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Nichts wie weg

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten regen sich im größten US-Bundesstaat Kalifornien Unabhängigkeitsgelüste.


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Los Angeles/Sacramento. Er ist dafür bekannt, nicht lange zu fackeln, er ist steinreich, und es ist ihm - scheinbar - ernst. Im Silicon Valley und seinem urbanen Einzugsgebiet zählt Shervin Pishevar zu den bekannteren Gesichtern. Der US-Investor mit persischen Wurzeln hält zum Beispiel maßgebliche Anteile an der Wohnungsvermittlungsbörse AirBnB und am Carsharing-Service Uber. Zudem hat er mit Elon Musk, dem als Chef von Firmen wie Tesla und SpaceX wohl berühmtesten Zukunftspionier der USA, die Firma Hyperloop One gegründet, die sich der Herstellung und dem Betrieb von Höchstgeschwindigkeitszügen widmet. Geht es nach ihnen, wird die 650-Kilometer-Reise von San Francisco nach Los Angeles bald nur noch knapp mehr als eine halbe Stunde dauern. Im Präsidentschaftswahlkampf hat Pishevar Geld für den Wahlkampf der Demokratin Hillary Clinton gesammelt und für sie - gemeinsam mit seinem Freund George Clooney - einen Empfang in seinem Privatanwesen in San Francisco gegeben.

Seine liberalen Haltungen hat sich der 42-Jährige nach eigenem Bekunden auch nach dem Sieg Donald Trumps bewahrt. Aber sein Geld will Pishevar künftig nicht mehr nur für Politiker der Demokraten hergeben, sondern für eine neue politische Kraft, die im mit rund 40 Millionen Einwohnern größten US-Bundesstaat dieser Tage von sich reden macht: der kalifornischen Unabhängigkeits- beziehungsweise Autonomiebewegung.

Seit dem Sieg Donald Trumps am 8. November erfahren die bis dahin nur äußerst spärlich gesäten Befürworter des "Calexit" von San Francisco im Norden bis San Diego im Süden einen ungeahnten Popularitätsschub. Von den Bay-Area-Blättern, der "Los Angeles Times" bis zu den spanischsprachigen Zeitungen im mexikanischen Grenzgebiet setzen sich mittlerweile so zahlreiche wie namhafte Kommentatoren mit der Was-wäre-wenn-Frage auseinander - wenn auch nur spielerisch. Faktisch stehen die Chancen Kaliforniens auf Sezession gleich null. Aus einem einfachen Grund. Selbst wenn ein etwaiges Referendum pro Abspaltung von den Vereinigten Staaten zugunsten der Calexit-Befürworter ausfallen würde, müssten zwei Drittel der Kongressabgeordneten in Washington D.C. nämlicher zustimmen. Was als de facto ausgeschlossen gilt.

Von mehr Autonomie biszur totalen Abspaltung

Warum also das Theater? Antwort: Weil allein die Tatsache, dass die Schlagworte "Calexit" beziehungsweise "Caleavefornia" mittlerweile in aller Munde sind, für die Initiatoren bereits einen beachtlichen Erfolg darstellt.

Im Silicon Valley hallt der Schock über den Sieg Donald Trumps bis heute vielleicht sogar noch ein bisschen stärker nach als anderswo. Mit Ausnahme des offen homosexuellen Trump-Adlaten Peter Thiel, der das Glück hatte, früh bei Facebook eingestiegen zu sein, und dank einer Anteilsveräußerung 2012 zum Milliardär wurde, findet sich die anti-liberale Wählerschaft im Valley nur in Spurenelementen wieder. Entsprechend intensiv fiel der Realitätscheck aus, nachdem klar geworden war, dass ein Mann, der Dinge wie Kohleabbau und Blackberrys für zukunftsträchtig hält, künftig die Staatsgeschicke lenken wird.

