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Niemals stillstehen

Von Brigitte Pechar

Politik
Karl Blecha: "Das rot-schwarze Vermächtnis ist der Wohlfahrtsstaat."
© Moritz Ziegler

Karl Blecha beendet am Montag seine Präsidentschaft der SPÖ-Pensionisten, macht aber als Ehrenpräsident weiter.


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Wien. Karl Blecha übergibt am Montag das Zepter nach 20 Jahren als Präsident des SPÖ-Pensionistenverbands (PVÖ) an den früheren SPÖ-Klubobmann und Volksanwalt Peter Kostelka. Der PVÖ-Verbandstag fällt mit Absicht auf den 85. Geburtstag von "Charly" Blecha, wie er unter Freunden genannt wird. Rund 350 Delegierte werden ihn dort zum Ehrenpräsidenten der 388.155 Mitglieder wählen.

Der Soziologe gründete in jungen Jahren das Meinungsforschungsinstitut Ifes, das er bis heute mehrheitlich besitzt. Dort hat er sich für die Zeit nach dem PVÖ bereits ein Büro eingerichtet, denn ans Aufhören denkt der "Homo politicus", wie ihn sein Freund Bundespräsident a. D. Heinz Fischer nennt, nicht. Das verwundert jene nicht, die Blecha kennen, denn er war und wird angetrieben von Arbeitseifer und Interesse für alles, was auch nur entfernt mit Politik zu tun hat.

Blecha hat Ende der 1960er Jahre die Meinungsforschung modernisiert und die Wahlwerbung auf völlig neue Beine gestellt. Bruno Kreisky hat Blecha einen Teil seines Erfolges zu verdanken - während der Kreisky-Jahre war Blecha Zentralsekretär der SPÖ. Später wurde er Innenminister und als solcher ist er, wie er es selbst ausdrückt, in die Affären Lucona und Noricum "hineingeraten". 1989 ist er infolgedessen als Innenminister zurückgetreten. Er wurde 1993 wegen Beweismittelunterdrückung und Urkundenfälschung im Fall Noricum rechtskräftig zu einer neunmonatigen bedingten Haftstrafe verurteilt.

"Wiener Zeitung":Sie waren mehr als 60 Jahre politisch aktiv. SPÖ und ÖVP haben die Zweite Republik bis heute fest in Händen gehalten. Was bleibt von der rot-schwarzen Republik?Karl Blecha: Es ist in der rot-schwarzen Koalitionszeit der Aufbau des Sozialstaates Österreich durchgeführt worden - bei Widerständen des Koalitionspartners da und dort. Aber es ist ein Wohlfahrtsstaat, wie ihn die Sozialdemokratie bezeichnet, ein Sozialstaat, wie er allgemein bezeichnet wird, entstanden, der so wie der schwedische ein Musterbeispiel für viele andere europäische Länder geworden ist. Aber ein Sozialstaat, der finanzierbar ist, der die Verantwortung der Mitglieder seines Staates fordert und auf der anderen Seite auf der Zusammenarbeit der Sozialpartner basiert. Wir haben daher in Österreich keine Streiks, keine harten arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen gekannt, weil es die Zusammenarbeit der Sozialpartner am Runden Tisch gegeben hat, wo man sich ausgesprochen hat, wo man Kompromisse gefunden hat, mit denen jeder leben konnte. Man könnte es als österreichisches Wunder bezeichnen, dass jede der sozialen Gruppen die Abhängigkeit von den anderen im Blick hat.

Was bedeutet das jetzt für die Sozialdemokratie, die ja europaweit ins Hintertreffen gerät? Ist schon alles erreicht, und wenden sich die Menschen deshalb ab?

Nein, das glaube ich nicht. Gerade Sozialdemokraten müssen von dem Bewusstsein erfüllt sein, dass man nie erreicht hat, was es zu erreichen gilt. Wir wollen eine Gesellschaft der freien und gleichen Menschen haben, in der es keine am Rande Übriggebliebenen geben darf. Und das ist eine ständige Herausforderung, weil immer neue Brüche in der Gesellschaft aufreißen. Das ist eine permanente Aufgabe, man hat nie den Endzustand erreicht.

Wo sind in der Vergangenheit Fehler passiert, sodass sich die SPÖ seit Dezember auf der Oppositionsbank wiederfindet? Wer könnte ein künftiger Partner sein?

