Dublin/Brüssel/Wien - Wenn die irischen Wähler diesen Samstag ein zweites Mal über den EU-Vertrag von Nizza abstimmen, entscheiden sie indirekt über das Schicksal von 75 Millionen Menschen in Osteuropa. Sagen sie erneut Nein, würde dies die für 2004 geplante EU-Erweiterung um zehn Staaten zumindest verzögern. Erweiterungs-Kommissär Günter Verheugen wiederholte in der Vergangenheit zwar gebetsmühlenartig seine optimistische Prognose - für ein "Nein" hat die EU allerdings offiziell kein Szenario entwickelt. Das stärkste Argument der Befürworter ist es, den Beitrittsstaaten die Chance zu geben, von der EU zu profitieren.
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Man habe ihm gesagt, dass bei den Buchmachern in Dublin die Wettquoten neun zu vier für ein "JA zu Nizza" stünden, sagte Verheugen neulich in einem Fernsehinterview. "Und meiner Meinung nach sind besonders in Irland die Buchmacher weit zuverlässiger als Meinungsumfragen".
Letztere geben nämlich nur auf den ersten Blick Anlass zur Freude: Rund 42 Prozent der Iren geben an, für den Vertrag stimmen zu wollen, nur 29 Prozent sind dagegen. Ein Viertel bis ein Drittel der Wahlberechtigten sind noch unentschlossen. Allerdings: Vor einem Jahr lagen die Befürworter sogar mit 45 Prozent vorne und 28 Prozent waren dagegen. Umso überraschender kam dann das tatsächliche Ergebnis, das mit 54 Prozent Gegenstimmen die irische Regierung blamierte und bei den verantwortlichen Stellen in Brüssel Ratlosigkeit hinterließ.
Bei "No" wäre vieles unklar
Und auch diesmal hat man sich in Brüssel nach außen hin nichts zum Thema "Nein aus Irland" überlegt. "Offiziell gibt es keinen ,Plan B oder sonst ein Negativ-Szenatio", heißt es aus der Österreichischen Vertretung der EU-Kommission in Wien. Natürlich liege ein ablehnendes Votum "im Bereich des Möglichen". Daran will man jedoch anscheinend nicht denken - denn: Dann werde sich "ziemlich viel Unerwartetes abspielen", so der ängstliche Kommentar.
Was dies sein könnte, versucht der Wiener Rechtsexperte Heinz Mayer auszuleuchten: "Der Verttrag von Nizza kann nicht in Kraft treten." Höchstwahrscheinlich müssten besondere Abkommen zwischen Irland und den restlichen EU-Mitgliedern geschlossen werden. Mayer: "Die Iren würden in der alten EU sitzen bleiben, die anderen wären in der neuen Gemeinschaft."
Was laut einer Umfrage der "Irish Times" in der Bevölkerung am stärksten für ein "Ja" spricht, ist "die Möglichkeit für andere Staaten, von einem EU-Beitritt zu profitieren sowie die friedenserhaltende und stabilisierende Funktion der Gemeinschaft. Die Argumente der Nizza-Gegner seien hingegen: Irland könnte bei einem "Ja" an Macht und Idetität verlieren gefolgt von der Angst um die eigene Neutralität.
Ein weiteres Problem für die irischen Nizza-Befürworter könnte werden, dass die Iren das Referendum nicht als rein europapolitische Entscheidung ansehen. Vielmehr könnten sie der eigenen Regierung einen Denkzettel verpassen. "Wenn das Wahlvolk der Meinung sein sollte, die irische Regierung verdiene eine blutige Nase, dann war´s das für den Vertrag", so die Dubliner Politologin Brigid Laffan.
Diese Einschätzung erscheint realistisch, zieht man eine ganze Reihe politischer Skandale in Betracht, die der Regierung von Bertie Ahern derzeit zu schaffen machen. So wurden kürzlich Pläne zu massiven Budgetkürzungen bekannt. Und das, obwohl die irische Regierungspartei Fianna Fail vor den Wahlen im vergangenen Mai den Wählern versichert hatte, dass die öffentlichen Finanzen in Ordnung seien. Daneben erregen massive Korruptionsvorwürfe gegen ein ehemaliges Regierungsmitglied Aherns, Ray Burke, die Gemüter. Der Politiker soll über 300.000 Dollar an Bestechungsgeldern kassiert haben. Zu guter Letzt geriet der Koordinator von Aherns Pro-Nizza -Kampagne, P.J. Mara, ins Zwielicht. Er soll in dubiose Geldgeschäfte und Steuerhinterziehung verwickelt sein.
Eurokraten unerwünscht
Die Möglichkeiten der EU selbst, dem bedrängten irischen Ministerpräsident zu Hilfe zu eilen, sind beschränkt: Auftritte von EU-Kommissaren auf der Insel waren vor dem Referendum waren von Ahern selbst nicht erwünscht, denn die Eurokraten erfreuen sich dort keiner großer Beliebtheit. Die Erfahrung machte auch EU-Agrarkommissar Franz Fischler, der extra eine lang geplanten Besuch absagte, um mit seinen umstrittenen Agrar-Sparplänen keinen Unmut zu erregen. Dessen ungeachtet haben es sich irische EU-Größen wie EU-Parlamentspräsident Pat Cox nicht nehmen lassen, in ihrem Heimatland massiv für ein Ja zu Nizza zu werben.
Die Kritiker des Nizza-Vertrages wie die irischen Grünen und Sinn Fein unter ihrem Langzeit-Leader Gary Adams sind jedenfalls der Ansicht, dass der Vertrag die traditionelle irische Neutralität und die ohnedies fragile irische Wirtschaft gefährdet, da Dublin hier die Kontrolle verlöre. Die Allianz der Gegner wird durch so unterschiedliche Gruppen wie Globalisierungsgegnern und konservativen Katholiken verstärkt.
Die Nizza- Befürworter, darunter alle Regierungsparteien, erinnern die Wähler daran, dass letztlich nur durch die EU-Integration das vielzitierte irische Wirtschaftswunder der letzten Jahre möglich geworden war. Das alles stünde nun bei einem "Nein" auf dem Spiel.