Die Energiewende sollten externe Wissenschafter auf Plausibilität und Machbarkeit evaluieren. Es braucht eine solide Basis, um in Wien 2040 die klimaneutrale Stadt zu erreichen.
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Die meisten Wienerinnen und Wiener können sich ihre Heizung nicht aussuchen und müssen die Abhängigkeit von Erdgas teuer bezahlen. Öl- oder Gasheizungen sind vor einem Jahrzehnt im Land Salzburg im Neubau quasi ausgestorben, Wien feierte noch 2019 einen gasversorgten Anteil von "nur" noch 20 Prozent im geförderten Wohnbau als "europaweiten Meilenstein".
Die Energieplanung in Salzburg setzte die EU-Richtlinie 2010/31/EU mit Energie aus erneuerbaren Quellen in neuen Gebäuden fristgerecht um, Verschleppungen anderer Bundesländer wie Wien erhöhten - äußerst kurzsichtig - den jetzigen Dekarbonisierungsbedarf: Annähernd die Hälfte der Wiener Haushalte ist gasversorgt, die zweite knappe Hälfte hängt an der Fernwärme. Diese verkauft die Wien Energie via Greenwashing als "grüne Wärme", sie wird aber zu mehr als 80 Prozent fossil erzeugt und ist - mit den Leitungsverlusten - kaum weniger klimaschädlich als Erdgas. Erneuerbare Energie versorgt heute nur wenige Prozent der Haushalte. Die selbsternannte "Klimamusterstadt" setzte bis vor kurzem aufs falsche Pferd und ist erdrückend abhängig von Erdgas.
Für das 1,5-Grad-Erwärmungslimit von Paris wollen der Bund und die Stadt Wien bis 2040 klimaneutral werden. In spätestens 18 Jahren, so der Wiener Klimafahrplan 2022, sollen unter anderem "Fernwärme beziehungsweise erneuerbare Energie" - gleichrangig genannt - Öl- und Gasheizungen ersetzen. In den vergangenen 20 Jahren wurde mit den mäßig erfolgreichen Klimaschutzprogrammen (KliP) 1999 und 2009 nur gut ein Zehntel der Fernwärme dekarbonisiert. Mit dem Klimafahrplan ist einerseits der Rückstand der vergangenen 20 Jahre aufzuholen, anderseits sollen gegenüber den KliPs ungleich spekulativere Maßnahmen den Zero-Emission-Endspurt bis 2040 stemmen.
Ein Drittel der Dekarbonisierung - rund 200.000 Haushalte - hängt am noch ungewissen Erfolg von Tiefen-Geothermie-Bohrungen. Schließlich wären dutzende, jeweils tausende Meter tiefe Löcher dafür notwendig, die möglicherweise auch CO2 emittieren. Solche Blindflüge ohne Evidenz und ohne Plan B sind inmitten der Klimakrise Versprechungen ohne solide Basis. Statt vager Erfolgsversprechen braucht es absolute Zahlen: Der Klimafahrplan 2022 gehört von unabhängigen Experten auf Plausibilität und Machbarkeit evaluiert.
Autoverkehr bis 2030 um 40 Prozent reduzieren
Der zweite große CO2-Emittent, die Mobilität, wird bereits von unabhängigen Wissenschaftern begleitet. Mit dem Klimafahrplan wurde die Klimaneutralität auf 2040 verschärft, die 2014 im Gemeinderat beschlossenen Smart-City-Ziele blieben gleich. Trotzdem: Ein signifikant ausgebauter öffentlicher Verkehr beziehungsweise Umweltverbund hat den Autoverkehr bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren. Trotz Bevölkerungswachstum und Wohnbauoffensive hat es also auch in der Donaustadt deutlich weniger Individualverkehr zu geben, wie der Verkehrsplaner Ulrich Leth und seine KollegInnen an der TU Wien unisono bestätigen.
In der ersten Phase dieser Reduktion des motorisierten Individualverkehrs (MIV) auf 15 Prozent Anteil am Modal-Split bis 2030 wirken die Stellschrauben am effizientesten, bald ist nahezu ganz Wien zudem Kurzparkzone. Da in den Jahren seit 2014 der öffentliche Verkehr viel zu wenig attraktiviert wurde - bis 2020 nur ein Fünftel des Etappenziels -, stagnierte die Mobilitätswende in diesen 6 von 16 Jahren, das verschärft auch die aktuell unzumutbar hohe Verkehrsbelastung in der Donaustadt.
Ist 2025 die Großbaustelle Seestadt Aspern ungefähr halb fertig, entspricht ihre politisch beschlossene verkehrliche Zielvorgabe jener für ganz Wien, nur noch 20 Prozent aller Wege mit dem privaten Pkw zurückzulegen und den Rest zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit den Öffis. Dem Vorzeigeprojekt der "Klimamusterstadt" Wien fehlt auf Rückfrage jedoch die Strategie, ab 2026 die alte und die neue Seestadt-Hälfte auf 19 Prozent (beziehungsweise 2030 auf 15 Prozent) Pkw-Anteil zu reduzieren. Auch hier gehört massiv nachgeschärft. Für die meisten Seestädter ist die Garage besser erreichbar als die U-Bahn, so Hermann Knoflacher. Der Doyen der österreichischen Verkehrsplanung nimmt die Stadtplanung in die Verantwortung, "dem Menschen zu helfen, aus dem Auto herauszukommen".
