Durch ein neues Gesetz können nicht mehr alle mit Meldezettel in Niederösterreich wählen - ist das Willkür oder Rechtssicherheit?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Exakt 1.386.343 Personen können am kommenden Sonntag in Niederösterreich den nächsten Landtag wählen. Wieder mit dabei sind viele der rund 260.000 Zweitwohnsitzer. Denn so wie im Burgenland sind jene mit ordentlichem Wohnsitz in Niederösterreich wahlberechtigt.
Anders als früher wurden die Gemeinden dieses Mal mit einem neuen Landes-Wählerevidenz-Gesetz damit beauftragt, festzustellen, ob Zweitwohnsitzer tatsächlich einen "ordentlichen Wohnsitz" - und damit das Recht zu wählen haben oder nicht.
Es folgte ein Aufschrei der niederösterreichischen Grünen: Die Regelung sei ein "Palawatsch". Statt Rechtssicherheit habe die ÖVP "die Büchse für Willkür" geöffnet, kritisierte deren Spitzenkandidatin Helga Krismer. Aber wurde tatsächlich jemandem in Niederösterreich willkürlich das Wahlrecht entzogen?
"Sturm im Wasserglas"
Laut Bundesverfassung ist es den Bundesländern "ausdrücklich freigestellt", ob sie nur jenen mit Haupt- oder auch Zweitwohnsitz das Wahlrecht bei Landtags- und Gemeinderatswahlen einräumen, sagt Verfassungsrechtler Heinz Mayer. "Diese Verschiedenbehandlung im Föderalismus ist also eindeutig rechtlich gedeckt."
"Die Debatte ist ein Sturm im Wasserglas", sagt er auch. Denn: "Ein Meldezettel alleine ist rechtlich kein Wohnsitz. Viele niederösterreichischen Gemeinden haben sich da in der Vergangenheit nichts gepfiffen." Eigentlich hätte Niederösterreich schon früher feststellen müssen, ob sich hinter einer Anmeldung ein verfestigter Aufenthalt verbirgt. Eine Klarstellung per Gesetz sei also sinnvoll.
Konkret heißt es im Gesetz: "Der ordentliche Wohnsitz einer Person ist an jenem Ort begründet, welchen sie zu einem Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen, beruflichen oder gesellschaftlichen Betätigung zu gestalten die Absicht hatte." Nicht dazu zählt etwa, wenn der Aufenthalt "zu Urlaubszwecken" oder "bloß der Erholung oder Wiederherstellung der Gesundheit dient".
Im Erlass zum Gesetz, der an die Bürgermeister übermittelt wurde, ist erläutert, dass mit wirtschaftlicher Betätigung zum Beispiel Haus- und Wohnungseigentum oder eine Mietwohnung laufend genutzt wird. Ein gesellschaftlicher Bezug können etwa Kinder, die die Schule in der Gemeinde besuchen, oder eine Vereinsmitgliedschaft sein.
Tatsächlich haben zwar alle Bürgermeister Wählerevidenzbögen verschickt. Es gibt nun um 18.111 weniger Wahlberechtigte als bei der letzten Wahl. Ob es sich dabei nur um Zweitwohnsitzer handelt, kann man im Amt der Niederösterreichischen Landesregierung aber nicht sagen: Sie werden nicht extra gezählt, die Anzahl der Wahlberechtigten verändert sich auch durch Zuzug und Abwanderung, Erstwähler und Verstorbene.
Unterschiedliche Handhabe
Klar ist aber, die Bürgermeister gingen mit dem Ergebnis der Bögen unterschiedlich um: In ÖVP-Bürgermeister Martin Schusters Gemeinde Perchtoldsdorf waren es zum Beispiel rund 2800 Zweitwohnsitzer bei insgesamt rund 18.000 Wahlberechtigten, die er mehrmals - "auch mit eingeschriebenem Brief" - kontaktiert hat. Der Großteil habe den ordentlichen Wohnsitz nachgewiesen. Rund 900 bis 1000 fielen aus dem Wählerverzeichnis, weil sie "zum Beispiel gesagt haben, ein wunderbarer Zeitpunkt mich abzumelden", oder aber auch, weil sie nicht auf die Schreiben der Gemeinde reagiert haben.
Genau da liegt der Unterschied. Auch Karin Gepperth, Stronsdorfer Bürgermeisterin, ebenfalls ÖVP, kontaktierte die 304 Nebenwohnsitzer der insgesamt 1481 Wahlberechtigten. Auch hier reagierten nicht alle, aber in Stronsdorf wurden nur die fünf, die nicht in der Gemeinde wählen wollten, aus dem Register gestrichen, nicht aber alle Nichtmeldungen: "Ich will ja nicht Gott spielen, der Erlass war schon sehr schwammig formuliert", sagt Gepperth. Sie hätte sich Richtwerte, etwa ab wie vielen Tagen jemand einen "ordentlichen Wohnsitz" hat, gewünscht: "Man will ja keine ungerechten Entscheidungen treffen."
Krismer schließt daraus: "Eine unsaubere Legistik, die weiterhin Tricksereien erlaubt." Ihr Vorschlag: ein quantitativer Kreuzerltest mit Leitfaden zur Auswertung für Bürgermeister. Auch SPÖ NÖ-Spitzenkandidat Franz Schnabl würde die aktuell "zweitbeste Lösung" verbessern und etwa Mehrfachmeldungen mit einer Verknüpfung mit dem zentralen Melderegister ausschließen wollen. VPNÖ-Klubdirektor Leopold Steinmayer sieht allerdings "die zwingende Notwendigkeit, das Gesetz zu ändern, nicht. Schreiben wir wenig vor, heißt es, zu viel Spielraum. Schreibt man alles genau fest, heißt es Überregulierung. Wir sind da immer in einer Zwickmühle."
Beschwerden wegen der Wählerregister gab es laut Auskunft des Landesverwaltungsgerichts übrigens nur eine einzige, und die auch nicht wegen eines Zweit-, sondern vermeintlichen Hauptwohnsitzers, der nun nicht mehr wählen darf. Bei den niederösterreichischen Gemeinderatswahlen 2015 waren es dagegen mehr als 430 Beschwerden.