Hunderttausende pendeln zwischen Wien und Niederösterreich. Die Bundesländer sollten mehr gemeinsam planen.
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St. Pölten/Wien. Wien und sein Umland wachsen und wachsen: Bis 2030 wird die Einwohnerzahl in Wien und Niederösterreich von 3,38 auf 3,79 Millionen steigen, 2060 wird die Vier-Millionen-Marke überschritten sein. Der Zuzug ist stärker als erwartet - eine Herausforderung für Raumplanung, die Wohnungsnot und Verkehrschaos verhindern soll.
"Wien und das Umland werden von den Bewohnern als eine Stadtregion wahrgenommen. Die Lebensrealität der Menschen muss sich in der Planung widerspiegeln", sagt Elisabeth Gruber vom Institut für Geographie und Regionalforschung an der Universität Wien. Fließende Übergänge in der Bebauung passen nicht zu den administrativen Grenzen: Da scheint es unverständlich, warum Öffi-Nutzer in Gerasdorf oder Schwechat eine volle Tarifzone mehr bezahlen müssen, wenn sie nur wenige hundert Meter außerhalb der Stadtgrenze wohnen.
Wohnen, Arbeit, Freizeit, Einkaufen oder Bildung verteilen sich heute so über die gesamte Stadtregion, dass man das - vor allem in Hinblick auf das kommende Wachstum - gemeinsam managen müsste, sagt Peter Görgl vom Institut für Geographie und Regionalforschung an der Uni Wien, der sich mit Stadt- und Umlandforschung beschäftigt.
Von Parkpickerl-Ausweitung "am falschen Fuß erwischt"
"Wenn Wien und sein Umland in absehbarer Zeit drei Millionen Einwohner haben, brauchen wir verbindliche Kooperationen im Verkehr, etwa beim S-Bahn-Ausbau", sagte Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) beim Symposium des Architekturnetzwerks Niederösterreich Orte zum Thema "Zwei Länder - ein Plan?" in St. Pölten. Hunderttausende Menschen pendeln täglich zwischen Wien und Niederösterreich, daher müssten die Öffis in kürzeren Intervallen fahren, etwa die Vorortelinie S45 sowie die S3, S7, S50 oder S10 via Stadlau und die Wiener Lokalbahn. Es sei wichtig, dass weitere Park&Ride-Anlagen sowie eine eventuelle weitere Parkpickerlausweitung zwischen Wien und Niederösterreich abgestimmt werden.
Zu wenig gemeinsame Planung gab es aus Sicht des niederösterreichischen Landesrats Stephan Pernkopf (ÖVP), der für Raumordnung zuständig ist, bei der Parkpickerl-Ausweitung in Wien: "Die Ausweitung hat uns am falschen Fuß erwischt. Hier hätte es bessere Koordination gebraucht, damit wir nicht über Nacht Park&Ride-Anlagen ausbauen mussten." Vassilakou nannte Kaltenleutgeben im Wienerwald als Negativ-Beispiel: Unter dem Projektnamen "Waldmühle Rodaun" werden auf Wiener Gemeindegebiet 450 Mietwohnungen auf dem Areal einer ehemaligen Zementfabrik in Liesing gebaut. Die angrenzenden Gemeinden Kaltenleutgeben und Perchtoldsdorf in Niederösterreich hatten kein Mitspracherecht - nun fürchten die Anrainer durch die neuen Bewohner ein Verkehrschaos auf der Hauptstraße, die nach Wien führt.
Wer nutzt,wer zahlt?
Vassilakous Vision ist ein Regionalausschuss, der gemeinsam verbindliche Entwicklungsziele erarbeitet. "Kooperation ist ein Gebot der Stunde", sagte Vassilakou und nannte Schwechat und Simmering als "spannende Region für gemeinsame Planung". Das (unverbindliche) Ziel der Kooperation mit Nachbarstädten und -gemeinden steht im Wiener Stadtentwicklungsplan Step 2025.
