Der Friedensforscher Thomas Roithner sieht nach der Angelobung des neuen US-Präsidenten "einiges auf uns zukommen". | Den komplexen Herausforderungen der modernen, multipolaren Welt sei der Republikaner jedenfalls kaum gewachsen.
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"Wiener Zeitung":Donald Trump ist jetzt US-Präsident, er umgibt sich gerne mit Ex-Generälen. Schneidige militärische Typen, wenn man sich den neuen Verteidigungsminister oder Trumps nationalen Sicherheitsberater, Michael Flynn, ansieht: Steigt nicht allein schon deshalb weltweit die Kriegsgefahr?Thomas Roithner: Tatsache ist, dass wir insgesamt mit einer globalen Machtverschiebung konfrontiert sind. Die Institutionen, die den Ton seit 1945 in den internationalen Beziehungen angegeben haben - die transatlantischen Akteure, die Vereinigten Staaten und die Europäische Union -, verlieren an Gewicht. Asiatische Player - Staaten und Bündnisse -, und damit meine ich nicht nur China, gewinnen an Bedeutung. Wenn Trump tatsächlich glaubt, dass man das mit einzelnen Maßnahmen wie der Aufkündigung der Transpazifischen Partnerschaft (TPP, Handelsabkommen zwischen den USA, Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam, Anm.) lösen kann, ist das eine grobe Fehleinschätzung.
Es gibt Pessimisten, die sagen, dass in Zeiten, in denen der Protektionismus großgeschrieben wird, die Kriegsgefahr steigt.
Trump ist einfach wahnsinnig unberechenbar, wie man jetzt schon an den Auseinandersetzungen zwischen ihm und den einzelnen Fachministern sieht. Da wird einiges auf uns zukommen, weil Trump gewohnt ist, autoritär eine Linie vorzugeben. Das US-Außen- oder Verteidigungsministerium oder die Geheimdienste haben dann aber eine andere Meinung. Grundsätzlich ist es natürlich schon so: Je intensiver man in den Kategorien von Sicherheit, Macht, Militär und Rivalität denkt, desto mehr Konfrontation kommt dabei heraus. Und da geht es dann auch um die Europäische Union: Soll die Politik hier einer Sicherheitslogik folgen - also möglichst Bedrohungen abwehren. Oder sollen wir einer Friedenslogik folgen, die die tatsächlichen Herausforderungen in Angriff nimmt. Den Klimawandel etwa.
Wenn wir uns Obama ansehen: Der war ja das krasse Gegenteil von dem, was Trump zu werden verspricht. Aber ich habe den Eindruck, dass Obama durch sein Zögern etwa in Syrien die Welt nicht wirklich sicherer gemacht hat.
Das kann man so nicht sagen. Ich glaube, dass es Obama verabsäumt hat, entsprechende Instrumente aufzubauen, mit denen man gegensteuern kann. Instrumente der Prävention und des zivilen Krisenmanagements. Das ist etwas, wofür die USA nicht stehen, ich halte es aber für sehr wichtig. Das sind Fragen der Ungleichheit, der Nuklearwaffen, des Klimas.
Was hätten ein solches Instrument konkret sein können?
Das, was ein rotes Tuch für Trump ist: Der Multilateralismus, wie er von den Vereinten Nationen geprägt ist. Die UNO steht mit ihren Entwicklungszielen dafür, Armut zu überwinden und Fragen der Klimagerechtigkeit zu lösen. Man muss nicht immer auf das letze Mittel setzen, nämlich Krieg, sondern auf das vor- und vorvorletzte, nämlich diplomatische Mittel. Obama hätte da mehr machen können.
Aber warum dieses Zögern Obamas?
Das hatte innenpolitische Gründe, da wurde er gestoppt. Wir haben alle das Gesicht Obamas vor Augen, als er sich immer wieder vor die Kamera stellen musste, nachdem ein Schusswaffen-Massaker in den USA geschehen war. Ich habe ihm abgenommen, dass er das verändern will. Aber er war ohnmächtig.
Sie vertreten einen erweiterten Sicherheitsbegriff, der etwa Klima und Wohlstandsverteilung mit einschließt. Bei Trump ist so ein Denken aber eher nicht anzunehmen?
Mit Trump werden wir das beliebte Computerspiel "Siedler" spielen. Wer hat die größte Rittermacht und die längste Handelsstraße? "Make America great again". Und das ist meine Hoffnung: Dass die Europäische Union auf die Regeln, die Trump vorzugeben scheint - der in Putin möglicherweise einen guten Freund findet -, nicht einsteigt.
Eine ganz zentrale Aussage Trumps war, dass er die Nato für obsolet hält. Die Frage ist, inwieweit man das bei einem Menschen ernst nehmen kann, der sagt, dass er Twitter nicht ausstehen kann und dann jeden Tag darauf zurückgreift.
