Es ist ein historischer Moment: Mit Muhammadu Buhari gewinnt erstmals ein Oppositionskandidat die Präsidentenwahl. | Von dem demokratischen Wandel profitiert damit ausgerechnet ein ehemaliger Diktator.
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Abuja/Wien. Es kommt nicht oft vor, dass Politiker einen hochrangigen Vertreter einer gegnerischen Partei als Helden bezeichnen. Doch genau das ist in Nigeria geschehen, nachdem Noch-Staatschef Goodluck Jonathan seinen Konkurrenten bei der Präsidentenwahl, Muhammadu Buhari, angerufen hatte, um ihm zum Wahlsieg zu gratulieren. Jonathan "wird für diesen Schritt als Held in Erinnerung bleiben", sagte danach ein Mitglied von Buharis "Partei der Progressiven" (APC).
Denn mit dem Eingeständnis seiner Niederlage ebnet Jonathan den Weg für einen friedlichen Machtwechsel. Nigeria hat eine traurige Geschichte der politischen Gewalt nach Wahlen hinter sich, die schon tausende Menschenleben forderte. Nun rief Jonathan seine Anhänger dazu auf, ruhig zu bleiben. "Niemandes Streben ist das Blut eines Nigerianers wert", erklärte er. Damit ist nicht garantiert, dass es diesmal friedlich bleibt, doch die Chancen darauf sind enorm gestiegen.
Jonathan bekam für seinen Schritt auch viel Anerkennung von der internationalen Gemeinschaft. Großbritannien, die frühere Kolonialmacht in Nigeria, lobte etwa dessen "staatsmännischen Weitblick". Die Präsidentenwahl hatte am Wochenende stattgefunden, Jonathans Niederlage zeichnete sich bald ab. Beobachter sind sich sicher, dass der Amtsinhaber und seine Mitstreiter von vielen Staatskanzleien und Diplomaten aufgefordert wurden, die Niederlage zu akzeptieren.
Unruhen sollten nämlich unbedingt vermieden werden: Wenn der Riese Nigeria wankt, dann droht ganz Afrika, oder zumindest ganz Westafrika, in den Abgrund zu stürzen. Nigeria ist mit seinen rund 180 Millionen Einwohnern nicht nur das weitaus bevölkerungsreichste Land Afrikas, es besitzt auch die stärkste Wirtschaftskraft (was nichts daran ändert, dass der Großteil der Bevölkerung in Armut lebt, der Wohlstand ist in dem ölreichen Staat sehr ungleich verteilt).
Nun bahnt sich aber ein historischer Moment für Nigeria an: Der Staat erlebt einen demokratischen Machtwechsel, auf den er lange warten musste. Seitdem sich Nigeria Ende der 1990er Jahre von einer Militärdiktatur in eine Demokratie gewandelt hatte, regierte durchgehend die Demokratische Volkspartei, und all ihre Kandidaten gewannen die Präsidentschaftswahlen. Doch bei diesem Votum hatte sich die zersplitterte Opposition erstmals zu einer starken Bewegung zusammengeschlossen und gesiegt. Nigeria habe seinen "Glauben an die Demokratie" gezeigt und den Einparteien-Staat hinter sich gelassen, sagte Wahlgewinner Buhari.
Nigerianer hatten genug von ineffizienter Regierung
Mit dem 72-Jährigen profitiert ausgerechnet ein ehemaliger Diktator von dem demokratischen Wandel. Buhari, der sich heute als geläuterter Demokrat präsentiert, war von 1983 bis 1985 Militärherrscher. Damals führte er eine Kampagne zur Disziplinierung des Landes durch. Beamte, die zu spät zur Arbeit kamen, mussten Turnübungen machen, zudem wurden hunderte Staatsdiener wegen Korruption verhaftet. Gleichzeitig machte Buhari Kritiker mundtot: Oppositionelle landeten schnell vor Militärgerichten und wurden ebenso schnell in dubiosen Prozessen verurteilt. Das damalige Regime Buharis gilt als eines der rücksichtslosesten in der Geschichte Nigerias.
Deshalb wurde Buharis Vergangenheit im Wahlkampf immer wieder kritisch beleuchtet, bei vielen Nigerianern löst seine Vita bis heute Skepsis aus. Dass er trotzdem fast 54 Prozent der Wähler hinter sich vereinen konnte, dass auch viele Christen dem gläubigen Moslem Buhari und nicht dem Christen Jonathan ihre Stimmen gaben, zeigt laut Beobachtern vor Ort, wie sehr die Nigerianer von der Regierung Jonathan genug hatten.
Eine Regierung, die nicht gegen korrupte Staatsdiener und Geschäftsleute vorging - sondern den Leiter der Zentralbank entließ, nachdem dieser öffentlich gemacht hatte, dass bei den staatlichen Öleinnahmen offenbar mehrere Milliarden Dollar versickert waren. Eine Regierung, die erst wenige Wochen vor der Wahl ernsthaft gegen den Aufstand der islamistischen Terrorsekte Boko Haram vorging - und zuvor dabei zusah, wie die Gotteskrieger ganze Städte unter ihre Kontrolle bringen konnten, wo sie Männer massakrierten und Frauen versklavten.
Dass er mit der Korruption und mit Boko Haram aufräumen werde, waren die zwei großen Versprechen Buharis. Tatsächlich hat er den Ruf, sich nicht bestechen zu lassen (was für viele Leute aus seinem Umfeld nicht gilt). Und offenbar zog auch das Argument, dass Buhari als pensionierter General für den militärischen Kampf gegen Boko Haram geeigneter ist als der Zivilist Jonathan.
Mehr als von seinen Ankündigungen hat Buhari aber laut Politanalysten von einem besonderen Umstand bei dieser Wahl profitiert: Erstmals hatte ein Oppositionskandidat reelle Chancen auf den Wahlsieg, erstmals eröffnete sich den Nigerianern die Chance, einen Amtsinhaber abzustrafen und für den Wandel zu stimmen. Und wenn die Nigerianer mit Buhari nicht zufrieden sind, können sie ja in vier Jahren jemand anderen wählen.