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"Nicht in ein Notenkasterl stecken"

Von Ina Weber

Politik
Altersübergreifendes Lernen ist das Konzept der Mehrstufenklasse.
© fotolia

Mehrstufenklassen-Vertreter fürchten um ihr Modell - Stadt richtet Appell an den Bund.


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Wien. Mit Musikinstrumenten, selbst gebastelten Plakaten und Zeichnungen zogen rund 2000 Schüler und Lehrer am Freitagvormittag vom Börseplatz zum Ballhausplatz. Lautstark machten sie auf ihre Anliegen aufmerksam. Sie forderten den Erhalt des Modells der Mehrstufenklassen. "Wir befürchten, dass, wenn die Bundesregierung den Sparkurs fährt, die Mehrstufenklassen gefährdet sind", sagt Ingrid Teufel von der Lerngemeinschaft15 zur "Wiener Zeitung". Konkret wurde gegen einen möglichen Personalabbau und gegen die Wiedereinführung von Noten protestiert.

Hintergrund der Sorge ist die neue Bildungsreform, die im vergangenen Jahr beschlossen wurde. Darin enthalten ist die neue Schulautonomie, Bildungsdirektionen und die Modellregion der "Gemeinsamen Schule". Die neue Schulautonomie soll Schulversuche beschränken. Nur noch fünf Prozent der Schulen eines Bundeslandes sollen künftig Schulversuche aufweisen dürfen, heißt es aus dem Ministerium von Bildungsminister Heinz Faßmann. Die Schulen sollen laut Reform in Zukunft verstärkt schulautonome Konzepte und Angebote entwickeln.

Schulversuche sollen nur noch zeitlich begrenzt durchgeführt werden. Dann soll entschieden werden, ob und in welchem Ausmaß diese in das Regelschulwesen überführt werden können. Und weiters heißt es in der Reform: Schulversuche, die derzeit laufen, könnten in einer Übergangsfrist bis längstens 31. August 2025 weitergeführt werden.

Die Mehrstufenklassen, die fast 20 Jahre lang als Schulversuch geführt wurden, wurden im Zuge der Schulrechtsreform im Jahr 2016 in das Regelschulsystem überführt und sind damit auch kein Schulversuch mehr.

Mehr Lehrpersonal

Die Befürchtung, dass mit dem Wegfall des Sonderstatus Schulversuch auch Ressourcen wie zwei statt ein Lehrer pro Klasse fallen würden, war grundlos. Jede Mehrstufenklasse hat mindestens zwei Lehrer in der Klasse. Die Vertreter der derzeit 117 Mehrstufenklassen in Wien sind dennoch besorgt. Das derzeitige Modell laufe für alle - Lehrer, Eltern und Schüler - höchst zufriedenstellend, sagte Pädagogin Teufel. Dafür bräuchte man aber auch in Zukunft genügend Lehrpersonal, das sichergestellt werden müsste.

Im Wiener Modell der Mehrstufenklasse lernen Kinder unterschiedlichen Alters gemeinsam in einem Klassenverband. Vertreter der Mehrstufenklasse sind überzeugt davon, dass diese Art zu lernen für Kinder dieses Alters optimal sei. Die Altersmischung fördere das Miteinander und kleinere Kinder könnten von dem Wissen der größeren profitieren.

Im Normalfall dauert die Mehrstufenklasse von der 1. Klasse Volksschule bis zur 4. Klasse. Es gibt aber auch andere Formen, wie etwa die Lerngemeinschaft im 15. Bezirk oder die Lernwerkstatt Brigittenau, wo Schüler von sechs bis 14 Jahren an einer Schule zusammenbleiben. "Die Trennung der Kinder mit zehn Jahren ist nicht optimal", so Teufel. Überhaupt könne man Kinder "nicht nach Jahreszahlen sortieren" und auch "nicht in ein Notenkasterl stecken", so die Pädagogin.

Was die Noten betrifft, so war es bisher gang und gäbe, dass Lehrer selbst entscheiden konnten, ab welcher Schulstufe sie Noten verteilten oder ob sie auf eine schriftliche Beurteilung zurückgriffen. Mit der Bildungsreform ist das nicht mehr möglich. Ab voraussichtlich Herbst müssen Lehrer entscheiden, ob sie schon ab der 1. Klasse Noten verteilen, oder ob sie dies erst in der 4. Klasse tun wollen. Da die meisten Lehrer jedoch die Verteilung von Noten in der 4. Klasse als viel zu spät ansehen, impliziert dies, dass es wohl keine schriftlichen Beurteilungen mehr geben wird. "Jeder wird wieder Noten geben, obwohl wir wissen, dass Noten eher hinderlich sind", so Teufel.

Mit dem Protestumzug am Vormittag war das Programm der Lehrer und Schüler aber noch nicht zu Ende. Die Aktionswoche anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Wiener Mehrstufenklassen beinhaltete noch eine Tagung am Nachmittag im Stadtschulratsgebäude in der Wipplingerstraße. Mit Diskussionen zum Thema "Mehr Sprachen - mehr Stufen - mehr Klasse, 20 Jahre Sprachprojekte in der MSK", einer Vorstellung der "Stärken-Schatzsuche" oder Infos zu "Soziales Lernen" wurde einmal mehr auf die Vielfalt dieses Lernmodells aufmerksam gemacht.

Zum Abschluss bekräftigten Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky und Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer, dass Wien alles tun werde, um den Weiterbestand des Modells der reformpädagogischen Mehrstufenklassen auch für die Zukunft zu sichern: "Mit dem Modell der Wiener Reformpädagogischen Mehrstufenklasse hat Wien ein erfolgreiches Schulmodell geschaffen, das sich allergrößter Beliebtheit bei Kindern und Eltern erfreut. Dieses muss auch künftig in bewährter Qualität garantiert sein", so Czernohorszky.

Beide Politiker richteten einen Appell an den Bund. Dieser solle die dafür benötigten Lehrerressourcen absichern.