Aktive Qualitätskontrolle der Einrichtungen notwendig. | An Bundesstaatsreform führt kein Weg vorbei. | "Wiener Zeitung": Haben Sie irgendein gesundheitsschädliches Laster?
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Christian Köck: Ich glaube, es wäre gesünder, würde ich früher zu Abend essen. Aber ich rauche nicht, ich trinke wenig, gesundheitsgefährdende Sportarten treibe ich nicht.
Sind die Zigarettenpreise in Österreich hoch genug?
Mit Sicherheit könnte ein höherer Preis etwas bringen. Aber Nikotin ist die suchtmachendste Substanz, die es in größerer Verbreitung gibt, stärker als Kokain oder Heroin. Es ist ökonomisch daher nicht überraschend, dass bei einem Suchtmittel der Preis ein vergleichsweise nebensächlicher Faktor ist.
Was wären geeignete Maßnahmen gegen das Rauchen?
Die wichtigste Maßnahme ist jene, die sich die Politik nicht traut, nämlich eine eindeutige Regelung zum Nichtraucherschutz. In Österreich sterben pro Jahr 400 bis 500 Menschen durch Passivrauchen. Die Feigheit und die politische Inkompetenz der Handelnden sind wirklich gefährlich.
Die Regelung bezüglich rauchfreier Zonen in Lokalen halten Sie demgemäß nicht für ausreichend?
Ich halte das für Augenauswischerei. Rauchen ist der größte Killer in unserer Gesellschaft, auf den 25 Prozent aller Todesfälle zurückzuführen sind. Wenn das Wirtschaftsministerium versuchen würde, die Wirte zu schützen, würde ich das verstehen. Aber dass das Gesundheitsministerium argumentiert, dass man auf die Wirte Rücksicht nehmen müsse, kann ich nicht nachvollziehen.
Was wäre die wichtigste gesundheitsökonomische Maßnahme, die eine neue Regierung beschließen sollte?
Das Ziel müsste ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem sein. Damit wäre auch die seltsame Situation beseitigt, dass die Sozialversicherungen in den normalen Budgetverhandlungen weitgehend ausgeklammert sind. Dann könnten wir sagen: Was geben wir für Schule aus, was für Gesundheit, was für Autobahnen und Umweltschutz? Dann könnten wir klarere Entscheidungen treffen, wie Prioritäten zu setzen sind.
Das liefe auf eine Abschaffung der Sozialversicherungen hinaus?
Nicht unbedingt. Die Strukturen des Hauptverbandes könnten bestehen bleiben, denn das Geld muss ja verteilt werden. Natürlich gehört das alles einem starken Gesundheitsministerium unterstellt. Die wichtigste Maßnahme einer neuen Regierung wäre allerdings, dass man sich eingestehen müsste, dass wir ein gesundheitspolitisches Problem haben, anstatt, wie alle vergangenen Regierungen, zu sagen: Österreich hat das beste Gesundheitssystem der Welt.
Das stimmt also nicht?
Es gibt jedenfalls überhaupt keine Belege dafür, dass es so ist, weil es nur unzureichende Daten gibt. Ich glaube, dass unser Gesundheitssystem etwa beim Zugang zu akuter medizinischer Versorgung, in den großen Spitälern durchaus sehr gut ist.
Und wo hat es Mängel?
Ein großes Problem auf der Kosten- wie auf der Qualitätsseite sind die vielen kleinen Landkrankenhäuser. Weiters haben wir große Fehlverteilungen bei niedergelassenen Ärzten: In Salzburg gibt es meines Wissens nur zwei oder drei niedergelassene Psychiater, im Burgenland wartet man manchmal vier bis sechs Monate auf einen Gynäkologen-Termin. Und wie die Qualität der Leistungen der Ärzte oder Spitäler ist, wissen wir gar nicht, weil sich niemand bemüht, sie zu messen.
Sie fordern also eine effektive Qualitätskontrolle?
Sie können über jeden Tee oder Kugelschreiber in Konsumentenmagazinen Testberichte lesen, aber über Ihr Krankenhaus können Sie nichts erfahren. Ein aus meiner Sicht unhaltbarer Zustand, weil die Bürger Anspruch darauf haben zu erfahren, wie gut die Leistungen sind, die sie mit ihren Steuern bezahlen. Und zweitens ist Qualitätskontrolle eine absolute Notwendigkeit, um steuernd eingreifen zu können.
Wie sieht es mit der Qualitätskontrolle im Bereich der niedergelassenen Ärzte aus?
Wenn sogar eine von der Ärztekammer beauftragte Untersuchung zum Ergebnis kommt, dass man 1500 Praxen eigentlich sperren müsste, weil sie den ohnehin absurd niedrigen Qualitätskriterien nicht entsprechen, dann kann man erahnen, was sich in diesem Bereich abspielt. Grundsätzlich sollte die Republik und nicht die Standesvertretung garantieren, dass jeder Arzt kann, was er können muss.
Derzeit garantiert das doch eigentlich niemand.
