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Nicht mehr erste Wahl

Von Simon Rosner

Wirtschaft
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Erfahrung trifft auf Jugend: Im Fachhandel Schmidtschläger werden auch im kleinen Rahmen noch Lehrlinge ausgebildet.
© Rosner

Weiterbildungsweg bis zum akademischen Abschluss für Handelslehrlinge


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Wien. "Grüß Gott", sagt der Lehrling laut und deutlich. Klaus Schmidtschläger lächelt, beinahe ein bisschen stolz: "Sehn’s?" Minuten vorher hat der Geschäftsführer des gleichnamigen Fachgeschäfts für Beschläge und Sicherheitstüren in der Wiener Kaiserstraße seine oberste Grundregel für Lehrlinge erklärt: immer grüßen. Doch bei Schmidtschläger geben Lehrlinge nicht nur den Grüßaugust, sie beraten und verkaufen bereits im ersten Lehrjahr; so gut es eben geht.

"Sie müssen sich ja noch in ihrer Persönlichkeit entwickeln", erzählt der Chef. Eine gewisse Extrovertiertheit ist im Verkauf eben notwendig, doch das ist für 16-Jährige, die sehr plötzlich in die Arbeitswelt geschmissen werden, nicht immer einfach. Deshalb schickt Schmidtschläger seine Lehrlinge auch zu externen Trainings. Denn Kunden sind nicht nur unschlüssig, sie können auch unkundig sein. Und genau da kommt dann Beratung ins Spiel, die von ausgebildeten Fachkräften geleistet werden muss. Das ist Handel.

19.000 Handelslehrlinge

Beschläge für Kästen und Kasteln, auf die sich Schmidtschläger spezialisiert hat, gibt es natürlich auch im großen Baumarkt, zumindest einige davon. Beim Selbstversuch an der Peripherie bei den Containerbauten, wo Wien auf einmal zu Legoland wird, grüßt nur das bewusst gestaltete Entree mit den Sonderangeboten. Hier ist die moderne Welt des Heimwerkens, hier gibt es alles, und irgendwo müssen auch Beschläge sein. Nur wo? Eine Angestellte verweist auf die "Holzabteilung ganz rückwärts", dort angekommen zeigt ein Mitarbeiter, ein Lehrling, auf das passende Regal. Und jetzt? Der Lehrling hat sich mittlerweile dem Öffnen von Kisten mit Parkettböden gewidmet, er kann gerade nicht. Auch das ist Handel. Die gleiche Branche, aber eben eine andere Welt.

Doch in dieser und in jener Welt, der alten und der neuen, sind Lehrlinge von hoher Bedeutung. In der gesamten Sparte Handel und Verkauf werden gegenwärtig 19.000 Lehrlinge ausgebildet, nur im Gewerbe sind es noch mehr. Seit vielen Jahren ist die Zahl der Lehrlinge im Handel konstant, sogar leicht steigend, doch ebenso konstant ist die Unzufriedenheit, wie eine regelmäßig durchgeführte Umfrage der Gewerkschaft offenbart.

Mehr als die Hälfte der Handelslehrlinge gibt jedes Jahr an, mit der Ausbildung unzufrieden zu sein, während sich in handwerklichen und technischen Berufen ein ganz anderes Bild zeigt. Das Arbeitsmarktservice bestätigt das: "Der Handel ist nur sehr selten die erste Berufswahl der Lehrlinge", sagt Sebastian Paulick vom AMS Wien.

Jörg Schielin war selbst einmal Handelslehrling, doch das ist schon sehr lange her, fast 50 Jahre. Er lernte bei Julius Meinl und blieb im Betrieb, bis Meinl von Spar gekauft wurde. Seither ist er für die Spar Akademie verantwortlich, die aus der angesehenen Meinl-Schule hervorgegangen ist. Gegenwärtig werden dort 2700 der 19.000 Handelslehrlinge ausgebildet. Schielin hat ein anderes Bild, er sagt: "Der Handel ist für mich der schönste Beruf der Welt." Und er sagt es nicht nur überzeugend, sondern vor allem: überzeugt.

An Ansehen verloren

Irgendwas muss also passiert sein in all den Jahren, in denen das Handwerk den Handel puncto Ansehen zurücküberholt hat. Vielleicht einfach nur das: "Handel ist Wandel", wie ein häufig zitierter Reim besagt. Es hat sich eben sehr viel verändert: Es gibt weniger Geschäfte, dafür sind sie größer geworden, das Verkaufspersonal ist spezialisiert, andererseits gibt es auch mehr Selbstbedienung. Die Öffnungszeiten wurden ausgeweitet, der Konkurrenzdruck ist hoch. Das Bild des Einzelhandels ist ein anderes geworden, aber kein besseres.

