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Rebellen füllen durch Geiselnahmen ihre Kriegskasse. | Wien/Abuja. "Wo immer wir Geiselnehmer aufspüren, werden wir sie zur Strecke bringen." Nigerias Staatschef Olusegun Obasanjo schlägt harsche Töne an. Der Hintergrund: Im ölreichen Nigerdelta wurden in den vergangenen zwei Wochen mindestens 17 Ausländer verschleppt - neun davon kamen mittlerweile wieder frei. Obasanjo will nun massiv gegen das Kidnapping einschreiten: Sicherheitskräfte würden fortan rund um die Uhr patrouillieren, außerdem drohte der Präsident mit Sanktionen gegen Firmen, die mit Lösegeld ihre Angestellten befreien.
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#Armut trotz Öl
Tatsächlich wurden immer wieder Geiseln freigekauft, was Kriminelle zu weiteren Verschleppungen motivierte. Doch nicht allen Entführern geht es um Bares: Die "Bewegung für die Bevölkerung im Nigerdelta", die im August einen deutschen Mitarbeiter einer Baufirma verschleppte, forderte in einem Bekennerschreiben neben der Freilassung zweier Rebellenführer "mehr Arbeitsplätze für Jugendliche, eine bessere Sozialversorgung und Infrastruktur". Lösegeld will man offiziell keines.
Immer wieder fordern die Rebellengruppen des Nigerdeltas eine größere Partizipation der Bevölkerung am Ölreichtum. Nigeria ist der achtgrößte Erdölexporteur weltweit. Ausländische Firmen wie Shell oder ExxonMobil sind durch Joint Ventures mit der Nigerian National Petroleum Corp. an dem Geschäft beteiligt. Seit der Unabhängigkeit 1960 wurden rund 350 Milliarden Petrodollar dem Boden entnommen. Diese flossen fast ausschließlich in die Taschen der internationalen Konzerne und heimischen Elite. Zwar investieren erstere in Entwicklungsprojekte, doch die breite Bevölkerung sieht nichts von dem Reichtum. In Yenagoa, der Hauptstadt des ölreichen Bundesstaates Bayelsa, leben 70 Prozent der Bevölkerung von weniger als einem US-Dollar am Tag. Außerdem leidet die Bevölkerung im Süden des Landes an Umweltschäden infolge der Ölproduktion: Durch verseuchte Böden und Flüsse sind Ackerbau und Fischzucht oft nicht mehr möglich, ein großer Teil der Landbevölkerung flieht in die Ghettos der Großstädte und vergrößert das Heer der Arbeitslosen, das in Nigeria 45 bis 50 Prozent der Erwerbsfähigen ausmacht.
Die Rebellen bezeichnen sich als Vertreter des Volkes oder einer der verschiedenen Ethnien im Nigerdelta. Doch auch viele Aufständische verdienen gerne am Öl. So wird die "Niger Delta People`s Volunteer Force", eine der größten Milizen, verdächtigt, in den Schwarzhandel verstrickt zu sein. Die Pipelines werden angezapft, außerdem kommt es zu Sabotageakten. Durch die seit Jahresbeginn sprunghaft angestiegenen Entführungen - bereits an die 80 Ausländer wurden verschleppt -, wurde eine weitere Einnahmequelle und ein politisches Faustpfand entdeckt.