Schweizer votieren bei Volksabstimmung für Alternativmedizin. | Minister warnt vor Kostenexplosion. | Bern/Wien. Im Vergleich zu den derzeit brennenden Problemen wie dem in der Krise steckenden Finanzsektor und der inkriminierten Beihilfe zur Steuerflucht für ausländische Staatsbürger mutet die am Sonntag in der Schweiz über die Bühne gegangene Volksabstimmung über die "Zukunft mit Komplementärmedizin" auf den ersten Blick wie ein Nebenschauplatz an.
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Zwei Drittel der Wähler und alle 26 Stände stimmten dafür, dass Bund und Kantone nun auch laut Verfassung für "die Berücksichtigung der Komplementärmedizin sorgen".
Doch der Schein eines Randproblems trügt. Die Schweiz steckt mitten in einer Debatte über die zukünftige Finanzierbarkeit ihres Gesundheitssystems. Für 2010 wird bei den Krankenversicherungsprämien eine Explosion von zehn Prozent prognostiziert. Als Sofortmaßnahme will Gesundheitsminister Pascal Couchepin (FDP) zudem eine Praxisgebühr von rund 20 Euro einführen.
Mit dem nun erfolgten Ja verbindet sich vor allem die Erwartung, die fünf im Jahr 2005 von Couchepin aus der Grundversicherung gekippten Komplementärmedizin-Therapien (Homöopathie, chinesische Medizin, anthroposophische Medizin sowie Neural- und Phytotherapie) würden wieder von den Krankenkassen bezahlt. Doch so klar der Auftrag des Schweizer Volkes zur verstärkten Berücksichtigung der Komplementärmedizin auch ist, so unklar bleibt, wie dieses Votum - etwa bei der Ausbildung oder der Budgetierung - umgesetzt wird.
Minister auf der Bremse
Gesundheitsminister Couchepin zeigt in dieser Frage derzeit jedenfalls kaum Ambitionen, von sich aus aktiv zu werden. Für ihn liegt der Ball jetzt erst einmal bei den Komplementärmedizinern: Diese müssten bis Oktober neue Aufnahmegesuche stellen. In der Folge hätten die Antragsteller - analog zur Schulmedizin - den Nachweis über Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu erbringen. Das werde aber vermutlich eine ganze Weile dauern, so Couchepin gegenüber der "Basler Zeitung". In jedem Fall gehe er aber davon aus, dass die Versicherungsprämien damit weiter steigen werden.
Die Befürworter der Komplementärmedizin sehen in Couchepins Verhalten vor allem eine Verzögerungstaktik und arbeiten daher schon an einem Plan B: Das Parlament könnte Artikel 32 des Krankenversicherungsgesetzes ändern und dort direkt festschreiben, welche alternativen Heilmethoden kassenpflichtig werden sollen. Ob diese Variante allerdings mehrheitsfähig ist, ist derzeit noch mehr als ungewiss.