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Niemand hat die Absicht, eine Schuldenunion zu bauen?

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Der Umbau der EU ist voll im Gange, ohne dass darüber transparent demokratisch debattiert oder gar abgestimmt würde.


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Vom kommunistischen DDR-Diktator Walter Ulbricht stammt der berühmt-berüchtigte Satz: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen." Das war im Juni 1961 - wenige Monate später begann der Mauerbau in Berlin. Niemand habe die Absicht, aus der EU eine Schuldengemeinschaft zu machen, in der alle für alle haften und vor allem alle gemeinsam Schulden aufnehmen, wird uns mehr als ein halbes Jahrhundert später rundum versprochen; die jetzige, erstmalige Schuldenaufnahme durch die EU-Kommission zur Finanzierung der gewaltigen Hilfspakete für Südeuropa sei ein absolut einmaliger Vorgang. Denn: Niemand habe ja die Absicht, eine Schuldenunion zu errichten. "Eine Schuldenunion wird es mit uns nicht geben", hat etwa Kanzler Sebastian Kurz felsenfest versprochen.

Ohne den Vergleich zwischen der kommunistischen Diktatur und der EU ungebührlich zu strapazieren: Die Vermutung, dass es diesmal trotzdem genauso kommt wie 1961, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Noch gibt es keiner der handelnden Akteure offen zu, doch die Dementis hören sich irgendwie immer seltsamer an. So sagte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der gern nächster Kanzler werden möchte, erst unlängst: "Der Wiederaufbaufonds ist ein echter Fortschritt für Deutschland und Europa, der sich nicht mehr zurückdrehen lässt." Ein hartes Dementi klingt üblicherweise doch etwas anders.

"Die Corona-Krise ist eine große Chance. Der Widerstand gegen Veränderung wird in der Krise geringer", ergänzte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) mit Blick auf die Wirtschafts- und Finanzunion, die "wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben", jetzt aber "hinbekommen" könnten. Man weiß ja, wie so etwas in der Praxis geht.

Jetzt bleibt, zur Beruhigung der Gemüter, der Vorgang erst einmal wirklich "einmalig". Und zwar so lange, bis es das nächste Mal einen Grund gibt, abermals gemeinsame Schulden aufzunehmen. Und so ein Grund lässt sich immer finden: um den Klimawandel zu bekämpfen, um für mehr "soziale Gerechtigkeit" zu sorgen oder sonst irgendein hehres Ziel zu erreichen. Die vermeintlich "einmaligen" gemeinsamen Corona-Schulden mutieren dann flugs zum Präzedenzfall, der ja bewiesen hat, dass die Methode problemlos funktioniert. Und nach dem dritten "einmaligen" Fall, wenn der Widerstand endgültig erlahmt ist, kann man dann schließlich daran gehen, das dereinst Verbotene oder zumindest Anrüchige zum neuen Normal zu machen. Auch das ist die europäische Methode. "Ein Dammbruch steht bevor", diagnostiziert das Intellektuellenmagazin "Cicero" zu Recht. "Der Umbau der EU ist in vollem Gang, und Corona dient dabei lediglich als jener Katalysator." Der natürlich auch dazu führt, dass die EU künftig auch selbst Steuern einheben wird, ein Anfang ist ja mit der Plastikabgabe gemacht. Dass ein derart fundamentaler Umbau der EU Richtung Bundesstaat ohne Befassung der Wähler geschieht, ist demokratisch mehr als problematisch. Aber auch hier gilt: Niemand hat die Absicht . . .