"Smarter" Umweltschutz funktioniert laut MA22-Chefin nur mit Kooperationen.
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Wien. Die Juristin Karin Büchl-Krammerstätter ist die Leiterin der Umweltschutzabteilung (MA22). Mit der "Wiener Zeitung" spricht sie über das "smarte" und nachhaltige Wien und ihre Rolle als Spaßbremse in der Baulobby.
"Wiener Zeitung": Sie haben gesagt, Sie sehen Wien aus einer anderen Perspektive - wie sieht diese Perspektive aus?Büchl-Krammerstätter: Die meisten Menschen sehen Wien als Kulturhauptstadt mit ihren Prachtbauten und ihrer Musikgeschichte. Dass wir aber eine riesen Artenvielfalt haben, wissen die wenigsten. Es gibt hier zum Beispiel mehr als 800 geschützte Tiere und Pflanzenarten, weil die Stadt mit ihren verschiedenen Klimazonen besonders gute Voraussetzungen für die unterschiedlichsten Lebensräume schafft.
Wo sind diese Lebensräume?
In Parks, Friedhöfen, landwirtschaftlichen Zonen, Weingebieten, Wäldern und Wiesen, aber auch im dicht bebauten städtischen Gebiet. Von den 26 in Österreich vorkommenden Fledermausarten sind mehr als 20 in Wien heimisch. Auf der Ringstraße gibt es Käuzchen, der Eisvogel überwintert bei uns, und auch die Nachtigall ist in Wien zu hören.
Woran liegt das?
Unsere Gebäude kommen etwa den Fledermäusen sehr zugute. Es werden bewusst Nischen geschaffen, wo die Tiere nisten können, bei Dachböden werden Ein- und Ausfluglöcher frei gehalten. Wir tun auch viel dafür, etwa mit unserem Arten- und Lebensschutzprogramm, das sich Netzwerk Natur nennt: In jedem Bezirk wird geschaut, welche Tiere und Pflanzen dort vorkommen, und erhoben, welche Maßnahmen man setzen muss, um diese zu
erhalten. Dazu gehören auch
eine Reihe bewusstseinsbildender Maßnahmen, wie etwa Vogelstimmen- und Fledermausführungen. Die wenigsten wissen zum Beispiel, dass eine Fledermaus pro Jahr einen Kilo Insekten frisst.
Und welche besonderen Pflanzen gibt es Wien?
Zum Beispiel der Diptam, der in den alten Schanzen am Fuße des Bisambergs vorkommt - eine streng geschützte Pflanze, die viele ätherische Öle enthält. Es gibt ganz tolle Orchideenarten, auch die Kuhschelle ist bei uns zu finden. Und eine besondere Unterart der grünen Schneerose wächst auch nur in Wien.
Gibt es in Wien mehr Artenvielfalt als in anderen EU-Städten?
Bei solchen Rankings muss man immer aufpassen, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht. Ich kann nur sagen, dass mehr als 800 geschützte Arten sehr viel sind, und wir viel dazu beitragen, diese zu erhalten. Dabei reicht es nicht, Schutzgebiete zu benennen, es geht um die Vernetzung in der gesamten Stadt.
Wie macht man das?
Für Heuschrecken etwa genügt es, kleine Trittsteine oder Blenden freizulassen, damit sie von einer Fläche zur anderen wandern. Es braucht nicht viel, man muss es nur mitdenken. Für die Mauersegler haben wir zum Beispiel ein Modell entwickelt, das besonders bei Gründerzeithäusern zur Anwendung kommt: Hier werden bei den Zierkonsolen ganz schmale Spalten freigelassen, damit sie dort nisten können. Wenn bei einer Sanierung diese Spalten aus Unwissenheit zugemacht werden, gibt es keine Mauersegler mehr. Für Mehlschwalben werden in Kooperation mit Wiener Wohnen Tümpel stehen gelassen, damit sich die Vögel Lehmkugeln für ihre Nester holen können.
Wie holt man dafür die Bevölkerung ins Boot?
Durch Bewusstseinsbildung und Partizipation. Zu einem eigenen Tagfalterbuch haben zum Beispiel Meldungen der Bevölkerung beigetragen.