Ein Knackpunkt bei der Kooperation zwischen Niederösterreich und dessen Landeshauptstadt bis 1986, Wien, aber auch zwischen Gemeinden innerhalb eines Bundeslandes, ist das Geld. Für die zusätzlichen rund 1900 Park&Ride-Stellplätze seit Ende 2012 hat die Stadt Wien ein Viertel der Gesamtkosten in Höhe von 1,2 Millionen Euro übernommen, Niederösterreich zahlt drei Viertel. Die Investitionen in kürzere Intervalle müsse zum Großteil Niederösterreich tragen, forderte Vassilakou. "Für große Projekte gibt es keinen finanziellen Spielraum", so Pernkopf.
Raumplanung ist hierzulande Aufgabe der Gemeinden - und diese stehen oft in Konkurrenz. Bürgermeister fürchten um ihre Einnahmen, wenn sie zugunsten der Nachbargemeinde auf ein Einkaufszentrum verzichten. Nur dort, wo sich Betriebe ansiedeln, fettet Kommunalsteuer das Budget auf. Wer mehr Einwohner hat, bekommt über den Finanzausgleich mehr Geld. Für die Bürgermeister steht vor den Wahlen in beiden Bundesländern 2015 politisch also einiges auf dem Spiel.
Allzu oft kocht daher jede Gemeinde ihr eigenes Süppchen und schaut auf sich selbst. Dabei wäre Zusammenarbeit von Regionen anstatt Rivalität in vielen Fällen ratsam und würde auch Geld sparen, meinen Raumplaner. Die Herausforderung liege darin, dass das, was für eine Gemeinde allein gut und sinnvoll ist, nicht unbedingt das Richtige im regionalen Kontext ist, sagt Görgl: "Zum Beispiel kann es ,richtig‘ für eine Gemeinde sein, sich gegen ein großflächiges Fachmarktzentrum am Ortsrand auszusprechen, etwa um die Geschäfte im Ortszentrum zu stärken. Aber was hilft das, wenn die Nachbargemeinde direkt an der gemeinsamen Grenze das Fachmarktzentrum zulässt?", gibt Görgl zu bedenken. "Gemeinden werden derzeit für Wachstum ,belohnt‘." Görgl schlägt vor, den Finanzausgleich anzupassen: Wenn sich eine Gemeinde als Naherholungsstandort positioniert und keine neuen Baugebiete ausweist, sollte der freiwillige Verzicht durch einen interkommunalen Lastenausgleich für die Gemeinde kompensiert werden, weil die anderen Gemeinden durch Einnahmen und nahe Grünflächen einen doppelten Nutzen haben.
Kein Bauen aufder grünen Wiese
Auch innerhalb Niederösterreichs sollen sich Gemeinden mehr miteinander absprechen. Die regionale Leitplanung ist im neuen NÖ Raumordnungsgesetz, das am Donnerstag im niederösterreichischen Landtag beschlossen wurde, verankert. Bei dieser überlegen Gemeinden in einer Region gemeinsam, in welchen Gebieten Bevölkerungswachstum stattfinden soll und wo Betriebsgebiete entstehen. Bei einem Pilotprojekt haben 25 Gemeinden im nördlichen Wiener Umland gemeinsam mit dem Land Niederösterreich und Experten der TU Wien als regionale Entwicklungszentren Mistelbach, Stockerau, Korneuburg, Langenzersdorf und Wolkersdorf definiert. Auch die Standorte für großflächige Betriebsansiedelungen wurden festgelegt, ebenso wie Grünflächen. Vor kurzem wurde eine regionale Leitplanung mit allen Gemeinden des Bezirks Mödling initiiert.
Einig sind einander Wien und Niederösterreich dabei, Bauten auf der grünen Wiese zu beschränken. Wien setze auf Verdichtung in der Innenstadt, statt Wohneinheiten auf der grünen Wiese zu errichten, so Vassilakou. Eine neue Leerflächendatenbank in Niederösterreich soll zeigen, welche Flächen genutzt werden können, bevor neues Bauland gewidmet wird. Seit der Zentrumszonenverordnung 2005 werden keine Einkaufszentren auf der grünen Wiese genehmigt. Das Ende 2012 eröffnete Shoppingcenter G3 in Gerasdorf - das auch Kaufkraft von Wien abzieht - wurde bereits zuvor genehmigt. Die Verordnung werde nicht aufgeweicht, betonte Pernkopf: "Bausünden aus der Vergangenheit sind sehr lange sichtbar."