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Nicht zu fassen

Von Walter Hämmerle

Politik

Seit 30 Jahren versuchen Konkurrenten, Experten und Medien, die Natur der FPÖ zu verstehen.


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Wien. 30 Jahre sind eine lange, sehr lange Zeit sogar. Man sollte meinen, das genüge, um sich über die Natur einer politischen Bewegung Gewissheit zu verschaffen. Nicht in Österreich, nicht über die FPÖ, die Freiheitliche Partei Österreichs. Seit Jörg Haider beim turbulenten Innsbrucker Parteitag der FPÖ 1986 fast handstreichartig die Parteiführung übernahm, arbeitet sich die Öffentlichkeit an der Natur dieser Freiheitlichen ab. Das hat sich auch mit Heinz-Christian Strache nicht geändert, der seit 2005 an der Spitze der FPÖ steht.

Sind die Blauen rechts, rechtsaußen, gar rechtsextrem, wie die Linke behauptet? Oder sind sie eine simple Protestpartei ohne großen ideologischen Überbau, wie Haider-Interpreten immer wieder betonten? Ist die FPÖ gar linkspopulistisch, was den Zustrom enttäuschter SPÖ-Wähler erklären würde? Im Unvermögen, das Phänomen der FPÖ zu fassen, liegt auch eine der Ursachen, warum - bisher jedenfalls - die Konkurrenz daran scheitert, eine einigermaßen kohärente und praktikable Antwort auf die Kampfansage der FPÖ an das Politiksystem der Zweiten Republik zu formulieren.

Was also ist die politische Natur der FPÖ?

Einer, der es wissen müsste, ist Andreas Mölzer. Der langjährige EU-Mandatar war über Jahrzehnte hinweg der Intellektuelle der Partei; vergangenes Jahr stolperte er über seinen Sager, wonach sich die EU fragen müsse, ob sie "ein Negerkonglomerat" sein wolle, beherrscht von einer "Bande von Lobbyisten". Die Natur der Blauen vermag auch Mölzer nicht auf einen Nenner zu bringen: Die FPÖ habe als Auffangbecken minderbelasteter Anhänger des Nationalsozialismus begonnen und sich dann zu einer rechtspopulistische Protestpartei entwickelt, die sich bei Bedarf und Nachfrage linkspopulistischer Themen bediene; gleichzeitig funktioniere die Partei bis heute, etwa in Oberösterreich, noch immer als nationalliberale Honoratiorenpartei alten Schlags.

Ein Chamäleon ist gegen die FPÖ ein eintöniges Wesen.

David Ellensohn, Klubchef der Grünen im Wiener Rathaus und als solcher Antipode zu den Blauen, kann gar nicht anders, als bei der Frage nach der Natur der FPÖ emotional zu argumentieren: "Ihr hauptsächliches Wesen ist die Angst, sie fürchten sich vor allem Neuen, vor dem Verlust des Bestehenden. Sie vermitteln den Menschen, dass der morgige Tag schlechter sein wird als der heutige. Wer sich aber vor allem fürchtet, mit dem kann man nicht arbeiten - nicht im Privaten und auch nicht in der Politik. Wenn jeder so denken würde wie die Freiheitlichen, dann hätte sich die Menschheit nie weiterentwickelt."

Diese negative psychologische Grunddisposition ist in ihren Folgen für Ellensohn gravierender als der Hang zum Alltagsrassismus, den der Grün-Politiker der FPÖ attestiert.

Emotionen sind nicht die Sache Lothar Höbelts. Der Historiker und FPÖ-Kenner bringt das Phänomen prosaischer auf den Punkt: "Natürlich sind die Freiheitlichen Rechtspopulisten. Sie haben Erfolg, obwohl niemand genau sagen kann, wofür sie stehen, am ehesten weiß man, wogegen sie sind. Das ist aber auch nicht wichtig, Hauptsache, die Partei kann wieder abgewählt werden." Dass die FPÖ keine geschlossene Weltanschauung vertritt, habe sie mit allen anderen Parteien gemeinsam: "Die großen Utopien haben ausgedient, sie sind den Menschen auch nicht mehr vermittelbar, die FPÖ verkörpert dieses allgemeine Dilemma nur besonders anschaulich", erläutert Höbelt.

Aber warum scheitert die politisch Konkurrenz seit 30 Jahren, der FPÖ das Wasser abzugraben?

"Die anderen Parteien sind zu zögerlich, ihre Botschaften genau so pointiert wie die FPÖ zuzuspitzen", ist Eva Maltschnig überzeugt. Dabei hat die Ökonomin und Vorsitzende der kritischen Wiener SPÖ-Basisbewegung "Sektion 8" durchaus Sympathien für die Zauderer: "Die Welt ist schließlich kompliziert, und die FPÖ setzt sich auf jede Empörungswelle und versteht es meisterhaft, diese für ihre eigenen politischen Zwecke zu nutzen."

