Die EU-Staaten wollen ihre militärischen Strukturen aufeinander abstimmen. Brexit und Trump beschleunigen das Projekt.
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Brüssel. "Meilenstein, historischer Moment, bedeutender Augenblick für Europa." Es sind große Erwartungen, die die EU-Außen- und Verteidigungsminister geweckt haben. Doch wie sich die am Montag in Brüssel beschlossene EU-Zusammenarbeit im Militärbereich künftig entwickeln wird, bleibt abzuwarten.
23 EU-Staaten, darunter Österreich, haben die Vereinbarung über eine "Ständige Strukturierte Zusammenarbeit" in Militärfragen (Pesco) unterschrieben. Die Initiative für das Projekt ging von Deutschland und Frankreich aus, beide Staaten sind im europäischen Maßstab militärische Großmächte, beide Staaten begreifen sich als EU-Motor. Und beide Staaten wollten dem Projekt Europa nach dem Brexit-Schock wieder Leben einhauchen.
Das Vorhaben wird als Startschuss gesehen, als erster Schritt auf einem langen Weg. Am Ende sollen EU-weit vereinheitlichte Strukturen im Militärbereich stehen, die Kosten sparen und die Effizienz erhöhen. Bis dato gibt es keine gemeinsamen Verteidigungskapazitäten und keine gemeinsamen Investitionen. So herrscht bei Ausrüstung, Beschaffung, Ausbildung und Planung ein wildes Durcheinander. Nicht einmal Satellitenbilder werden bis dato ausgetauscht.
Was im Ernstfall fatal ist, wie sich 2014 zeigte, als die EU beim Ausbruch der Ebola-Krise rasch helfen musste. Immerhin stand ein Übergreifen der Seuche auf Europa im Raum. Die Bundeswehr baute extra einen Spezial-Jet, den die Belgier aber schon hatten; die einzelnen Stäbe traten nicht miteinander in Kontakt, es ging schief, was nur schiefgehen konnte. Das Chaos, so das Fazit deutscher Militärs, sei am Ende nicht entstanden, weil die EU-Länder nicht kooperieren wollten, sondern weil sie es nicht konnten.
Das soll sich jetzt ändern. Die Europäer wollen Pläne erarbeiten, welche Mittel man für Einsätze in bestimmten Regionen bereithalten müsste. Die bürokratischen Barrieren, um Soldaten und vor allem schweres Gerät innerhalb der EU schnell verlegen zu können, sollen gesenkt werden. Man sei jetzt "nicht mehr allein unterwegs", freute sich der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel bei der Unterzeichnung der Vereinbarung.
Es gibt Berechnungen, wonach Europas Ausgaben für Militär ein Drittel dessen ausmacht, was die USA aufwenden. Die militärischen Fähigkeiten betragen allerdings nur zehn bis 15 Prozent - eben deshalb, weil es einen Wildwuchs in vielen unterschiedlichen Systemen gibt.
Trump stellte Nato in Frage - und sorgte für Schock
Derzeit gibt es eine Liste mit 47 gemeinsamen Projekten, bis Weihnachten können weitere eingereicht werden. Jeder will tun, wozu er sich berufen fühlt. Österreich bietet einen Beitrag zur Gebirgsjäger-Ausbildung an und will ein Industrieprojekt zu Cybertechnik und Luftsensorik auf die Beine stellen. Deutschland schlägt ein medizinisches Einsatzkommando, ein Netz von Logistikdrehkreuzen und eine gemeinsame Offiziersausbildung vor.
Das Projekt beschleunigt hat nicht nur der Brexit, sondern auch die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Trump knapp nach Amtsantritt die Nato wiederholt in Frage gestellt - um sich dann später doch zu ihr zu bekennen. Für Europa war trotzdem klar, dass auf Washington weniger Verlass ist denn je und dass man sich ab nun verstärkt selber um seine Sicherheit kümmern muss. Man habe sich "eigenständig aufstellen wollen", so die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am Montag. Trump geht es jetzt in erster Linie darum, dass die europäischen Nato-Mitglieder ihr Verteidigungsbudget erhöhen. Minimum seien zwei Prozent, gemessen am Gesamtbudget. Einen Wert, den die Briten erreichen, Deutschland aber bei Weitem nicht. Eine der 20 Pesco-Bedingungen lautet, dass sich die Teilnehmer zu "regelmäßig real steigenden Verteidigungsbudgets" verpflichten. Freilich ohne dass ein fixer Wert genannt wird. Deutschland will ohnehin nicht mehr Geld in Waffen investieren, hier geht es eher darum, Einsparungspotenziale auszuschöpfen.
In Brüssel stellte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini klar, dass die neue Zusammenarbeit nicht als Konkurrenz, sondern als Unterstützung für die Nato gedacht sei. Hier erinnert man sich an das gemeinsame europäische Verteidigungsbündnis, die Westeuropäische Union (WEU), die 1954 gegründet worden war, aber nie Bedeutung erlangte. Das deshalb, weil die Nato nicht geschwächt werden durfte. Vor allem Großbritannien stand auf der Bremse. Durch den Brexit braucht die EU jetzt darauf keine Rücksicht mehr zu nehmen. Vor allem Frankreich und Deutschland wollen zeigen, dass man nach dem fatalen Votum vom Juni 2016 nicht in Schockstarre gefallen war. Die Kapazitäten für große Würfe sind gerade jetzt vorhanden, so die Botschaft.
Die Schwächen des Projektes sind allerdings unübersehbar. Es werden keine überstaatlichen Strukturen geschaffen, es entscheiden weiter ausschließlich die Nationalstaaten. Eine Interventionstruppe und ein neues Kommando für Militärmissionen sind ebenfalls nicht vorgesehen. Für Österreich reiste Außenminister Sebastian Kurz nach Brüssel. Eine "stärkere Kooperation im Sicherheitsbereich" sei nur im "Einklang mit der Neutralität" möglich, so Kurz. Dies sei "in dem Fall auch gewährleistet".