Es ist äußerst widersprüchlich, was man von Trump hört, und wahrscheinlich steigern sich einige Medien auch in Interpretationen hinein. Wenn eine Institution nicht nach der Pfeife von Trump tanzt, wird er versuchen, diese Institution zu entwerten. Er hat den europäischen Verbündeten bereits ausgerichtet, dass die Nato obsolet ist, er sie aber trotzdem mag. Die USA fordern seit Jahr und Tag, dass die europäischen Verbündeten mehr Geld für das Militär ausgeben und besser kooperieren sollen. Das heißt unterschwellig, sie sollten Rüstungsgüter aus den Schmieden der USA kaufen. Die Frage ist, ob das im Interesse Europas ist. Oder ob die Devise nicht lautet, wir müssen uns von den USA unterscheiden. Ich glaube, dass man da einen anderen Zugang zu Frieden und Sicherheit braucht. Ich glaube, wenn die EU weiter bestehen soll, braucht es eine gemeinsame Politik. Die "Battle Groups" stehen seit langem bereit, aber sie werden nicht eingesetzt, weil es keine Einigkeit gibt. Ich bin nicht dafür, dass sie eingesetzt werden. Aber was wir brauchen, ist eine gemeinsame Politik. Wenn die EU keine Flüchtlinge will, soll sie etwas dazu beitragen, dass die Menschen nicht flüchten müssen. Das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Die Europäische Union hat mit der gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik die Möglichkeiten dazu.
Jetzt ist die Nato in Europa nicht untätig, es werden Panzer und Soldaten ins Baltikum und nach Polen geschickt, um Russland abzuschrecken. Auf der anderen Seite provozieren russische Kampfjets entlang des Nato-Luftraums. Da ist doch unheimlich viel Konfliktstoff?
Das ist eine verfahrene Situation, aber ich glaube, dass die europäischen Staaten hier zentrale Beiträge leisten können. Wenn sich Trump und Putin gut verstehen, ist das fein. Und wenn das hilft, globale Probleme zu lösen, dann noch besser. Was Russland betrifft: Moskau äußert seit Jahr und Tag Bedenken, wo die roten Linien sind: Nato-Osterweiterung, Kosovo-Krieg, Irak-Krieg, Truppenstationierung in Europa, Libyen-Krieg, wo das Mandat der UNO überschritten worden ist, beziehungsweise das Mandat sehr ausgedehnt wurde. Denn Regimewechsel ist da nicht enthalten gewesen. Unabhängig davon, ob Gaddafi sympathisch ist oder nicht: Russland hat da entsprechende Bedürfnisse und hat unter dem damaligen Präsident Medwedew eine Helsinki-II-Akte vorgelegt, aber die europäischen Staaten haben darüber nicht diskutieren wollen. Obwohl da Selbstverständlichkeiten dringestanden sind, wie die Schaffung von sicherheits- und vertrauensbildenden Maßnahmen, Stärkung des Gewaltverbotes, Deeskalationsszenarien.
Europa bekommt jetzt von Russland die Rechnung präsentiert?
Auf der Krim ist ganz klar Völkerrecht durch Russland gebrochen worden, das ist nicht zu rechtfertigen. Ich bin großer Verfechter des Gewaltverbots der Vereinten Nationen. Aber: Wer hat das Gewaltverbot seit 1989/90 öfter gebrochen?
Die USA sicher zumindest nicht seltener.
Ja, Bruch oder zumindest Überdehnung. Auch die Reaktion auf die Terroranschläge von 9/11. Es ist lange diskutiert worden, ob das tatsächlich noch Selbstverteidigung ist, wenn die USA einen Monat später in Afghanistan einmarschieren.
Sind die Probleme mit Russland auch das Resultat eines westlichen Hochmuts? Francis Fukuyama hat ja 1989 das Ende der Geschichte postuliert?
Die Vereinigten Staaten haben sich etwas nach 1989/90 in einem unipolaren Moment gesehen. Jetzt müssen wir feststellen: Es gibt mehrere Pole. Einer davon sind die Vereinigten Staaten von Amerika, aber eben nur einer.
Keine Pax Americana.
Genau. Man muss sich nur die wirtschaftliche Entwicklung Chinas ansehen. Da verliert der Westen Definitionsmacht in den internationalen Beziehungen. Trump ist es gewohnt, bilaterale Deals zu machen, aber wir sollten das multilaterale System, die UNO, stärken. Gerade in Krisen braucht es so ein System. Trump setzt sich mit irgend jemandem zusammen und löst die Probleme der Welt - das wird so nicht funktionieren.
Trump hat die UNO ja bereits als völlig unnötig abqualifiziert. Und es gibt Meldungen, wonach das Jahr 2016 den Beginn neuer globaler Aufrüstung markiert. Über den Konflikt im Südchinesischen Meer haben wir noch gar nicht gesprochen. Lässt das nicht die Alarmglocken schrillen?
Viele Konflikte hängen tatsächlich mit der Seidenstraßen-Strategie Chinas zusammen. Ich meine die maritime Seidenstraße. Da geht es um Kontrolle, wer sich dort bewegen darf und um Handelspolitik. Ein Drittel des Welt-Gütermarktes geht hier durch. Da entstehen nicht nur Häfen, sondern Infrastruktur im weitesten Sinne. Da treffen sich Geo-Ökonomie und Geo-Politik.
Die militärische Aufrüstung: Beunruhigt das den Friedensforscher?
Das ist in höchstem Maße beunruhigend. Wer Waffen hat, neigt dazu, diese zu gebrauchen, wenn die entsprechenden Akteure an die Macht kommen. Wer einen Hammer hat, für den ist jedes Problem ein Nagel.
Zur Person
Thomas Roithner
ist Friedensforscher und unterrichtet an der Universität Wien. Er publiziert zu Fragen der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Friedenspolitik der EU und Österreichs.