Annegret Kramp-Karrenbauer will die Ära Merkel nicht rückabwickeln. Der Kanzlerin folgt sie aber nicht bedingungslos.
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Berlin/Wien. Etwas fehlt hinter Annegret Kramp-Karrenbauer. Wenn die CDU-Generalsekretärin vor die Presse tritt, ist üblicherweise ein blauer Banner mit dem Parteilogo platziert. Auf dem Hintergrund steht in riesigen Lettern "Die Mitte". Doch dieser Schriftzug fehlt, als Kramp-Karrenbauer am Mittwoch erstmals öffentlich erklärt, warum sie für den Parteivorsitz kandidiert.
"Die Mitte" ist jener Ort, an den Angela Merkel in den vergangenen 18 Jahren ihres Vorsitzes die CDU führte - allzu weit weg von den Wurzeln, geht es nach ihren Kritikern. Beim Parteitag ab 6. Dezember bewerben sich mit Friedrich Merz und Jens Spahn zwei Männer, die wirtschaftspolitisch liberaler und gesellschaftspolitisch konservativer sind. Sie wollen ihre Distanz zu Merkel nun in ihren Vorteil ummünzen.
Eine solche Strategie wirkt bei Annegret Kramp-Karrenbauer unglaubwürdig, schließlich amtiert sie seit Februar als CDU-Generalsekretärin unter Merkel. Gleich am Anfang ihres 20-minütigen Statements am Mittwoch betont sie, die Partei habe Merkel für sehr vieles zu danken. "Eine Ära kann man nicht beliebig fortsetzen", sagt Kramp-Karrenbauer. Kurze Pause: "Und nicht rückgängig machen."
Nicht das Kanzleramt bestimmt den Standpunkt
Was aber nicht heißt, dass die 56-Jährige der Kanzlerin bedingungslos folgt. 2012 kündigte sie trotz Merkels ausdrücklichen Widerwillen die schwarz-grün-liberale Regierung im Saarland. Gerade gesellschaftspolitisch unterscheidet sich Kramp-Karrenbauer von Merkel. Sie ist von der katholischen Soziallehre geprägt, seit 34 Jahren verheiratet und versteht die Ehe als Verbindung von Frau und Mann. Diese traditionellen Werte hindern sie nicht daran, verbindliche Frauenquoten in Politik und Wirtschaft zu fordern.
Merkel bekam bei ihrem Einstieg als Ministerin ab 1991 den wenig schmeichelhaften Namen "Kohls Mädchen" verpasst. Kramp-Karrenbauer will nicht als "Merkels Mädchen" dastehen. Sie betont ihre Erfolge aus eigener Kraft, dass sie 2017 die Landtagswahl gewonnen hat - "entgegen allen Umfragen". Merkel verbrachte ihr ganzes politisches Leben in der Bundespolitik, war Frauen- sowie Umweltministerin, CDU-Generalsekretärin, ist noch Parteivorsitzende und Kanzlerin. Kramp-Karrenbauer amtierte vor ihrem Wechsel ins Generalsekretariat sieben Jahre als saarländische Ministerpräsidentin. Nie zuvor hat jemand diesen formalen Rückschritt gemacht.
Nun will Kramp-Karrenbauer die Ernte dafür einfahren. 40 Treffen an der Basis habe sie in den vergangenen acht Monaten absolviert. "Meine CDU ist eine großartige Partei, alleine wegen ihrer Mitglieder." Den süßen Worten folgt eine schonungslose Kritik an Merkel: "Die CDU muss wieder Rückbesinnung zeigen auf diese Stärke. In den vergangenen Jahren wurden viel zu häufig Entscheidungen auf Regierungsebene getroffen, die von der Partei mit oder ohne Widerstand akzeptiert wurden." Kramp-Karrenbauer will die Reihenfolge, wie politische Positionen bestimmt werden, umdrehen: von der Partei über die Fraktion in die Regierung.
Macht Kramp-Karrenbauer damit Ernst, verringert sie den Spielraum für ihre Kanzlerin weiter. Im September musste Merkel eine herbe Niederlage einstecken. Nach fast 13 Jahren im Amt wurde Fraktionschef Volker Kauder von den Bundestagsabgeordneten abgewählt, und zwar gegen den ausdrücklichen Wunsch von Merkel und der CSU-Spitze. Kauder hatte die Parlamentarier fest im Griff. So stieß der Kurswechsel in der Energiepolitik nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 nur bei kümmerlichen fünf Abgeordneten der einstigen Atompartei auf Widerspruch.
Alle fragen sich, wie lange kann sich Merkel halten, wenn sie Gegenwind aus Fraktion und Partei erhält. "So lange sie die Mehrheit im Bundestag hat", sagt Kramp-Karrenbauer lapidar.
Wirtschaft, Sicherheit und Identität
Ihre Aufgabe als Parteichefin wäre, die CDU zu Wahlsiegen zu führen. Dabei setzt Kramp-Karrenbauer auf einen Dreiklang aus Wirtschaft, Sicherheit und Identität. Wohlstand solle in Zeiten der Digitalisierung gesichert werden. Sie möchte wieder Vertrauen in den starken Staat wecken, betont ein offenes Europa und die Wichtigkeit, Sicherheit nach außen zu organisieren. "Die bisherigen Schritte reichen nicht aus", konstatiert Kramp-Karrenbauer - wieder eine Kritik an Merkel. Schließlich möchte sie in einer vielfältiger gewordenen Gesellschaft "Regeln definieren, was uns ausmacht, um Menschen auf ein gemeinsames Bekenntnis zu überzeugen". Am Wort "Leitkultur", mit dem Merz 2000 eine Debatte entfachte, streift Kramp-Karrenbauer nicht an.
Ihre Gegenkandidaten fordert Kramp-Karrenbauer zum Verzicht auf einen "ruinösen Wettbewerb" auf. Merz und Spahn sollten sich bei einer Niederlage weiter in der CDU einbringen. Worin Kramp-Karrenbauer ihre Zukunft nicht sieht, macht sie bereits klar: wieder als Generalsekretärin.