Wie intensiv sich Pishevar - der vergangene Woche wieder beteuerte, wie ernst es ihm mit seinem Engagement für ein "neues, freies Kalifornien" sei -, am Ende wirklich für jegliche "Calexit"-Variante ins Zeug schmeißen wird, weiß nur er selber. Bisher existieren lediglich ein ihm zuzurechnender Twitter-Account und eine Facebook-Fanpage namens "New California". Über die dazugehörige, derzeit noch leere Website www.newcalifornia.com sagt Pishevar, dass sie "die Heimat für die Bewegung werden wird, die gegen die Zentralregierung in D.C. und für mehr Bundesstaatsrechte kämpft". Aber auch wenn der Untertitel "Sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt" lautet - eine faktisch richtige Feststellung: Kalifornien erwirtschaftet heute jährlich mehr als Staaten wie Frankreich, Polen oder Indien -: Offene Rebellion hört sich anders an.

2019 soll ein Referendum entscheiden

Während es Pishevar weniger um Unabhängigkeit als um mehr Autonomie, vor allem budgetäre, für Kalifornien innerhalb der USA zu gehen scheint, meint es eine andere Gruppe - von der sich der Tech-Milliardär distanziert - tatsächlich ernst. Bisher trug ein anderer, ungleich weniger prominenter Zeitgenosse quasi allein das Banner des kalifornischen Unabhängigkeitskampfes: Louis Marinelli, Jahrgang 1986, ist der Kopf der Initiative "Yes California" (www.yescalifornia.org), die dafür kämpft, eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit zu erzwingen. Bis 2018 sollen mittels einer sogenannten "Citizen Initiative" genug Unterschriften gesammelt werden, um einen legislativen Prozess in Gang zu bringen, an dessen Ende ein Jahr später eine Volksabstimmung über die Loslösung von den Vereinigten Staaten stehen soll. Bis vor kurzem war Marinelli Vorsitzender der erst vor einem Jahr gegründeten "California National Party" (CNP). Im Sommer gab er den Posten an einen Freund ab, um sich für einen Sitz im Kongress zu bewerben. Am Ende landete der 30-Jährige - ein ursprünglich aus Buffalo, New York, stammender Englisch-Lehrer, der lange in Russland gelebt hat und eine seltsame politische Vergangenheit aufweist (er war einmal Fan des demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten John Edwards, dann Teil einer konservativen Gruppe, die sich gegen die Homo-Ehe aussprach) - mit rund 4500 Wählern abgeschlagen auf Platz drei seines Wahlbezirks.

In den amerikanischen Medien wird seine Kleinst-Partei trotzdem gern mit der britischen Ukip verglichen, die für den EU-Austritt geworben hat. Allerdings hat die CNP bei näherem Hinsehen so rein gar nichts gemein mit Ukip. Während die Briten die Angst vor den Ausländern schüren, die den Einheimischen angeblich die Jobs wegnehmen, betont die CNP genau das Gegenteil und hebt besonders die Rolle der mexikanischen Einwanderer für die Volkswirtschaft hervor. In einem argumentiert sie aber genauso populistisch wie die Partei von Trumps erklärtem Lieblings-Engländer Nigel Farage. Es geht, natürlich, ums liebe Geld.

Die USA wären ohne Kalifornien nicht liquide

Ohne die Steuergelder des liberalen Kaliforniens, die den Löwenanteil des Bundesbudgets stellen - den letzten verfügbaren Zahlen zufolge zahlen seine Bürger jedes Jahr rund 60 Milliarden Dollar mehr ein, als sie von D.C. zurückbekommen, sind also quasi "Nettozahler", und das schon seit 1987 -, wären die USA kaum überlebensfähig. Würden Bundesstaaten wie Mississippi, Louisiana, Alabama oder Tennessee auf sich allein gestellt und nicht jedes Jahr aufs Neue vom landesinternen Finanzausgleich profitieren, wären sie längst ebenso pleite wie, zum Beispiel, South Dakota, New Mexiko, Montana, West Virginia oder Kentucky - um nur die wichtigsten zu nennen. Jeder einzelne dieser nach allen herkömmlichen Maßstäben "failed states" wird in der Regel seit Jahrzehnten von den Republikanern regiert.

So unterschiedlich die Ansätze: Genau in diese Kerbe schlagen Pishevar wie die CNP. Und nachdem die republikanische Doppelmoral mit der Wahl Trumps ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, wähnen sie sich jetzt im Aufwind. Ändern wird das auf die Schnelle freilich nichts. Aber immerhin: Auch der "Brexit" hat einmal klein angefangen.