei der Hymne, ihren versteinerten Mienen und der damit zum Ausdruck gebrachten Solidarität mit den gegen das Regime protestierenden Menschen in ihrer Heimat weltweit zahlreiche Sympathien gewonnen haben. Doch reicht das?
Mitnichten. Die WM findet trotzdem in Katar statt, einem Land, in dem Minderheiten unterdrückt, Arbeiter ausgebeutet und die Regeln der Scharia angewendet werden. Der Welt-Fußballverband hält es zudem für eine gute Idee, europäischen Mannschaften - wider die eigenen Richtlinien - das Tragen der "One-Love-Schleife" bei Gelb-Androhung zu verbieten. Nun braucht man nicht so zu tun, als ob dies alles eine neue oder gar unerwartete Entwicklung wäre. Der Sport kennt in allen Bereichen zahllose Beispiele, in denen er sich mit Ländern, die Menschenrechte mit Füßen treten, ins Bett gelegt hat; die WM 1978 während der Militärjunta in Argentinien lässt ebenso grüßen wie Olympische Spiele 2014 und Fußball-Weltmeisterschaften 2018 in Russland.
Aus der jüngeren Vergangenheit ist nur ein Fall bekannt, in dem eine sportliche Großveranstaltung aufgrund politischer Bedenken verlegt wurde - und selbst dies unter einem anderen Vorwand: Belarus wurde 2021 die Austragung der Eishockey-WM entzogen. Offiziell geschah dies wegen Sicherheitssorgen, inoffiziell aber war der Druck aus dem Sport selbst heraus zu groß. Für die Fußballer kam ein Boykott Katars indessen nicht in Frage; und man kann es ihnen kaum verdenken. Von den Sportlern selbst zu verlangen, sich eine möglicherweise "Once-in-a-Lifetime"-Chance entgehen zu lassen, wäre vermessen; und die Verbände profitieren finanziell viel zu viel an der Teilnahme an Weltmeisterschaften, als dass sie den offenen Widerstand wählen würden. Angesichts von Rekordeinnahmen heißt es dann halt so schön: "Lieber die Umstände ansprechen und damit auf Veränderung hoffen." Dabei hat die Geschichte gelehrt, dass diese Hoffnung meist von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Ähnlich verhält es sich aber auch mit politischen Sonntagsreden. Nun wollen die EU-Parlamentarier am Donnerstag eine Resolution zur WM herausbringen, in der sie Katar und die Fifa (anzunehmenderweise) scharf verurteilen. Gleichzeitig hatten europäische Politiker kein Problem damit, in den vergangenen Monaten bezüglich Gaslieferungen in Katar anzuklopfen; Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer bezeichnete Katar bei einem solchen Anlass als "ganz wichtigen Player, Gesprächspartner und Brückenbauer".
Dass die geopolitischen Machtverhältnisse so sind, wie sie sind und Abhängigkeiten bestehen, ist ein Problem, für das man dem Fußball keine Schuld geben kann. Dieser könnte sich nur aus sich heraus verändern. Dazu allerdings bräuchte es einen Schulterschluss aller großen Verbände. Doch da wird dann im Zweifel lieber geschwiegen. Nicht immer aber verdient Schweigen tatsächlich Gold.