In gewisser Weise tut es die Ärztekammer, indem sie eine Lizenz vergibt. Aber das ist natürlich keine Garantie im Sinne einer Haftung. Aus meiner Sicht ist es eine staatliche Aufgabe, mich vor schlechter Qualität in der medizinischen Behandlung zu schützen. Da wäre etwa, wie es in Amerika vorgeschrieben ist, eine alle fünf Jahre zu wiederholende Zertifizierung ein Schritt in die richtige Richtung. Da kann man sich die USA als Vorbild nehmen. Deshalb ist die Aussage, dass wir das beste Gesundheitssystem der Welt haben, mit Sicherheit nicht haltbar. Sie ist auch politisch unsinnig. Wenn ich Reformen vornehmen möchte, kann ich nicht vorher sagen, wir haben das allerbeste System der Welt.
Eine weitgehend akzeptierte Tatsache ist, dass Österreich zu viele kleine Krankenhäuser hat.
Wenn wir die Krankenhauszahl und die Aufenthaltsdauer auf den europäischen Durchschnitt senken, ergibt das erhebliches Einsparungspotenzial, das eigentlich ein Verteilungspotenzial ist. Wir haben es berechnet, der Rechnungshof hat es berechnet, das IHS hat es berechnet: Es gibt zwei bis drei Milliarden Euro Rationalisierungspotenzial, das durch Aufhebung von Fehlverteilungen zur Verfügung stünde. Kleine Häuser, die den ganzen Gemüsegarten abdecken müssen, können aufgrund der geringen Frequenz, in der sie mit bestimmten Erkrankungen und Verletzungen konfrontiert sind, niemals das gleiche Qualitätsniveau wie größere Schwerpunktkrankenhäuser erreichen.
Wie würden Sie Landeshauptleute und Lokalpolitiker davon überzeugen, regionale Krankenhäuser zu schließen?
Ich glaube, dass an einer Bundesstaatsreform kein Weg vorbei führt. Sie können ein Krankenhaus nicht schließen, wenn das von der Entscheidung des Bürgermeisters oder des Landeshauptmannes abhängt. Deswegen gehören solche Entscheidungen nach Wien verlagert. Je größer die geografische Distanz, umso wahrscheinlicher ist es, dass rationale Entscheidungen getroffen werden. Überall dort, wo Partikularinteressen oder ihre Ausübung zur Schädigung des gesamtstaatlichen Interesses führen, gehört zentralisiert.
Sie befürworten eine steuerbasierte Finanzierung des Gesundheitssystems. Das hätte zur Folge, dass Besserverdiener mehr als jetzt zur Finanzierung beitragen müssten, obwohl sie das Gesundheitssystem tendenziell weniger in Anspruch nehmen.
Wenn man eine solidarische Finanzierung haben will, dann ist das tendenziell so. Ich bin überzeugt, dass es ökonomisch nicht sinnvoll ist, das Gesundheitssystem hauptsächlich über den Faktor Arbeit zu finanzieren. Ich glaube, eine Steuerfinanzierung wäre richtig, damit würden politische Entscheidungsprozesse einfacher, und wir würden uns Scheindiskussionen ersparen.
Welche zum Beispiel?
Ob die Krankenkassen in Konkurs gehen zum Beispiel. Denn natürlich wissen wir, dass sie nicht in Konkurs gehen können. Aber es braucht politischen Mut, um nicht weiter Geld mit Heugabeln zum Fenster hinaus zu schaufeln. Denn wenn wir nichts tun, wird das System so ausgehöhlt, dass die auf der Strecke bleiben, die es am nötigsten brauchen.
Sie meinen, dass die Leistungen der Kassen gekürzt und die Wartezeiten immer länger werden?
Es wird sicher eine Mengendeckelung geben und eine Indexierung der Preise. Dann entstehen Warteschlangen, und wer die Warteschlange abkürzen will, muss privat zahlen. Natürlich kann man sagen: Ob ein Patient mit Grauem Star in drei Monaten oder sofort operiert wird, ist nicht so entscheidend. Aber es ist ein Schritt in die Zwei-Klassen-Medizin. Und wenn sich das ausweitet, ist klar, wer übrig bleibt.
Ist der gleichberechtigte Zugang zur Gesundheitsversorgung nicht immer bloß eine Fiktion gewesen?
Das System des gleichberechtigten Zugangs zur Gesundheitsversorgung ist ein wesentlicher Grundbaustein unserer Gesellschaft. Ich halte das für eine der größten Kulturleistungen des 19. und 20. Jahrhunderts, dass es unseren Gesellschaften gelungen ist, vor Krankheit und Tod so etwas wie eine Gleichheit in Hinblick auf Einkommen zu schaffen. Bei allen Unschärfen führen Einkommensunterschiede zumindest nicht mehr dazu, dass jemandem die medizinische Versorgung verweigert wird.
Zur PersonChristian Köck wurde 1958 als Sohn des Elektrohandelsunternehmers Walter Köck geboren, studierte in Wien Medizin und absolvierte eine Ausbildung zum Allgemeinmediziner sowie Psychotherapeuten. Danach studierte er Gesundheitspolitik und Gesundheitsökonomie an der Harvard University. Von 1990 bis 1995 gehörte er dem Vorstand des Wiener Krankenanstaltenverbundes an, wo er für die Bereiche Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagement verantwortlich war. Köck gilt als führender österreichischer Gesundheitsökonom und lehrt Gesundheitspolitik sowie Gesundheitsmanagement an der Universität Witten/Herdecke in Deutschland.