Sich als Österreicherin in der britischen Medienszene durchzusetzen ist schwer, aber nicht unmöglich. | Ein Erfahrungsbericht über zwei sehr | unterschiedliche Praktika in London und Brighton.
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"Also, da drüben, da machen die jetzt ein Foto von Ihnen, dann drücken Sie beim Lift auf Nummer 5 und dann wird eine Stimme Ihnen sagen, in welchen Aufzug Sie einsteigen müssen. Und dann gehen sie links und dann rechts und dann . . ."
Ich höre dem alten Mann in der Portiersloge kaum zu. Er hält diese Rede heute schon zum sechsten Mal. Hinter mir stehen weitere dreißig blasse Frauen und Männer Anfang zwanzig. Es ist Dienstag. Bei der "Sunday Times" in London bedeutet das, dass eine Ladung neuer Praktikanten ankommt. Alle müssen durch den Sicherheitscheck und bekommen einen Ausweis. Alle sehen aus, als müssten sie sich vor Angst gleich übergeben. Über unseren Köpfen prangen unter einem künstlichen Glashimmel die Logos der Murdochschen Medienunternehmen in Großbritannien: The Sun, The Times, The Sunday Times.
Mühen des Anfangs
Was mache ich Idiot hier, denke ich. Es hätte so viele Wege gegeben, die einfacher gewesen wären als dieser. Ich hätte in Wien bleiben können und mich bei einer österreichischen Zeitung bewerben. Gut, da gibt es nicht so viele Stellen und nicht sehr viel Geld. Ich hätte zu einer britischen Lokalzeitung gehen können, da hat man mehr Kontakt mit den Lesern und schreibt langweilige Geschichten über regionale Wohltätigkeitsorganisationen. Aber wenigstens schreibt man da.
Hier, das weiß ich jetzt schon, werde ich während meines gesamten Praktikums kein Wort schreiben dürfen, das gedruckt wird. Mehr als 800.000 Menschen lesen täglich das rechtsmittige Qualitätsblatt. Da muss sichergestellt sein, dass die Redakteure wissen, was sie tun. Und ich? Ich bin nur eine Studentin. Trotzdem ist mir ziemlich schlecht, als ich in den sprechenden Aufzug steige. Es ist die Angst, sich zu blamieren, etwas nicht zu wissen, das jeder weiß, und sich damit zukünftige Karrierechancen bei einer der wichtigsten Zeitungen des Landes zu verbauen. Was, wenn mich jemand fragt, wo der Oman liegt und ich auf der Karte stattdessen auf den Jemen zeige? Was, wenn mir einer der zahllosen britischen Minister nicht einfällt, die ich in der Nacht zuvor noch schnell auswendig gelernt habe?
Natürlich nehme ich mich selbst viel zu wichtig. Für die Frau, die mich am Lift erwartet, bin ich ein Geist, ein Gesicht unter hunderten, die sich wöchentlich abwechseln. Sie ist jünger als ich und hat tiefe Ringe unter den Augen. Ich stelle mich vor und frage sie nach ihrem Namen, aber sie leiert nur eine kurze Beschreibung des Stockwerks herunter. Kaffeemaschine dort, Toiletten den Gang hinunter, da hinten sitzt der Chefredakteur, aber den würden Praktikanten nicht zu Gesicht bekommen. Alles an ihr schreit: Ich bin zwar niemand, aber du? Du bist noch niemander.
Tote Idole
Am Foreign Desk bekomme ich den Sessel gleich neben den Bildern der toten Auslandskorrespondenten. In der Mitte hängt ein großes Porträt von Marie Colvin, der Kriegsjournalistin mit der schwarzen Augenklappe, die 2012 bei einem Raketenangriff in Homs starb, weil sie nochmals zurück lief, um ihre Schuhe zu holen. Jeden Tag in dieser Woche würde ich morgens an Marie Colvins Schuhe denken. Weil ich Journalistinnen wie sie und Hala Jaber und Christina Lamb schätze, bin ich hier. Seit ich als Journalistin arbeite, habe ich viele Auslandskorrespondenten getroffen. Nur einmal wollte ich die andere Seite des Systems sehen und herausfinden, ob es mein Karriereziel ist, Foreign Desk Editor einer wichtigen Zeitung zu werden.
