)
Immunabwehr kostet viel Energie. | Steigerung bringt auch Nachteile. | Marne/Holstein. Auf einer Wiese wachsen nebeneinander zwei Gänseblümchen. Das eine ist mickrig, das andere groß und kräftig. Werden beide von den gleichen Schädlingen befallen, welches hat höhere Überlebenschancen? Nach neuesten Forschungsergebnissen ist es ohne weiteres möglich, dass sich die kleinwüchsige Pflanze als widerstandsfähiger erweist.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Damit sie sich gegen gefährliche Krankheitserreger zur Wehr setzen kann, hat die Evolution jede Tier- und Pflanzenart mit einem maßgeschneiderten Immunsystem ausgerüstet. Immunsysteme funktionieren freilich längst nicht so gut, wie man erwarten sollte - und erstaunlicherweise unterscheiden sich nicht nur Arten stark in ihren Immunreaktionen, sondern auch Populationen, ja sogar Individuen ein und derselben Art.
Diese Variationen liegen zum einen an der Vielfalt der Angreifer und ihrer Angriffsstrategien und dem ständigen Wettrüsten zwischen attackierenden Viren, Bakterien und Pilzen und den gegen sie sich verteidigenden Organismen. Zum anderen lassen sie sich, wie die Forschung jetzt zutage förderte, auf einen simplen Umstand zurückführen: Immunsysteme zu unterhalten kostet eine ungeheure Menge an Energie. Sie können deswegen nur verbessert werden, wenn dafür zusätzlich Energie aufgewendet wird, die dann anderswo eingespart werden muss.
Unlängst haben die Biologen Jim Adelman (Universität Princeton), Michaela Hau und Martin Wikelski (Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell) die Immunreaktionen frei lebender nordamerikanischer Singammern experimentell erforscht. Zunächst wurden Ammern in Südkalifornien und im Norden des Bundesstaates Washington gefangen. Danach wurde Vögeln aus beiden Populationen eine winzige Dosis von bakteriellen Zellwänden injiziert, die eine 24 Stunden dauernde Infektion hervorrief. Die übrigen Ammern blieben unbehandelt. Dann wurde bei allen Vögeln 20 Stunden lang die Körpertemperatur gemessen.
Dabei zeigten sich aufschlussreiche Unterschiede. So war bei den infizierten kalifornischen Ammern die Körpertemperatur durchgehend um mehr als zwei Grad Celsius höher als bei den nichtinfizierten kalifornischen Artgenossen. Hingegen wichen die Temperaturen bei den Ammern aus Washington höchstens um ein Grad voneinander ab, und das auch nur während der ersten Nachthälfte.
Die Wissenschafter haben dafür eine schlüssige Erklärung: In Washington sind die Singammern gezwungen, nahezu ihre gesamte Zeit und Energie in ihre Fortpflanzung zu investieren, denn ihre Brutzeit ist mit nur 100 Tagen äußerst kurz. Die kalifornischen Ammern können einen großen Teil ihrer Ressourcen in ihr Immunsystem investieren, denn ihre Brutzeit ist 50 Tage länger.
"Die Ergebnisse beweisen uns, dass begrenzte Ressourcen des Organismus und Bedingungen der Umwelt eine große Rolle spielen für die Stärke der Immunantwort und damit der Fähigkeit, sich gegen Infektionskrankheiten zu wehren", sagt Jim Adelman.
Forschungen mit der Acker-Schmalwand
Kürzlich gelang es Detlef Weigel und seinen Mitarbeitern vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, bei der Acker-Schmalwand eine Variante des Gens ACD6 dingfest zu machen, die das Gewächs gegen etliche Krankheitserreger schützt. Bei jeder Acker-Schmalwand, die diese Gen-Variante besitzt, kommt es zu einer Anreicherung von chemischen Substanzen, die nicht nur zur Bekämpfung von Bakterien und Pilzen, sondern auch von Blattläusen und anderen Insekten dienen.
Doch überall, wo die Acker-Schmalwand wächst, trägt bloß jede fünfte das modifizierte ACD6-Gen in sich. Dieser Befund lässt die Tübinger Biologen vermuten, dass die gesteigerte Abwehrkraft auch Nachteile mit sich bringt. Diese Vermutung hat sich bestätigt.
"Wir konnten zeigen, dass das Gen die Pflanzen zwar resistent gegen verschiedene Krankheitserreger macht, aber gleichzeitig das Blattwachstum stark beeinträchtigt, so dass die Pflanzen weniger Blätter bilden und insgesamt wesentlich kleiner bleiben," erklärt Detlef Weigel. Die mit dieser Variante des ACD6-Gens ausgestatteten Ackerschmalwand-Individuen sind zwar gegenüber Artgenossen im Vorteil, wenn es darum geht, sich gegen eine Vielzahl oder Vielfalt von Schädlingen zu behaupten, doch dieser Vorteil verwandelt sich an Orten und in Zeiten in einen Nachteil, wo es so wenige Feinde gibt, dass es leicht ist, sie zu bekämpfen. Denn je geringer die Blattmasse ist, desto weniger Samen und folglich auch Nachwuchs werden produziert.
In Detlef Weigels Augen ergibt sich daraus eine klare Einsicht. "Auch in der Natur gilt: Nichts ist umsonst!" In welchem Maß dies neuen Erkenntnisse auch für den Menschen, zutreffen, kann Weigel noch nicht absehen.