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Nichts am Sack mit öden Grundprinzipien

Von Walter Hämmerle

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Ein seltsamer Komiker spricht endlich aus, was sich ohnehin jeder zum Parteiführer berufen fühlende Politiker im Herzen so denkt.


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"Und geht mir nicht mit innerparteilicher Demokratie auf den Sack", polterte der seltsame Beppe Grillo am Wochenende, als einige Senatoren seiner Protestpartei sich gegen seine erklärte Anweisung doch für die Wahl eines Senatspräsidenten aus den Reihen der Mitte-links-Allianz entschlossen. "Verräter" war noch eine der milderen Verbalinjurien, die der Chef der italienischen Wutbürger seinen eigenen Abgeordneten entgegenschleuderte.

Grillo kann toben, so viel er will. Sicher, er ist der Kopf seiner Fünf-Sterne-Bewegung, ohne ihn gäbe es die Partei nicht. Ausnahmslos alle Abgeordneten verdanken Grillo höchstpersönlich ihr Mandat; diese waren, politisch gesprochen, nichts, ihr Chef alles.

Mit dem Tag der Wahl hat sich dieses Machtverhältnis radikal ins Gegenteil verkehrt. Grillo, der selbst über kein Mandat verfügt, muss nun hilflos mitansehen, wie sich "seine" Abgeordneten auf das Prinzip des freien Mandats berufen - und in der Folge nach eigenem Gutdünken entscheiden. Der Komiker kann für den Moment nur wutschnaubend daneben stehen.

Auch in Österreich bereitet das Prinzip des freien Mandats angeschlagenen Parteichefs derzeit einiges Kopfzerbrechen. Das BZÖ erweist sich in historischer Betrachtung als sperrangelweit offenes Durchhaus für Abgeordnete von der FPÖ hin zum Team Stronach. Und Obmann Josef Bucher kann nichts weiter tun, als hilflos zuzuschauen und die Verbliebenen händeringend an ihre Parteitreue zu erinnern. In Kärnten wiederum lernt der geschäftsführende FPK-Chef Christian Ragger unter erheblichen Schmerzen die für Österreich rare Lektion, dass das so gern beschworene Interesse der Partei ohne handhabbare Druckmittel ein ziemlich leichtgewichtiges Argument ist, über das sich auch abgewählte Politiker ohne große Bedenken hinwegsetzen können, solange sie nur auf einem sicheren Listenplatz sitzen.

Es ist einigermaßen bedauerlich und mindestens so bezeichnend, dass der Umstand des Grundprinzips vom freien Mandat hierzulande immer nur ins Bewusstsein rückt, wenn Abgeordnete ihren Sitz als Asset betrachten, sei dieses politischer oder ökonomischer Natur.

Warum beruft sich nie ein Politiker auf das freie Mandat, wenn es um ethische Gewissensfragen geht? Das wäre doch einmal ein hervorragender Grund für einen Klubwechsel oder Parteiaustritt! Schließlich wurde dieses Grundprinzip zuallererst dafür konzipiert, die persönliche Unabhängigkeit der Volksvertreter zu gewährleisten.

Aber Österreichs wechselwillige Abgeordnete sind offenbar aus einem anderen Holz geschnitzt, als es die Verfassung gerne sehen würde. Doch bekanntlich hat jede Nation die Politiker, die sie verdient.

In Österreichs politischer Kultur ist die Überzeugung, dass das freie Mandat zum Kern der parlamentarischen Demokratie gehört, allenfalls oberflächlich verankert. Die Dinge sind allerdings in Bewegung geraten, wenngleich nicht aus hehren demokratiepolitischen, sondern aus egoistisch-opportunistischen Gründen. Und das Beste: Evolutionärer Fortschritt kann nicht ausgeschlossen werden.