Nicht die Fachleute, die Nichtexperten sollten in der Bildungsdebatte mehr Gewicht bekommen, meint Rudolf Taschner, "Wissenschafter des Jahres 2004". Mit seinem "math.space" ist ihm gelungen, vielen jungen Menschen Freude an einem meist wenig geliebten Schulfach zu vermitteln.
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Rudolf Taschner lehrt an der Technischen Universität Wien und am Wiener Theresianum Mathematik. Im Jänner hat der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten Rudolf Taschner die Auszeichnung "Wissenschafter des Jahres 2004" verliehen. Nach dem Geehrten wird ein Stern im weiten Universum benannt, was Taschner ein "Gefühl von Ewigkeit" gibt, das für die Mathematik im Gegensatz zu anderen Wissenschaften typisch sei: "Von den zehn wichtigsten Sätzen der Mathematik stammen mehr als die Hälfte aus der Antike oder grauer Vorzeit."
Taschner unterscheidet in seiner Wissenschaft zwischen dem bloßen "Rechnen lernen" und jenen Bereichen, wo man den "Saum des Unendlichen" berührt. Ihm geht es darum, mit seinem "math.space" im Wiener Museumsquartier, zunächst ein spielerisch-fröhliches Verständnis für sein Fach zu wecken. Ihn macht glücklich, wenn Kinder vom "math.space" nach Hause kommen und den erstaunten Eltern erzählen: "Wir waren in der Mathematik und es hat uns Freude gemacht."
Natürlich solle man auch Rechnen lernen, wie man in Sprachen Grammatik lernen muss, aber nur Grammatik, ohne sich auch mit Shakespeare zu befassen, könne doch nicht alles sein. Also bringt Taschner den Menschen die Mathematik auch am Beispiel großer Geister und ihrer Fragestellungen nahe: von Euklid und Archimedes bis Gauß und Einstein.
Muss nun in der Bildung alles "PISA-gerecht" werden? Dazu meint Taschner: "Man muss sich gesellschaftlich einigen. Welche formalanalytischen Fähigkeiten wollen wir von unseren Schülern und Schülerinnen haben. Das ist eine Aufgabe der Gesellschaft. Wenn man das den Fachleuten überlässt, so ist das ganz falsch. Das müssen die Nichtfachleute entscheiden!"
Die Gesamtschule sei nicht das Problem: "Die gibt es ohnehin schon, hat der Bundeskanzler gesagt. Die Lehrpläne sind die gleichen." Eine Einteilung der Lehrer in Unterstufen- und Oberstufenlehrer hielte Taschner für "nicht ganz dumm", auch nicht eine ganztägige Betreuung der Kinder in der Schule. Wichtig erschiene ihm - wie offenbar auch der Zukunftskommission des Bildungsministeriums - eine Reform der Oberstufe: "Die Leute sollten schon mit 16 Jahren in die Universitäten hineinschnuppern können und dann wieder in die Schule zurückkehren."
Zu Anton Zeilingers Idee der Elite-Universität in Österreich meint Rudolf Taschner: "Soweit ich den Vorschlag richtig verstanden habe, handelt es sich hiebei nicht um eine Universität im klassischen Sinn, sondern um eine elitäre Forschungs- und Bildungsinstitution, die sich jedenfalls nicht um die Grundausbildung von Studierenden bemüht. Anton Zeilinger behauptet, für sein Projekt stünde "frisches Geld" zur Verfügung. Wenn dies der Fall ist - wunderbar: geben wir ihm freie Hand, die "Elite-Universität" zu gründen."
Auch zur Debatte, wie eine künftige Lehrerausbildung aussehen sollte, kann Taschner einiges beitragen: "Eines sollte außer Frage stehen: Lehrerinnen und Lehrer, welche die ihnen anvertrauten Jugendlichen zur Hochschulreife führen, müssen wissen, was Universität bedeutet." Wichtiger als die Frage, wo die pädagogisch-didaktische Ausbildung erfolgt, erscheint ihm der Praxisbezug: "Alle pädagogisch-didaktischen Veranstaltungen müssen im schulischen Umfeld verwoben sein. Mein konkreter Vorschlag: Die Studierenden halten sich in den ersten beiden Semestern an der Universität auf und betreiben den Beginn ihres Fachstudiums; im nächsten Jahr werden sie zu ca. 60Prozent mit einem Sondervertrag in die Schulen geschickt und beginnen zu unterrichten - die restlichen 40 Prozent dienen der Vor- und Nachbereitung ihrer Arbeit mit den pädagogisch-didaktischen Instruktoren." Nach dem vierten Semester sollte entschieden werden: Weiterstudium zum Lehramt oder Wechel in eine andere Berufslaufbahn.