Zum Hauptinhalt springen

Nicht mehr Herr der eigenen Botschaft

Von Christian Rösner und Alexander Maurer

Politik
Für Politiker gilt es heute, auf möglichst vielen Kommunikationsebenen zu agieren und zu reagieren. Fotolia

Wahlkampf wird immer schneller und nähert sich langsam US-amerikanischen Medienstandards.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Dass sich während Fernsehdiskussionen die Twittermeldungen überschlagen, ist längst zum Alltag medienaffiner Menschen geworden. Auf eigenen Web-Kanälen haben sich mittlerweile bereits fast alle Parteien eine Community aufgebaut, um zumindest in den eigenen Reihen auf sogenannte Fremdinterpretationen der politischen Gegner reagieren zu können. Oder um Botschaften der anderen Parteien in einen anderen Kontext zu stellen, damit sie deren Bedeutung verändern können.

So gab es etwa kurze Zeit nach dem ORF-Sommergespräch mit FPÖ-Chef Heinz Christian Strache am Montagabend auf YouTube ein Video der Wiener SPÖ mit dem Titel "Faktencheck" zu sehen, in dem Ausschnitte des Interviews gezeigt wurden - kommentiert von Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler. Natürlich mit dem Ziel, die Freiheitlichen politisch anzugreifen. Sogar in Sachen Wahlplakaten hat sich das Tempo beschleunigt - die Neos haben nur ein paar Tage gebraucht, um auf die aktuelle SPÖ-Plakatkampagne mit eigenen Affichierungen zu reagieren.

"Zeichen von Qualität"

"Wir nähern uns langsam US-amerikanischer Idealwerte. Wobei man sagen muss, dass es bereits 1992 üblich war, schon während laufender Fernsehdebatten live auf Inhalte zu reagieren, wie etwa bei Bill Clinton und George Bush", erklärte Politologe Thomas Hofer in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Das heißt, noch während die Präsidentschaftskandidaten diskutierten, schickte das Team von Clinton schon Richtigstellungen über angebliche Falschaussagen von Bush in den Äther. Dieser "Rapid Response" ist laut Hofer ein Zeichen von Qualität. "Denn man kann sich inzwischen darauf verlassen, dass Aussagen nicht mehr einen Tag oder länger unkommentiert bleiben, so wie das früher noch der Fall war: Nach der ORF-Pressestunde am Sonntag ist am nächsten Tag alles brav in der Zeitung gestanden und am darauf folgenden Tag hat dann vielleicht jemand darauf reagiert."

Heute werden sofort die Inhalte verwertet und ihnen ein neuer Spin, eine neue Bedeutung verpasst. Dafür reicht laut Hofer schon die selektive Auswahl von Zitaten oder Betonungen aus. Oder welche Ausschnitte man aus Videos verwendet und in welchen inhaltlichen Zusammenhang man sie anschließend setzt. "Damit sind die Politiker immer weniger Herr ihrer eigenen Botschaften. Umso wichtiger ist es da für sie, schon rechtzeitig eigene Kanäle aufzubauen und sie zu bedienen. Wie etwa Strache mit seinem Facebook-Auftritt oder das TV-Format auf der FPÖ-Homepage, wo zumindest gegenüber den eigenen Anhängern auf Anwürfe von außen reagiert werden kann." Denn es sei heute nicht mehr nachvollziehbar, welche Botschaften den Gegner erreichen und welche nicht.

So wird laut Hofer in der gesamten Medienwelt Direktkommunikation immer wichtiger, auch wenn es um die Sekundärverwertung von Inhalten geht, wie das etwa beim "Faktencheck" von Georg Niedermühlbichler war. Denn damit könne gleich die eigene Interpretation mitgeliefert werden - sowohl für jene, die das Sommergespräch nicht gesehen haben, als auch für jene, die es gesehen haben. "Interessant sei dann nämlich, was zum Schluss übrig bleibt. Ist es das für den Journalisten relevante Volksbegehren-Thema oder ist es ein Sager, der im Internet um 70 Prozent mehr Likes erzeugt hat."

Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die heimische Wahlkampfkultur fasst Hofer folgendermaßen zusammen: Sie wird populistischer, Botschaften werden öfter verändert, sie kommen immer seltener an und es gibt einen signifikanten Kontrollverlust über die mediale Verbreitung von Inhalten.

Tempo auch im normalen Leben

Medienpsychologe Peter Vitouch vom Publizistikinstitut der Universität Wien sieht das ähnlich: Man könne an dem Beispiel der Sommergespräche sehen, dass sich die Kommunikationsstrategen der Parteien den neuen Kommunikationstechnologien anpassen beziehungsweise anpassen müssen, um auf den verschiedenen Kommunikationsebenen auch möglichst schnell präsent zu sein.

Man könne einfach nicht mehr die Tweets der Twittergemeinde unkommentiert überlassen. "Der andere Aspekt dabei ist natürlich, dass die Möglichkeit verbessert und erhöht wird, auf politische Aussagen der jeweiligen Gegenspieler sofort zu reagieren", meint Vitouch.

Im Vergleich zur Wien-Wahl vor fünf Jahren habe sich auf jeden Fall viel verändert, meint der Experte. Auch im normalen Leben, abseits der Politik, könne man es sich nämlich nicht mehr leisten, lange Zeit zwischen Wortmeldungen vergehen zu lassen. Und im politischen Kontext ist das laut Vitouch ohnehin eine leichte Übung, "weil man im Grunde genommen als politische Partei in etwa weiß, welche Haltungen der politische Gegner vertritt, sich so vorbereiten kann und die Gegenargumente schon liefern kann, bevor die entsprechende Aussage noch getätigt wurde."

Die Auswirkungen dieser Entwicklung ist laut Vitouch "ein Wettbewerb, der möglichst alle Kommunikationskanäle besetzen wird, um die eigenen Nachrichten und Inhalte zu transportieren." Und der Rezipient wird wohl lernen müssen, besser zwischen journalistischen und politischen Aussagen zu unterscheiden.