Gestrandet in Wien: Ivan Marchuk ist der berühmteste und wohl auch teuerste Maler der Ukraine.
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Auf dem Küchentisch: Farbe, Pinsel. Auf einem Sessel eine Schachtel zur Erhöhung, darauf stehend, an die Sessellehne gelehnt, das in dunklem Blau gehaltene Bild eines Landhauses. Ein Bild, das gerade in Arbeit ist. Der Sessel und die Kiste sind die Staffelei. An der Wand im Wohnzimmer zwei Reihen Bilder, darunter an der Wand lehnend noch eine Reihe und davor auf dem Boden liegend entlang der Wand noch eine: ornamentale surreale Gebilde, Farbspiele, nächtliche Landschaften, feingliedrig in Punkten gemalte Heuhaufen in dunklem Licht, Gesichter. Ivan Marchuk deutet auf eines der Bilder, eine Landschaft in diffusem Mondlicht. Dann sagt er: "Diese Ukraine hier, die gibt es nicht mehr."
Ivan Marchuk ist der wohl bekannteste Künstler der Ukraine. Egal, wo ihn die Wirren der Zeit hingetrieben haben - gemalt hat er immer: Er hat unter den Sowjets in der Ukraine heimlich gemalt, später in Australien, in Kanada, in den USA, dann wieder in Kiew. Und jetzt malt er eben in Wien. Geschätzte 5.000 Bilder sind der Hand Ivan Marchuks in seinem schon langen Leben entsprungen. Träger des ukrainischen Shevchenko-Ordens ist er, der höchsten Auszeichnung der Ukraine für Kulturschaffende. Die Zeitung "The Daily Telegraph" zählt ihn zu den "100 Genies der Gegenwart". "Zuhause ist dort, wo meine Bilder sind", sagt er. Aber das ist eher ein Spruch, so ganz stimmt das nicht.
In Kiew ein Star
Und so sind die 60 Quadratmeter in der Wiener Innenstadt - möbliert, Einbauküche, Bad, Sofa, vormals kahle Wände - ein Fluchtasyl und nicht Wahlheimat für ihn und seine Muse Tamara. Würde man Malutensilien und Bilder entfernen, wäre diese Wohnung bezugsfertig. Kein persönlicher Zierrat. Nichts als Bilder und Farben in kahlen Räumen. Nur eine kleine Schale ukrainisches Konfekt steht auf dem Couchtisch. Gestrandet ist er mit seinen 86 Jahren - wieder einmal. Eingesperrt fühle er sich hier.
Ivan Marchuk ist ein Star und der wohl teuerste Künstler der Ukraine. Eine abgewetzte Strickjacke trägt er und eine ausgebeulte Hose. Ein Mann ist er aber, der bei Ausstellungen kaum dazu kommt, die Ausstellung zu besichtigen, weil man ihn in Permanenz zu Selfies und Autogrammen bittet. Da hängen sich dann fein herausgeputzte Schönheiten an seine Schulter. Ein Star ist er, der, wenn er in Kiew auf die Straße ging, ständig angesprochen und hie und da umarmt wurde. Und er sagt es auch frei heraus: "Ich mag es, berühmt zu sein."
Aber dann, dann leuchten seine Augen auf unter den buschigen Augenbrauen, dann bebt sein ausladender Schnauzbart, als er hört, dass in den Wäldern rund um Wien der Bärlauch wächst. Das erste Grün im Frühling. Roh könne er dieses Kraut essen. Dieses erste Wildgemüse nach dem Winter. Und "Marillen, oh Marillen". Die würden ja jetzt auch bald reif. Der Krieg hat eine Kerbe geschlagen in das Leben dieses "Maestros", wie Tamara Ivan Marchuk nennt. Ihn Maestro zu nennen, das sei eine Ehrerbietung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, sagt sie. Und er sagt: "Ich mag das. In Kiew sprechen sich die Leute oft mit einem ruppigen ,hey Mann‘ oder ,hey, Frau‘ an - da ist es schön ,Maestro‘ genannt zu werden." Sagt’s, hebt die Schultern und beißt ein Stückchen von einem Konfekt ab.