Fehler - das kann ich so nicht sagen. In der Demokratie unserer Tage gibt es immer mehr wahlwerbende Gruppen. Alle, die sich in einem demokratischen Prozess bemühen, Wählergruppen zu mobilisieren, sind Partner. Ich kann niemanden ausschließen.

Aber da gibt es derzeit ein massives Problem. In Wien drohen die Grünen als Partner für die SPÖ abhandenzukommen, auf Bundesebene gibt es sie gar nicht mehr. Der künftige Wiener Bürgermeister Michael Ludwig scheint eher mit der ÖVP zu sympathisieren. Parteichef Christian Kern hat auch deutlich gemacht, dass er mit der FPÖ nicht dringend regieren will. Die FPÖ scheint also kein Partner zu sein.

Die SPÖ hat eine Wertediskussion abgeschlossen - mit sehr hohen Standards. Wer diesem Katalog nicht entsprechen kann, kommt als Partner nicht infrage. Wer ihm entspricht, ist Partner - egal, aus welchem Winkel der Gesellschaft er kommt.

Wir leben in einer sehr dynamischen Zeit. Die Arbeitswelt befindet sich in einem Umbruch. Die jungen Menschen haben häufig den Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance. Viele verzichten für mehr Freizeit auf beruflichen Aufstieg oder ein höheres Einkommen.

Die Souveränität der Arbeitszeitfestsetzung geht auf den Einzelnen über. Aber es gibt die gleichen Bedrohungen für den Einzelnen, der alleine jenen völlig ausgeliefert wäre, denen er seine Arbeitskraft verkaufen will.

Zwar haben die Menschen das Gefühl, dass sie sehr viel mehr selbst bestimmen können. Aber durch die neuen Arbeitszeitformen fehlen ihnen später in der Pension die Jahre, und es fehlt die Beitragshöhe.

Man muss an den Einzelnen appellieren. Mit der Umsetzung des Pensionskontos wurde Transparenz eingeführt. Jeder kann jederzeit abfragen, wie hoch seine Pension gerade wäre. Die Jugend muss lernen, darauf zu achten und die Verantwortung für ihr Leben im Alter zu übernehmen.

Die Zusammenarbeit im Seniorenrat - mit dem ehemaligen ÖVP-Seniorenbund-Präsidenten Andreas Khol, aber auch mit seiner Nachfolgerin Ingrid Korosec - scheint sehr gut zu funktionieren. Hier besteht der rot-schwarze Draht also noch?In den früheren politischen Funktionen haben wir uns natürlich nicht so gut verstanden. Aber im Alter haben wir erkannt, dass man bei der Interessenvertretung der Älteren gemeinsam viel mehr erreicht. Dass man mit der Kraft der Zahl der Älteren gemeinsam auftretend viel bessere Ergebnisse einfährt. Die große, breite Schicht der Seniorinnen und Senioren hat gemeinsame Interessen: in der Gesundheitsversorgung und der Pensionssicherung. Aber wir haben auch eine große Informationsaufgabe: den Jungen zu erklären, dass das, was sie jetzt für die Alten zahlen, die Grundlage für ihre Pension ist. Daher sind wir im selben Boot. Wir haben immer Wert darauf gelegt, dass bei jeder Reform die Jugend berücksichtigt wird.

Wenn Sie Ihr Lebenswerk Revue passieren lassen - was waren Ihre größten Erfolge?

Ich durfte fast 20 Jahre lang maßgeblich in der Seniorenpolitik tätig sein, wo viele Erfolge gelungen sind. Die Senioren sind ein anerkannter, mitbestimmender Faktor im politischen Leben geworden. Das ist das größte Erlebnis. Alles, was wir da erreicht haben, ist für mein politisches Leben das Ausschlaggebendste.

Nicht die Arbeit in der Regierung?

Das ist nicht zu vergleichen, weil man da häufig einen Teilaspekt bearbeitet.

So gesehen ist es natürlich ein Glücksfall, wenn man die besten politischen Jahre am Ende seiner Laufbahn hat.

Genau. Ich konnte in keiner anderen Phase meines politischen Lebens so viel umsetzen wie jetzt. Auch, weil die politische Arbeit hier von Gemeinschaftssinn getragen wurde.