Werden Sie nicht gerade in der Baulobby oft als Spaßbremse bezeichnet, weil Sie sich für Artenschutz einsetzen und deswegen viele Projekte verhindern müssen?
Der erhobene Zeigefinger bringt gar nichts. Wir wollen das Gefühl vermitteln, dass gewisse Maßnahmen Sinn machen und in den meisten Fällen eigentlich nichts kosten. Dafür wurde auch eine Kooperationslehrveranstaltung mit Boku und TU ins Leben gerufen, um die angehenden Baumeister und Architekten für dieses Thema zu sensibilisieren. Wir sind auch beim Bau des Krankenhauses Nord eingebunden, das ja für seine Nachhaltigkeitsagenda sogar international ausgezeichnet wurde. Gerade in Zeiten, wo man sparen muss, hat Nachhaltigkeit einen großen Stellenwert - Stichwort Smart City oder Öko-Businessplan. Es wird der CO2-Ausstoß minimiert, gleichzeitig werden Kosten eingespart und die Menschen bekommen ein neues Lebensgefühl.
Ist hier bereits genügend Bewusstsein für Nachhaltigkeit vorhanden?
Wir arbeiten daran. Wir haben gesehen, dass in der Vergangenheit kaum jemand die Pläne in die Hand genommen hat, um nachzusehen, wo ein Schutzgebiet ist. Deswegen haben wir auf www.wien.gv.at/umweltgut eine Plattform eingerichtet, auf der man schnell erkennen kann, welche Liegenschaften wie gewidmet sind und welchen naturschutzrechtlichen Status sie aufweisen.
Werden nicht auch oft bewusst bestimmte Schutzbestimmungen ignoriert und Strafen in Kauf genommen beziehungsweise der Instanzenzug genutzt, um solche Bescheide zu verschleppen?
Immer seltener. Die Stadt ist hier streng geworden. Als Worst Case gibt es einen Wiederherstellungsbescheid. Das Land Wien hat auch das Naturschutzgesetz nachgeschärft, um Grundstücksbesitzer zu verpflichten, Rechtsnachfolger auf mögliche Schutzzonen hinzuweisen.
Und eine Zieselpopulation kann ein ganzes Bauprojekt stoppen.
Der Umgang mit geschützten Arten bei Bauprojekten ist immer eine Gratwanderung, keine Frage. Hier ist es wichtig, darüber nachzudenken, wie man die Lebensräume der geschützten Arten erhalten kann. Meine Sorge ist generell, dass es Leute gibt, die geschützte Arten genau aus diesem Grund loswerden wollen. Dem versuchen wir etwa mit Vertragsnaturschutz zu begegnen.
Wie funktioniert das?
Wir schließen mit den Bauern Verträge ab, dass sie Teile ihrer Felder brachliegen lassen oder Ackerrandstreifen machen, damit sich geschützte Pflanzen und Insekten ansiedeln können.
Aber genau das schränkt doch dann die Nutzung ein.
Das stimmt eben nicht. Längerfristig gesehen bringen solche Maßnahmen auch dem Bauern etwas. Die Böden werden besser und die Artenvielfalt bringt das Ökosystem ins Gleichgewicht. Wir wollen gemeinsam zu guten Lösungen kommen. Wenn ich eine Spaßbremse bin, dann dort, wo nur schwarz-weiß gedacht wird.
Wenn Wien so smart und nachhaltig ist, wie kann es sein, dass man die größte Passivhaus-Siedlung Europas baut und keine nachhaltigen Materialien verwendet wurden?
Ich kenne dieses Projekt nicht im Detail und daher zu wenig, um dazu Konkretes zu sagen, ich kann mir aber vorstellen, dass es sich hier um ein Pilotprojekt handelt, und Pilotprojekte sind auch dafür da, um Lernprozesse zu initiieren. Es gibt aber natürlich einen Handlungsbedarf in der Ausbildung, was den Bereich ökologischer Gesamtzusammenhänge im Wohnbau betrifft. Das bestätigen auch TU und Boku.