Aber Wien ist nicht Kiew. Und Österreich ist nicht die Ukraine. Da wird er nicht angesprochen auf der Straße. Da kommt niemand auf ihn zu, um ihn zu umarmen. Da ist die Ramsch-Galerie unten im Haus, die barock gerahmte Öl-Katzengemälde zu horrenden Preisen verkauft. "Ganz nett", sagt Marchuk dazu freundlich.
Da bleiben nur vereinzelte Ausstellungen in einer Stadt, die voll ist von Kultur und übersättigt vom eigenen Kitsch. Und noch dazu verirre er sich ständig in den Gassen zwischen diesen hübschen Häusern, erzählt er. Er sagt, er kenne nicht viele Menschen in Wien. Und er sagt: "Ich mag den Kontakt mit Menschen." Hier könne er sein Leben nicht leben. "Ich vermisse die Weite, das Land, die Kühe, die Schweine."
Und so kennt er auch nach fast einem Jahr in dieser Stadt nur zwei Wege: den zur U-Bahn, mit der er in einen der östlichen Randbezirke zu einem Großmarkt für Künstlerbedarf kommt und wieder zurück, und den zum nächsten Park. Aber die Bilder in seinem Kopf, die zeigen alle die Ukraine - auch, wenn sie Fantasie sind.
Auch, wenn es diese Landschaften nicht mehr gebe, wie er sagt, seit Russland sich dazu entschlossen hat, dass es die Ukraine nicht mehr geben dürfe. So oft sei er gefragt worden, ob er in den USA, in Kanada oder in Australien auch dortige Landschaften gemalt habe. "Das habe ich nicht", sagt er knapp vor der Wand stehend, die er nach und nach mit Bildern befüllt. Seinen Bildern. Den Bildern aus seinem Kopf. Er wisse ja auch nicht, woher die kommen.
Angefangen hat all das mit einem Malbuch. In der sechsten Klasse sei das gewesen. Irgendwann hat er dann Botanik- und Anatomie-Illustrationen für die Lehrer angefertigt. Weil er das gut konnte, ging es an die Kunstuniversität in Lviv. In den 1950er-Jahren war das. In der Westukraine tobte damals noch ein Guerillakrieg gegen die sowjetischen Besatzer. Und sowjetische Kulturpolitik war immer Propagandapolitik. Kunstuniversitäten hatten Propagandisten zu produzieren. Wer nicht spurte, war suspekt. Und Ivan Marchuk war suspekt. Seine Farbwahl war den Sowjetbehörden zu dunkel, die Motive waren zu wenig ideologisch aufgeladen. Wöchentlich habe ihn der KGB verhört.
Aber Stolz, so sagt er, das sei so etwas wie ein Lebensantrieb. Egal, was man tue im Leben, meint Ivan Marchuk. Egal, ob man berühmt sei oder ob einen niemand kenne. Und er sagt: "Ich beuge mich vor niemandem." Und so hat er alle möglichen Jobs gemacht - und hat heimlich weitergemalt. Diese Bilder machten dann die Runde.
Die Wände wachsen zu
Es ist ein Netzwerk an Unterstützern, Gönnern und Freunden, das Marchuk bis heute über Wasser hält. Die Wohnung zahlt ein Mäzen, ab und zu bringt jemand Wein vorbei. Aber als ihm eine Influencerin eine Staffelei schenken wollte und viel Wind darum machte, lehnte er ab. Sich selbst verkaufe er nicht.
Und auch nicht seine Bilder - dabei könnte er ein reicher Mann sein. "Ich habe nichts, wofür ich das Geld ausgeben könnte", sagt er und beißt ein kleines Stückchen von einem Schokolade-Konfekt ab, das er vor sich auf dem Couchtisch liegen hat. Für die Menschen male er, nicht für Sammler. In Museen wolle er hängen, nicht in Salons. Nur ab und zu verkaufe er ein Bild seiner Wahl, wenn es denn sein müsse.