Die Wiener Stadtplanungspolitik macht das Gegenteil. Sie konterkariert in Transdanubien das weltweit bewährte Leitbild der "Stadt der kurzen Wege" und verschärft den monofunktionalen Ausbau zur Schlafstadt mit entsprechendem Pendlerverkehr. Während die Seestadt dem Leitbild im Kleinen in etwa entsprechen wird, fehlen in Transdanubien bereits heute mehr als 60.000 Jobs, Tendenz dramatisch steigend. Hier kann die im Klimafahrplan ausgerufene "15-Minuten-Stadt" - jede wichtige Aktivität maximal 15 Minuten entfernt - nicht funktionieren.
Die Stadt verfolgt - abgesehen von der Seestadt - viel zu wenig intensiv Betriebsansiedlungen und Jobinitiativen beziehungsweise die Priorität Wohnen und Arbeiten. Dass die für weitere 60.000 Menschen vorgesehenen Wohnsiedlungen den Sinn der Stadtstraße begründen sollen, muss unter anderem durch die Nähe von U2 und Ostbahn hinterfragt werden. Wie im gesamten Stadtgebiet sollte auch hier der Ausbau des öffentlichen Verkehrs im Vordergrund stehen.
Den unmittelbaren CO2-Emittenten, den Autobahnzubringer Stadtstraße - gegen den Konsens der Verkehrsexperten, gegen eigene Verkehrs- und Klimaziele einer "Stadt der kurzen Wege" -, realisieren zu wollen, ist irrational und unverantwortlich. Davon wären zigtausende Menschen, darunter auch ein Schulcampus, direkt an der Trasse betroffen. Nicht der Autoverkehr gehört weiterhin befeuert, sondern die Maßnahmen zur Verkehrswende, wo das Steuergeld für den Stadtstraßenbau sehr gut investiert wäre.
Wiens Image als "Klimamusterstadt" bröckelt
Der von Klimaaktivisten angeheizte und von Verkehrsexperten objektivierte Diskurs hat einer breiteren Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass Wiens Image als selbsternannte "Klimamusterstadt" bröckelt; selbst die Seestadt hinkt den Mobilitätszielen bald hinterher. Am 1. Februar ließ Bürgermeister Michael Ludwig das Protestcamp Hausfeldstraße der Klimaaktivisten räumen und 390 Bäume fällen, dieser Tage präsentierten er den Klimafahrplan 2040 und Ulli Sima "Wiens ersten Mega-Radhighway": Bald solle man "schnell und bequem von der Donaustadt in die City" kommen, so die Klimastadträtin politisch aktionistisch. Gemeint ist, neben den Radweglangstrecken West und Süd, die seit 2014 überfällige und nun bis Herbst 2024 in Aussicht gestellte Strecke Nord in den 21. Bezirk.
Diese Strecke Nord tangiert die Donaustadt lediglich, für die vierte Himmelsrichtung Ost fehlt auch in der Radwegoffensive vom 17. Februar ein "Mega-Radhighway". Im Herbst 2021 hat der Autor diese Radweglangstrecke - hauptsächlich entlang des Ostbahn-Gleises - konzipiert. Sie wäre überwiegend kreuzungsfrei, geradlinig, schnell und leistungsfähig, würde die Seestadt tangieren, das Marchfeld erschließen und entspräche, eingebettet im "Grünen Gerüst Freiraum" (Strategieplan für das Zielgebiet U2 von 2013), dieser Erholungsfunktion. Aktuell sollen direkt dort die Stadtstraße beziehungsweise die Spange Aspern verlaufen.
Diese emittierende Straßentrasse etwas zu verkleinern, ist kein fruchtbarer Kompromiss; eine Mobilitätswende ist notwendig. Für diese haben dutzende Bürger aus der Zivilgesellschaft konkrete Vorschläge erarbeitet, so zum Beispiel das Lobau-Forum ein "Sofortprogramm für den öffentlichen Verkehr". Zudem hat Wien im Jahr 2020 mit der überparteilichen Initiative "Platz für Wien" 18 wertvolle, von 57.000 Wienern in einer Petition unterstützte Inputs für eine klimagerechte und verkehrssichere Stadt mit hoher Lebensqualität bekommen; die wörtliche Übernahme von 5 der 18 Forderungen ins SPÖ-Wahlprogramm ist zu wenig.
Verantwortung für kommende Generationen
Die Herausforderungen sind enorm, eine wachsame Zivilgesellschaft ist notwendig, ebenso engagierte Experten außer-, aber auch innerhalb der Stadtverwaltung. Die erst zehn Jahre junge Energieplanung braucht die volle Unterstützung der Politik. Unsere Generation der sogenannten Entscheidungsträger hat eine besondere Verantwortung. In der Kindheit beziehungsweise Jugend in den 1970er Jahren haben uns der Ölschock und die "Grenzen des Wachstums - Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit" (1972) sowie der "Saure Regen" begleitet. Wir wissen es schon lange und gefährden trotzdem Zukunft und Gesundheit kommender Generationen.
Der Wiener Bürgermeister kann die kritisch-konstruktive Klimabewegung, ihren Einsatz für die Umwelt, eine ernsthafte und soziale Energie- und Verkehrswende weiter ignorieren und Aktivisten wieder mit Klagen bedrohen. Seinem Pyrrhussieg wird unweigerlich - früher oder später - das Scheitern Wiens an den selbst beschlossenen Mobilitäts- und Klimazielen folgen. Die Natur kennt keine Kompromisse.