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Niemals Deutsche, aber . . .

Von Christa Karas

Wissen

Aufmerksame Leser der Forschungsseite vom vergangenen Dienstag waren empört: "Die Physikerin Lise Meitner eine Deutsche? Niemals!" Typisch deutscher "Kulturkolonialismus" sei das. Doch wer sich mit der Biografie der Frau, die den Nobelpreis verdient, aber nie bekommen hat, auseinandersetzt, kommt unschwer zur Feststellung: Auch Österreich hat kein Recht, die Forscherin für sich zu reklamieren.


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Lise Meitner, geboren als Tochter jüdischer Eltern am 7. November 1878 in Wien, starb am 27. Oktober 1968, also kurz vor ihrem 90. Geburtstag, in der englischen Universitätsstadt Cambridge. Von 1907 bis 1938 lebte und arbeitete sie in Berlin, ehe die damals 60-Jährige dann über Holland und Dänemark ins schwedische Exil flüchten musste, wo sie schließlich von 1946 bis 1961 die kernphysikalische Abteilung der Technischen Hochschule in Stockholm leitete.

Macht in Summe: Knapp 29 Jahre in Wien, 31 Jahre in Berlin, mehr als 23 Jahre in Stockholm und die restlichen Jahre in Cambridge. Das "Österreichische" an ihrer Geschichte reduziert sich, abgesehen von ihrer Gebürtigkeit, auf die Verbindung mit den zahlreichen anderen erzwungenen Lebensverläufen einer geistigen Elite, die von hier vertrieben und später nicht zurückgeholt wurde, so sie nicht in den Konzentrationslagern endete.

Weiters: Dürfte es nicht eben viele positive Erinnerungen an jenes Wien gegeben haben, das es Mädchen nicht erlaubte, ein Gymnasium zu besuchen, weshalb Meitner 23 Jahre alt werden und erst ein Examen als Französisch-Lehrerin ablegen musste, ehe sie endlich (nach privater Vorbereitung) als Externe maturieren durfte: Ein Vorgeschmack auf die vielfältigen Hürden, welche die Forscherin fast ein ganzes Leben lang zu überwinden hatte.

An der Universität Wien waren Frauen zu Beginn ihres Studiums (Mathematik und Physik) gerade erst zwei Jahre zuvor zugelassen worden. Nach acht Semestern, in denen sie u. a. Vorlesungen von Ludwig Boltzmann gehört hatte, schrieb sie ihre Doktorarbeit und war damit die zweite Frau, die hier in Physik promovierte.

Doch auch Berlin, wohin sie ihr Wissensdrang führte, nahm sie keineswegs mit offenen Armen auf. Nur widerwillig genehmigte Max Planck ihre Teilnahme an seinen Vorlesungen (machte sie aber dann doch zu seiner Assistentin), und als sie 1909 eine Stelle bei Otto Hahn annahm, um auf dem neuen Gebiet der Radiochemie zu forschen, musste sie vier Jahre einen Nebeneingang des chemischen Instituts benutzen und durfte die Studenten-Räume nicht betreten, da der Institutsleiter Frauen nur höchst ungern duldete. Während der ganzen Zeit arbeitete sie als "unbezahlter Gast", ehe sie 1913 zum wissenschaftlichen Mitglied des neugegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie in Berlin wurde.

1922 habilitierte sich Meitner, 1926 wurde sie a.o. Professorin für experimentelle Kernphysik. 1933 wurden ihr als Jüdin Titel und Lehrbefugnis entzogen, da sie Ausländerin war, durfte sie aber weiter arbeiten. 1938 verlor sie auch diesen Sonderstatus. Noch im schwedischen Exil setzte sie die mit Hahn begonnenen Forschungsarbeiten (nun mit ihrem Neffen, dem Physiker Otto Robert Fritsch) fort - und schätzte als erste korrekt die bei der Kernspaltung frei werdende Energie. Posthume Würdigung: 1992 wurde das Element 109 nach ihr "Meitnerium" benannt.