Kurz, nachdem ich ankomme, ruft der Leiter des internationalen Ressorts zum morgendlichen Meeting. Bring einen Stift, sagt jemand zu mir. Ja, denke ich. Eh! Man gibt mir eine Liste aller Korrespondenten, die für die "Sunday Times" arbeiten. Wenn die hier anrufen, frag, was sie wollen, frag dann den Chef, ob er mit ihnen sprechen will und stell sie durch, sagt das Mädchen und sieht mich herablassend an. Ich verstehe nicht, was sie jetzt schon an mir aufregen könnte. Sie erklärt mir die Telefonfunktionen und spricht dabei sehr langsam und deutlich und sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an. Verstanden?
Ja, sicher. Auf ein paar Knöpfe drücken ist doch nicht schwer, denke ich verwirrt und wünschte, dass ich nur für einen Moment die Ehrfurcht vor dem Ort abschütteln könnte und mich darauf konzentrieren, was der Ressortleiter sagt.
Ein Redakteur zählt gerade alle international wichtigen Persönlichkeiten auf, die diese Woche in der Gefahr schweben, zu sterben. Michael Schuhmacher, der im Koma liegt, Ariel Sharon, der schon seit einigen Monaten auf der Todesliste steht und die ehemalige First Lady der USA, Barbara Bush, die wegen Atembeschwerden im Spital behandelt werden musste. "Es wäre unpraktisch, wenn einer von denen am Samstag stirbt", fügt der Redaktionsleiter hinzu. Da geht die Zeitung in Druck.
Konkurrenzkämpfe
Ich habe Glück. Es geht diese Woche um Länder, über die ich viel weiß und in denen ich schon war. Ich kenne die Politiker mit Namen und weiß, wo die wichtigsten Städte liegen. Das hilft, als ich einen Artikel korrigieren soll, in dem der Name der wichtigsten Rebellenhochburg im Südsudan falsch geschrieben ist. Es scheint die Autorin des Textes doch mehr zu ärgern als zu erleichtern, dass ich den Fehler gefunden habe.
Überhaupt scheint sie sich in meiner Gegenwart unwohl zu fühlen. Sie lässt mich Pressemappen heften und alphabetisch ordnen und wirft sie nachher wieder durcheinander. Egal, ich hefte und starre dabei auf die vielen Uhren an der Wand. Los Angeles, Washington, London, Kabul und Peking steht auf kleinen goldenen Tafeln unter den Zifferblättern. In Kabul könnte ich jetzt schon heimgehen, denke ich gequält.
Die nächsten Tage sind furchtbar langweilig. Niemand lässt mich helfen oder reagiert auf meine verzweifelten Smalltalkversuche. Meine Vorgesetzte erwartet so wenig von mir, dass es geradezu beleidigend ist. Ob ich wisse, was eine Nachrichtenagentur ist, fragt sie. Was für Praktikanten haben die hier bitte normalerweise? Bereits am zweiten Tag will ich schon nicht mehr hingehen.
Doch das ist keine Option. Bei einem Kurzpraktikum "krank" zu werden, ist einfach nicht drinnen. Außerdem bin ich eigentlich nicht bereit, mich fertigmachen zu lassen. Also erscheine ich auch am nächsten Tag wieder lächelnd. Ihr kriegt mich nicht klein, denke ich.
Meine Freundin Sharon
Dann kommt plötzlich alles anders. Am letzten Tag meines Praktikums tippe ich ein elendslanges Interview mit einem Minister ab, der nuschelt und Namen und Orte falsch ausspricht. Natürlich vertausche ich bei jedem zweiten Wort Y und Z, weil ich auf einer deutschen Tastatur tippen gelernt habe und das hier eine britische ist. Ich bin genervt von der Sinnlosigkeit meines eigenen Daseins.
"He is gone", stöhnt plötzlich jemand aus dem Glaskobel hinter mir. Ariel Sharon ist tot, meldet die Nachrichtenagentur Associated Press. Es dauert kaum zehn Sekunden, dann läutet das erste Telefon, kurz danach das zweite und das dritte. Korrespondenten aus der Region und welche, die früher einmal dort postiert waren, rufen an. Der einzige, der nicht zu erreichen ist, ist jener, der Sharon zuletzt interviewt hat. "Ich hab heute frei", sagt der Mann, der irgendwo in Asien in einer Bar sitzt, als ich ihn endlich erreiche. "Ich beeile mich", verspricht er. Im Newsroom schreien mittlerweile alle durcheinander. "Hey, Praktikantin! Kannst du mal diese Liste mit Fakten doppelchecken?"
