Zum Hauptinhalt springen

Nichtangriffspakt in Kraft getreten

Von Alexander Mathé, Bratislava und Ines Scholz

Politik

Ein Nichtangriffspakt hat den Gipfel zwischen US-Präsident George W. Bush und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin gestern in Bratislava geprägt. Themen wie der Vorwurf mangelnder Demokratie und Pressefreiheit in Russland wurden ausgeklammert. Im Vordergrund stand der gemeinsame Kampf gegen den Terror.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Bei eisigen Temperaturen fand gestern der Ost-West-Gipfel zwischen dem amerikanischen George W. Bush und Wladimir Putin statt. Genauso eisig wie das Wetter gestaltete sich zunächst das Treffen der beiden in Bratislava: Ankunft im Burghof, Überschreiten des Roten Teppichs und weg wären sie gewesen, hätten durchfrorene Fotografen nicht noch zehn Sekunden für ein paar Bilder eingefordert. Ein obligates Lächeln, einmal kurz gewinkt - an einen Handschlag gar nicht zu denken, und die zwei verschwanden im Kastell Hrad. - Eiszeit in Bratislava. Schon bangte manch einer um den erhofften Frühling zwischen den beiden Ländern. Schließlich war die Beziehung bereits im Vorfeld des Treffens hart an der Frostgrenze gewesen. Bush hatte wiederholt einen Demokratisierungsprozess in Russland gefordert und damit das in diesen Belangen ohnedies dünne Nervenkostüm Putins strapaziert.

"Machtspiele"

Umgekehrt warf das Sprachrohr der russischen Außenpolitik, Minister Sergej Lawrow, den USA vor, in den ehemaligen Sowjetrepubliken Machtspiele wie zur Zeit des Kalten Krieges zu betreiben. Im Warmen tauten die Staatsoberhäupter dann sichtlich auf und reichten einander die Hand. Als die zwei schließlich nach einem dreistündigen Gespräch auf der Pressekonferenz erschienen, mochte manch einer denken, ein Kaminfeuer hätte die Herzen erwärmt - zumindest was Bush anbelangt. Euphorisch erklärte er, dass man sich in Belangen Atompolitik und Terror geeinigt habe.

Gemeinsame Atomstrategie

"Wir sind uns einig: Weder der Iran noch Nordkorea dürfen nukleare Waffen besitzen", war Bush begeistert. Wie genau dabei die weitere Vorgehensweise aussehen sollte blieb unterdessen allerdings offen. Noch vor Kurzem hatten die USA mit Missmut hinnehmen müssen, dass Russland das iranische Atomkraftwerk Bushehr mit Brennstäben bestücken wird. In Amerika hegt man die Befürchtung, dass aus diesem Material Atomwaffen hergestellt werden könnten. Im Hintergrund steht dabei die Angst vor dem Aufkommen eines Terrorismus mit Massenvernichtungswaffen.

In diesem Punkt sind sich die Großmächte aber einig: Man werde dem Terrorismus gemeinsam den Riegel vorschieben. Um ein Zeichen zu setzen, hatten US-Außenministerin Rice mit ihrem russischen Kollegen Ivanov schon vor dem Treffen ein Abkommen über Boden-Luft-Raketen ausgearbeitet: Künftig werden die beiden Großmächte einander über den Verkauf dieser schultergestützten Geschoße unterrichten.

Ein heißes Thema des Abends war Russlands Bestreben, der Welthandelsorganisation WTO beizutreten.

Russland soll zur WTO

Die USA forderten schon seit langem von Russland marktwirtschaftlich gesehen wieder aufzutauen. Vor allem die jüngste Affäre um den wieder unter staatliche Kontrolle geratenen Ölkonzern Yukos hat Verwirrung und Unruhe bei amerikanischen Investoren hervorgerufen. Der US-Präsident wusste wieder zu beschwichtigen und alles ins warme Licht der Freundschaft zu rücken: Amerika werde danach trachten den Aufnahmeprozess Russlands zu beschleunigen. Um die Ängste der Investoren zu beschwichtigen merkte Putin noch an, dass der Verkauf von Lukoil-Anteilen an Amerika von der Offenheit des russischen Marktes zeuge.

Die wirtschaftliche Kooperation soll in Zukunft aber noch weiter gehen. Auf dem Energie-Sektor planen die zwei Länder in den nächsten Jahren den Export von Erdgas von Russland in die USA stark zu intensivieren. Von der Begeisterung über die innige Freundschaft getragen holte Bush aber noch die Vergangenheit ein.

Das von ihm propagierte Demokratiedefizit Russlands wurde dem amerikanischen Präsidenten fast zu heiß. Nachdem er Putin in diesen Belangen immer wieder angeprangert hatte, sah er sich - freundschaftshalber - dazu genötigt einen Rückzieher zu machen. Immer bemüht, dabei nicht das Gesicht zu verlieren. So lobte er den Fortschritt, den Russland während der letzten 15 Jahre im Bereich der Demokratisierung vollbracht hätte. Wenn auch er durchblicken ließ, dass dabei aber noch ein großes Stück Arbeit vor dem russischen Präsidenten liege, vergaß er nicht zu erwähnen, dass jede Demokratie auch in ihrem kulturellen Zusammenhang zu sehen sei. Eine eigenständige "Russische Demokratie" gebe es aber nicht erklärte Putin und wies dabei Befürchtungen zurück, Russland könnte sich wieder in Richtung Totalitarismus entwickeln: "Das russische Volk hat seine Wahl getroffen. Eine Umkehr gibt es nicht.

Menschenrechte kein Thema

Die Vermutung, Bush werde Putin "nicht explizit auf die Finger klopfen", wurde bereits im Vorfeld des Treffens geäußert: Dafür sei die strategische Partnerschaft mit Moskau im Kampf gegen den Terror zu wichtig, meint etwa der Direktor für Europastudien beim Rat für Auswärtige Beziehungen in New York, Charles Kupchan. Zumal Bush in Irak, Iran und Nordkorea ohnehin genügend Probleme hat.

Auch Falk Bomsdorf, Vertreter der renommierten deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung in Moskau, war sich sicher, dass Demokratie und Menschenrechte bei dem Zweiergespräch kaum eine Rolle spielen würden. George Bush habe seine Kritik im Vorfeld bereits geäußert, Putin in einem Interview darauf geantwortet und dem Thema damit bereits die Spitze genommen.

Auch der Tschetschenien-Krieg werde in die Gespräche kaum einfließen. "Bush weiß natürlich um die unvorstellbaren Menschenrechtsverletzungen, die Armee und Geheimdienst dort tagtäglich begehen. Letztlich hat er aber doch einen Faustischen Pakt geschlossen. Russland beteiligt sich am internationalen Kampf gegen den Terror und beliefert den Westen mit Erdöl und Erdgas. Dafür wird Moskau in dieser Frage in Ruhe gelassen", erklärte der Russland-Experte gegenüber der "Wiener Zeitung". Alles andere seien "Lippenbekenntnisse der USA, nicht mehr".