Es hat dazu geführt, dass die Fluktuation bei den Lehrlingen sehr hoch ist, viele, zu viele, in andere Branchen wechseln und die Qualifikation der Bewerber merklich abgenommen hat. Das wiederum schafft Unzufriedenheit auf der anderen Seite, bei den Unternehmen. "Es ist schwerer geworden, Gute zu finden", sagt Schmidtschläger. Und Martina Kainz, Lehrlingsbeauftragte des Schuhhändlers Salamander, meint sogar: "Drei von vier Bewerbern sind fürchterlich." Die großen Betriebe locken daher mit Prämien für gute Leistungen. Bei Billa gibt’s Reisen, bei Spar den Führerschein, bei Zielpunkt ein Handy samt Vertrag. Die Kleinen können da nicht mit.

Dass die Handelsunternehmen um gutes Personal wirklich ringen müssen, weiß auch die Wirtschaftskammer. René Tritscher, der Geschäftsführer der Bundessparte Handel, sagt: "Es gibt ein Imagethema." Mit Thema meint er Problem. "Das Berufsbild wird von den Jugendlichen eindimensional gesehen, der Verkauf steht im Vordergrund, das ist ja auch das, was man sieht", sagt Tritscher. Doch Handel ist mehr: Es gibt den Groß- und Außenhandel, die Logistik, die spezialisierten Betriebe, Autoverkäufer wie Juwelenberater, dazu wird der Bereich E-Commerce immer wichtiger.

In einer Zeit jedoch, in der 0,2 Prozent der insgesamt 40.000 Einzelhandelsunternehmen mehr als die Hälfte aller Erlöse der gesamten Branche verbuchen, ist die Vielfalt schwer zu erkennen. "Es ist eine Ohnmacht der großen Ketten", sagt Helmut Gotthartsleitner, der Bundesjugendsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten. Sogar der Buchhandel ist heute derart strukturiert. In der AMS-Jobbörse für freie Lehrstellen stammen fast alle Angebote vom Buchsupermarkt Thalia. "Da ist sehr viel vom Handel hausgemacht. Früher hat man sich auch nicht um die Lehrlinge gekümmert", so Gotthartsleitner.

Martina Kainz von Salamander bestätigt das auch recht freimütig, selbstredend in der Vergangenheitsform, denn "heute bilden wir sie sehr gut aus". Vor sechs Jahren aber, bevor Kainz in die Personalabteilung kam, sei das noch ganz anders gewesen, da wurden die Lehrlinge einfach in die Filiale gestellt. Das nannte sich dann betriebliche Ausbildung. "Sie waren in erster Linie billige Arbeitskräfte", sagt Kainz. Günstig klingt eben nicht nur für Kunden verlockend, sondern auch für Betriebe, und teilweise ist es eine Notwendigkeit: "Die Personalkosten sind die größte Kostenstelle, und an denen dreht man, wenn es enger wird. Und es wird enger", sagt Schmidtschläger.

Fixer Karriereweg

Der Beratungsqualität ist das langfristig nicht zuträglich, und die könnte in Zukunft, Stichwort: Online-Handel, für stationäre Geschäfte ein Überlebensargument sein. "Ich kann eben nicht irgendwen hineinstellen", sagt Kainz. "Wir sind kundenorientiert, haben hochwertige Ware und da gehören ausgebildete Kräfte dahin." Bei Salamander arbeiten derzeit 100 Lehrlinge, sie erhalten Seminare, Nachhilfe bei schulischen Problemen und einen Lehrlingsbetreuer in jeder Filiale. "Ich kenne alle Lehrlinge persönlich beim Namen", sagt Kainz.

Salamander ist nicht das einzige Beispiel, dass die Branche auf den Wandel reagiert hat. Merkur ist gerade dabei, eine Akademie wie jene von Spar aufzubauen, die weltweit ein Unikum bei Handelsketten darstellt. "Wir müssen das Bild des Regalschlichters aus den Köpfen bringen", betont Tritscher. Und auch Gotthartsleitner von der GPA sagt: "Der Handel gibt ja wahnsinnig viel her."

Noch in diesem Jahr will die Wirtschaftskammer für den Handel einen fixen Karriereweg erstellen, wie ihn das Gewerbe bieten kann (Lehrling - Geselle - Meister, Anm.). "Wir wollen Jugendlichen und Wiedereinsteigern eine standardisierte Weiterbildungsmöglichkeit anbieten, an deren Ende ein akademischer Abschluss steht", sagt Tritscher. Zuerst Lehrling, dann Handelsmanager, am Ende Betriebswirt. "Unser Ziel ist es ja auch, die Leute in die Selbständigkeit zu bringen." Doch das ist wohl nur eine Option, wenn es dem Handel in Hinkunft besser gelingt, die Talentierten und Motivierten anzuwerben.

Dass einige Handelsbetriebe mit ihren Lehrlingen jedoch nach wie vor so umgehen, dass diese bald desillusioniert werden, ist aber auch ein Faktum, wie Vertreter der Branche bestätigen. René Tritscher ist da gelassen: "Das wird der Markt regeln."