Ein aufgeregter Redakteur gibt mir ein Blatt Papier, auf dem ganz oben steht: "Ariel Sharons Mutter schlief Zeit ihres Lebens mit einem Gewehr unter dem Bett." Was sonst, denke ich. Mit Unterstützung von Korrespondenten aus vier Ländern entsteht der Artikel über Ariel Sharons Leben. Die meisten anderen Geschichten, die für diese Ausgabe geplant waren, fliegen raus. Je aufgeregter alle um mich herum werden, desto ruhiger werde ich. Mit Stress kann ich besser umgehen als mit Langeweile.
Gegen fünf Uhr nachmittags ruft ein Freund an, der mich von der Arbeit abholen sollte. "Sorry, I’ll be late. Sharon just died", sage ich und lege auf. "Oh my God, are you alright?" simst er mir Sekunden später. Er denkt, ich hätte eine Freundin oder Tante, die mit Vornamen Sharon heißt. Aber ich habe nicht viel Zeit darüber nachzudenken. "Bekommen jüdische Kinder zur Bar Mitzvah ein Schwert?", schreit der Ressortleiter in meine Richtung. Natürlich nicht, denke ich. Recherchiere aber zur Sicherheit nach.
Stunden später geht die Zeitung in Druck. Der Lärm im Newsroom legt sich und Redakteure packen ihre Sachen. Es ist, als wäre nichts passiert. Es ist mein letzter Tag bei der "Sunday Times". Ich schaue hoch zu den Uhren. In Kabul ist es jetzt kurz vor Mitternacht. Als ich meine Tasche vom Tisch nehme, liegt dort bereits die Information für die nächste Praktikantin.
Mir bleibt keine Verschnaufpause. Bereits kurze Zeit später beginne ich mein nächstes Praktikum oder "work experience", wie sie es hier nennen. Diesmal bei einer Lokalzeitung in Brighton. Als ich mich beim Chefredakteur melde, weist er mir den Platz neben den Gerichtsreportern zu. Über mir klafft ein ziemlich großes Loch im Dach, über das jemand Plastikfolie gespannt hat. Allerdings war er dabei nicht sehr sorgfältig, denn jedes Mal wenn es zu regnen beginnt, tropft es auf meine Tischplatte.
Die Gerichtsreporterin neben mir trägt ein langes Kleid im Go-thic-Style und nennt einen der Angeklagten ständig "my rapy murderer" und den Polizeichef "honey". Am Telefon ist der Präsident des lokalen Motorradklubs High- down MC. Seit einigen Minuten versuche ich, "Hobbit" zu erklären, dass er für den Artikel über die Benefizveranstaltung des Klubs seinen richtigen Namen nennen muss. Seit beinahe zehn Stunden sitze ich auf diesem Stuhl.
Schlaflos in Brighton
In den letzten vier Tagen habe ich kaum mehr als zwanzig Stunden geschlafen. Das Zimmer, in dem ich für die Zeit des Praktikums untergekommen bin, teile ich mit vier Frauen Mitte 60, die soeben aus Goa zurückgekehrt sind, auf der Feuerstiege "antikanzerogene Kräuter" rauchen und sich nachts darüber streiten, wer das Bett neben dem Klo bekommen soll. Statt ihr Nachttischlicht einzuschalten, verwenden sie flutlichthelle Taschenlampen, ironischerweise, um mich nicht zu wecken. Direkt unter unserem Fenster ist der Ausgang eines Nachtklubs. Manchmal ist der Bass so laut, dass das metallene Gestell meines Bettes vibriert.
Der Schlafmangel und die Nachmittagssonne, die durch das Loch im Dach fällt, machen mich so schläfrig, dass ich nicht merke, dass der Wirtschaftsressortleiter mit mir spricht. Er rüttelt mich sanft an der Schulter. "Dein Artikel ist ausgezeichnet", sagt er, und ich bekomme eine Doppelseite in der nächsten Ausgabe. Matt grinse ich ihn an. Als ich mich abends in den Sitz des Eilzuges zurück nach London fallen lasse, schlafe ich sofort ein.
In einer Reflexionsstunde an der Uni muss ich meinem Lehrer von all dem erzählen und er lächelt anerkennend. Sein Charakter wurde in der heißesten Schmiede des Landes geformt, der Redaktion der "Daily Mail". Jeder in England kennt die Schauergeschichten vom rauen Ton, der dort herrscht. Er nimmt meine Artikel der letzten Wochen entgegen und sagt: "Um dich muss man sich also keine Sorgen machen."
Teresa Reiter lebt in Wien und arbeitet als freie Journalistin und Buchhändlerin.