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Ankara sichert Kobane Hilfe zu, will aber militärisch vorerst nicht eingreifen.
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Istanbul/Wien. Extremistische Kämpfer des Islamischen Staats (IS) haben am Freitag den Druck auf die kurdische Stadt Kobane in Nordsyrien verstärkt. CNN berichtete, islamistische Kämpfer seien in die Stadt eingedrungen und lieferten sich Straßenkämpfe mit den Verteidigern. Diese Meldung war vorerst nicht verifizierbar. IS-Kämpfer stellten aber ein Video online, auf dem das Schild "Willkommen in Kobane" zu sehen ist. Ihre Stellungen befinden sich wenige hundert Meter vor der Stadtgrenze. Ein Kämpfer der Terrormiliz in einem vorgelagerten Posten sagte, man werde die Stadt in Kürze überrennen und keine Gnade walten lassen.
Die Islamisten rücken mit Panzern vor, in Kobane sind Artillerie-Einschläge zu sehen. Die Kampfszenen werden von der Türkei genau verfolgt - der Grenzverlauf ist nur wenige hundert Meter entfernt. Sollte der IS Kobane erobern, würde die Terrormiliz weite Teile der 900 Kilometer langen Grenze zur Türkei kontrollieren.
Das Parlament in Ankara hat der Regierung am Donnerstag die Erlaubnis erteilt, militärisch einzugreifen. Mit Spannung wurde erwartet, ob türkisches Militär einmarschiert oder nicht. Zuletzt waren türkische Panzer aufgefahren, die Geschützrohre in Richtung Syrien gewandt. Der türkische Premier Ahmet Davutoglu hat den kurdischen Kämpfern am Freitag jedenfalls Hilfe gegen IS versprochen. "Wir wollen nicht, dass Kobane fällt", erklärte der Premier, "wir werden alles tun, um das zu verhindern."
Die Kurden, die militärisch unterlegen sind, haben sich verzweifelt an die internationale Allianz gewandt, die unter Führung der USA zur Bekämpfung des IS ausgerückt ist. Die bisherigen Luftangriffe seien nicht effektiv gewesen, man müsse direkt die Frontlinie bombardieren, so die Kurden. In der Tat haben die Luftangriffe bis dato an der Situation nichts geändert. Die USA und ihre Verbündeten agieren verhalten, weil sie unsicher sind, wer das Machtvakuum nach einem Ausschalten des IS füllen wird.
Die USA haben am Freitag ihren ersten toten Soldaten im Einsatz gegen den IS vermeldet. Der Marineinfanterist wurde allerdings nicht von IS-Kämpfern getötet, sondern starb bei einem Zwischenfall auf einem Flugzeugträger im Persischen Golf. Er war aus einem Transporter gesprungen, das kurz nach dem Start abzustürzen drohte. Das Flugzeug landete letztlich sicher, der Soldat konnte aber nicht aus dem Meer geborgen werden.
Angst vor Massaker
Aus Kobane sind bereits tausende Kurden in die Türkei geflohen. Wie viele Zivilisten noch in der Stadt sind, ist ungewiss. Die Angst vor einem Massaker der Islamisten unter der Zivilbevölkerung geht um. Die IS-Kämpfer haben längst bewiesen, dass sie, wo immer sie können, mit großer Brutalität vorgehen.
Die Kampfszenen zwischen IS und kurdischen Volksverteidigungseinheiten spielen sich unmittelbar vor den Augen des türkischen Militärs ab. Die Beistandsbekundungen aus Ankara sind aber offenbar nicht mehr als Lippenbekenntnisse. Premier Davutoglu meinte, ein Einmarsch in Kobane würde die Türkei tief in den Konflikt verwickeln. Helfe man den Kurden in Kobane, würden die Turkmenen in Yayladag ebenfalls Hilfe verlangen, man müsste dann auch dort eingreifen. Laut dem türkischen Verteidigungsministerium darf man nach dem Beschluss des Parlaments vom Donnerstag keine unmittelbare Intervention der Türkei in Syrien erwarten. Ankara fürchtet, eine Intervention könnte den dortigen Erzfeind Bashar al-Assad und kurdische Kräfte stärken, die mit der PKK verbündet sind, gegen die Ankara einen Jahrzehnte langen Krieg geführt hat und mit der jetzt fragile Friedensgespräche geführt werden. Allerdings droht der inhaftierte PKK-Chef Abullah Öcalan mit deren Ende, sollte die Türkei ein Massaker in Kobane zulassen.
"Assad ist ein Münafik!"
Istanbuls Bürger bereiten sich unterdessen auf das islamische Opferfest Eid Aladha vor - in seiner Bedeutung für Muslime vergleichbar mit Weihnachten für Christen. Wer kann, entflieht dem Stress der 14-Millionen-Metropole. Hasan hingegen bleibt. Der 30-Jährige verkauft Seidenschals vor einer Moschee: "Ich bin klar für den Einmarsch unserer Truppen, die IS-Kämpfer sind Soldaten des Bösen", sagt er. Seiner Meinung nach sind die radikal-islamischen Truppen nicht an der Religion interessiert, sondern bloß Söldner. Hasan interessiert sich jedoch weniger für den IS, er will über Israel sprechen: "Israels Ziel ist Krieg in der Gegend und die spätere Schaffung kleiner Länder, die dann leicht zu kontrollieren sind." Auch für den Aleviten Assad hat er nur Verachtung über. "Assad ist ein Münafik!" Sprich:, Er praktiziere zwar den Islam, sei aber im Herzen kein Muslim.
Auch Mehmet ist für einen türkischen Einmarsch. Angst, dass sich der IS rächen könnte, hat der 33-jährige Kurde aus dem ostanatolischen Malatya nicht. Im Gegensatz zu vielen anderen Kurden sympathisiert er auch nicht mit Öcalan: "Er ist kein Kurde, sondern Armenier." Aus der Meinung der befragten Bürger - viele wollten sich nicht äußern - schert Gökhan aus. Der 45-jährige Verkäufer fürchtet Kämpfe auch in der Türkei: "Ich bin Muslim, ich bin für Frieden."