Womöglich, so Maltschnig, führe aber tatsächlich kein Weg vorbei an einem Linkspopulismus als Gegenmittel zum Rechtspopulismus. Als Kronzeugin führt sie die linke belgische Politikwissenschafterin Chantal Mouffe an, die ihre Hoffnungen auf linkspopulistische Bewegungen wie Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien setzt. Wobei Maltschnig aber schon zu bedenken gibt, dass sich der Weg der Syriza-Regierung in Athen erst noch als erfolgreich herausstellen muss.

Die FPÖ haben viele Konservative noch unter Jörg Haider als Bestandteil des sogenannten bürgerlichen Lagers gesehen. Für manche gilt das auch für die FPÖ unter Heinz-Christian Strache. Davon will Wolfgang Gerstl, der Verfassungssprecher der ÖVP im Nationalrat, nichts wissen: "Ja, es gibt thematische Übereinstimmungen zwischen Volkspartei und Freiheitlichen, etwa in wirtschaftlichen Fragen. Aber insgesamt betreibt die FPÖ reine Wählerstimmen-Maximierung." Für dieses übergeordnete Ziel seien die Blauen sogar bereit, ihre Großmütter zu verkaufen. Gerstl: "Die FPÖ will alle sozial Frustrierten einsammeln, das ist ihre politische Quintessenz."

Über mögliche Koalitionen macht sich Gerstl keine Illusionen: "Die FPÖ will in Österreich an die Macht, diesem Ziel ordnet die Partei strategisch alles unter. Und deshalb wird sie auch nur als stimmenstärkste Kraft in eine Koalitionsregierung gehen."

Zumindest die Sache mit der "bürgerlichen Mehrheit" sieht auch Mölzer so: "Seit Haider alle frustrierten SPÖ-Wähler zur FPÖ holte, hat dieses Konzept in Österreich kein politisches Substrat mehr."

Regieren will die Partei, und zwar ganz ohne Zweifel unbedingt. Nur scheiden sich nicht erst seit dem Hypo-Milliarden-Debakel an der Regierungsfähigkeit der Freiheitlichen die Geister in der Republik.

Die Zweifel beginnen bei Strache, dem Parteichef. Was unterscheidet ihn von Jörg Haider, dem Übervater der Partei? "Strache ist eine weniger irrlichternde Persönlichkeit als Haider", sagt Mölzer, der sich 2004 bei der Abspaltung des BZÖ gegen Haider stellte. Für Mölzer war Haider "weder zu Themen noch zu Personen loyal, Strache hat diese Loyalität sehr wohl, und das hat sich für ihn zum politischen Asset entwickelt."

Und kann Strache auch regieren? "Mein Gott, so gut wie alle anderen halt auch", gibt sich Historiker Höbelt hier keinen großen Illusionen hin. Das steht für Mölzer außer Frage, zumal er überzeugt ist, dass "wenn die Mehrheiten sich ändern, dann auch die Technokraten kommen, die das Regierungshandwerk beherrschen". Höbelt ist skeptischer: Ministrable Kandidaten zu finden, werde kein Problem sein, sehr wohl aber unterhalb der Kabinettsebene ein Netzwerk an Vertrauensleuten in der Verwaltung aufzubauen. "Das wird die größte Herausforderung für die FPÖ."

Eine grundsätzliche Regierungsunfähigkeit will auch die SPÖ-Aktivistin Eva Maltschnig der FPÖ nicht absprechen - "denn dann müsste man die FPÖ konsequenterweise ja verbieten". Aber sie hält es für politisch unverantwortlich, weil über das freiheitliche Netzwerk auch Personen mit rechtsextremen Haltungen an Schlüsselstellen gelangten. Maltschnig meint: "Als Rote kann man nicht mit Blauen regieren."

Aus freiheitlicher Perspektive stellt sich das deutlich anders dar: Historisch habe die FPÖ trotz etlicher inhaltlicher Überschneidungen mit der ÖVP stets lieber zur SPÖ tendiert; doch seit den Erfahrungen mit Schwarz-Blau gilt die Volkspartei in blauen Kreisen laut Mölzer als "falscher Fünfziger". Langfristig bleibe die ÖVP jedoch der naheliegendere Koalitionspartner, gibt sich Höbelt überzeugt, auch wenn kurzfristig ein Pakt mit der SPÖ - wie er nun im Burgenland vereinbart wurde - politisch den größeren Effekt auslöst. Ausgerechnet der schwarze Verfassungssprecher Gerstl widerspricht entschieden: Die FPÖ sei sicher nicht der natürliche Regierungspartner für die ÖVP, da hätten die Blauen schon mehr Schnittstellen mit den Roten.

Wenigstens in dieser Frage hat das Burgenland für Klarheit gesorgt.