Zwei Bezirke, zwei Meinungen: Zwei Allgemeinmediziner in Wien über die geplanten Erstversorgungszentren.
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Teure Wahlärzte, lange Wartezeiten: Mehr und mehr Patienten ziehen Spitalsambulanzen den niedergelassenen Ärzten vor. Beide leiden allerdings an Überlastung. Mit der Gesundheitsreform will man diesen Zustand ändern, Spitalsträger und Krankenkassen wollen sich künftig besser aufeinander abstimmen, außerdem sind Primärversorgungszentren, die Primary Health Care Zentren, geplant. Diese sollen eine medizinische Grundversorgung sicherstellen und von mehreren Ärzten aus der Allgemeinmedizin und dem Fachbereich sowie aus Krankenschwestern und Fachpersonal aus Gesundheitsberufen betrieben werden. Erste Planstellen soll es bereits 2016 geben. Ein Weg in die Zwei-Klassen-Medizin oder ein willkommenes Netzwerk mit Ambulanzcharakter?
"Im Krankenhaus hat man eine Morgenbesprechung, eine Mittagsbesprechung, dazwischen etwa eine Röntgenbesprechung. Ärzte, Schwestern und Pfleger laufen sich ständig über den Weg, sie haben so die Möglichkeit, sich auszutauschen. Auch für niedergelassene Ärzte ist es wichtig, ein solches Netzwerk zu haben. Denn manchmal muss man als Arzt einem Patienten auch sagen können: 'Es tut mir leid, darauf kann ich Ihnen im Augenblick noch keine Antwort geben.'" Für den Wiener Allgemeinmediziner Michael Mayr wären Versorgungszentren ein wichtiger Schritt in die diese vernetzte Ärzteschaft, die wiederum dem Patienten zugutekommt. Allerdings nur unter der Voraussetzung, nämlich dass sie wie Ambulatorien funktionieren. Ein Beispiel: "Eine sehr unangenehme Situation entsteht, wenn am Freitagnachmittag jemand mit einem Problem kommt. Zwar komme ich sehr nahe an die Diagnose und Problemlösung ran, aber vor Montag gibt es keinen Ultraschall und kein Röntgen. Da muss man entscheiden: Ist das jetzt so dringlich, dass der Patient die Tagesambulanz braucht oder nicht." Da wäre es schon ein riesiger Vorteil, wenn es solche ambulanten Zentren gäbe, betont Mayr im Interview.
Weniger rosig sieht das die Ärztin Beatrix Patzak, die im 20. Bezirk in Wien praktiziert. Weder für die Qualitätsversorgung noch für die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten würden diese Erstversorgungszentren von Vorteil sein, sagt sie. "Ich sehe natürlich den Bedarf, aber unser System ist nicht darauf aufgebaut. Ich befürchte, dass es damit zu einer Zwei-Klassen-Medizin kommt. Denn derjenige, der nicht gut Deutsch spricht, der sich nicht auskennt, der am Rande zur Armut lebt, der landet im Primary Health Care, wo billig und rational schnell verwaltet wird. Aber kennt sich ein Patient ein bisschen aus und spricht ein bisschen Deutsch, dann wird er versuchen, zum praktischen Arzt zu gehen, der auch sein Arzt des Vertrauens ist." Patzak glaubt nicht, dass die Primary Care Center so vertrauensaufbauend sein können, dass eine wirklich tragende medizinische Beziehung zu den Patienten aufgebaut werden kann. "Das wird mehr zum Durchläufer, so wie wir es aus dem Fernsehen kennen und so wie wir uns das alles vorstellen", sagt sie im Interview. "Es kommt ein Kranker herein und wird dann von irgendeiner Schwester oder einem Arzt versorgt – er kennt ihre Namen nicht, und am Tag darauf praktizieren dort vielleicht ganz andere Ärzte und Schwestern". Das bedeute allerdings nicht, dass wir diese Primary-Health-Care-Zentren nicht bräuchten, ergänzt sie.
Unterschiedlicher könnten die Befunde nicht ausfallen. Sie stehen auch stellvertretend für die sehr heterogene Zusammensetzung der Ärzte insgesamt. Patzak: "Wir sind eine sehr inhomogene Gruppe und daher keine große Kraft gegen andere. Eigentlich sind wir Individualisten." Gerade deshalb sollten alle Ärzte und Gesundheitsberufe am gleichen Strang ziehen, meint wiederum der Arzt Michael Mayr: "Wir können den Menschen nur deshalb so gesund halten, weil wir alle zusammen versuchen, das Beste draus zu machen."
Primärversorgung
Für die Patienten solle die Primärversorgung zur ersten Anlaufstelle im Gesundheitssystem werden. Sie sollen örtlich und zeitlich gut erreichbar sein (auch am Abend, am Wochenende, per Telefon und Web und durch Hausbesuche), neben Krankheitsbehandlung auch Gesundheitsförderung und Prävention anbieten und die Lotsenfunktion durch das gesamte Gesundheitswesen übernehmen. Die freie Arztwahl bleibt bestehen, Patienten sollen sich aber über längere Phasen (über das Quartal hinaus) binden können. Doppelte Arztwege sollen somit vermieden und Wartezeiten verkürzt werden. Der Hausarzt, die Hausärztin kann sich in Zukunft mit anderen Gesundheitsberufen stärker vernetzen und erhält die Möglichkeit, in einem Team zusammenzuarbeiten.