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"Nigerias Landkonflikt fordert mehr Tote als Boko Haram"

Von Konstanze Walther

Politik

In der Theorie sollen Afrikas Böden langfristig auch die Ernährung Europas sicherstellen. Doch Land ist schon innerhalb Afrikas schwer umkämpft, wie das Beispiel Nigerias zeigt.


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Beim hochrangigen Afrika-Forum in Wien wurde viel über Landwirtschaft gesprochen. Wie kann man mithilfe von Technologie und Know-how die Ernährungssicherheit verbessern - nicht nur für die afrikanische Bevölkerung selbst, sondern auch als Exporteur von Nahrungsmitteln in die ganze Welt? Afrika verfügt schließlich über viel ungenützte Fläche für Landwirtschaft. Das darf man in einer Welt mit rasant wachsender Bevölkerung nicht unterschätzen.

Doch trotz des neuen Mantras, die Konflikte des Kontinents nicht übertreiben zu wollen, darf man lokale Besonderheiten nicht übersehen. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Rotimi Williams über den tödlichen Konflikt zwischen umherziehenden Hirten und ansässigen Farmern. Williams, Podiumsteilnehmer beim Afrika-Forum, ist Eigentümer der zweitgrößten kommerziellen Reis-Farm Nigerias. Er hat aber wegen der blutigen Eskalation seine Landwirtschaft seit Jänner nicht mehr gesehen.

"Wiener Zeitung":Wie kam es zu der blutigen Auseinandersetzung zwischen Hirten und Farmern diesen Jänner?

Rotimi Williams: Dabei handelt es sich um einen historischen Konflikt zwischen Farmern und umherziehenden Hirten. In den angrenzenden Gebieten wurden deswegen schon immer Menschen wegen "Übertretung" oder "Grenzmissachtung" getötet. Insgesamt hat dieser Konflikt um Land mehr Tote auf dem Gewissen als Boko Haram (islamistische Terrororganisation, die vor allem in Nigeria aktiv ist; dem Landkonflikt werden tausende von Toten in den letzten Jahrzehnten zugeschrieben, Anm.).

Das hält die Menschen vom Investieren ab. Ich werde nicht Millionen in meine Farm stecken, wenn ich sie nicht einmal besuchen kann. Das ist ein riesiges Problem, und es ist bei Weitem nicht nur meines, sondern das Problem von ganz Nigeria - mit 200 Millionen Einwohnern immerhin das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Die meisten Farmer, die ich kenne, wollen sich nicht mehr auf ihrer eigenen Farm aufhalten. Man darf nicht vergessen, dass 90 Prozent der Nahrung, die wir in Nigeria konsumieren, von kleinen Subsistenz-Landwirten kommt. Und die Kleinen sind von diesen Konflikten am stärksten betroffen.

Rotimi Williams gehört die Keresuk Rice Farm im Norden Nigerias, die rund 50.000 Hektar umfasst. Williams hat zwei Abschlüsse in Wirtschaft der Universität in Aberdeen, Schottland, sowie einen Abschluss in Entwicklungsstudien aus London. Er arbeitete als Journalist bei "Euromoney" in London sowie als Banker in Nigeria, bevor er sich dazu entschloss, in Nigeria eine Farm zu kaufen. Williams betreibt außerdem zwei Tech-Start-ups.
© Walther

Wie kann man das lösen?

Es muss Verantwortlichkeiten und Haftung geben. Wir hoffen auch auf die neuen Technologien: Denn damit könnten wir die Bewegungen der nomadischen Viehherden elektronisch verfolgen - und wenn sie in die Koordinaten einer Landwirtschaft kommen, bekommen alle Betroffenen einen Warnhinweis und können für dieses Problem eine Lösung finden, bevor es eskaliert.

Reicht die Hoffnung auf moderne Technologien?

Nein, wir brauchen auch Maßnahmen seitens der Politik. Das ist mit ein Grund, warum ich hier bei dem Forum in Wien bin: Um sicherzustellen, dass die internationale Gemeinschaft die nigerianische Regierung zur Verantwortung zieht - was die Implementierung von Maßnahmen betrifft. Dass nicht alles in der Schublade verschwindet.

Der Konflikt zwischen Hirten und Sesshaften ist nicht nur ein nigerianisches Problem, auch andere afrikanische Länder leiden darunter.

Unser Landkonflikt ist nicht einzigartig für Afrika, aber das Problem in Nigeria hat potenziell zerstörerische Ausmaße für ganz Afrika, allein wegen der nigerianischen Bevölkerungsgröße. Von 200 Millionen Einwohnern sind 20 Millionen herumziehende Viehhirten. Wenn man diese 20 Millionen Hirten aus Nigeria hinausdrängt, wird das in den angrenzenden Ländern deutlich zu spüren sein. Das ist ein wirkliches Problem. Und es ist auch nicht auf eine Region begrenzt, sondern existiert im ganzen Land. Wenn wir also mit diesem Konflikt umgehen, müssen wir sehr, sehr behutsam sein, denn sonst kommt es zu einem Bürgerkrieg, der im ganzen Land stattfindet. Wie will man den dann eingrenzen? Man muss also beide Parteien, Farmer und Hirten, in die Lösung einbeziehen. Beide gehören zum afrikanischen Ökosystem. Es gibt kein richtig oder falsch. Es ist einfach ein Missverständnis. Und Regierung sowie Privatleute müssen eine Rolle spielen.

Sie haben bei dem Forum in Wien für "afrikanische Lösungen für die afrikanischen Probleme" plädiert.

Was ich meine, ist, dass europäische Lösungen nach Schema F für Afrika vielleicht im Sudan funktionieren, vielleicht in Mali funktionieren, aber sicher nicht in Nigeria, weil dort die Herausforderungen anders gelagert sind. Afrikaner verstehen die eigenen Probleme und sie müssen eben jene Lösungen finden, die sie dann in Europa vorstellen, um hier die Schützenhilfe zu bekommen.

Braucht Nigeria, braucht Afrika denn überhaupt die Hilfe Europas?

Ja, natürlich. Um Strategien zu entwickeln. Ein Teil der Gesetze, die in Nigeria beschlossen worden sind, werden gerade von der Europäischen Kommission geprüft, um sicherzugehen, dass alle Betroffenen einbezogen werden. Und in Europa gibt es eben auch die notwendige Finanzierung für Projekte, die am Papier nicht sonderlich attraktiv erscheinen. Außerdem profitiert auch Europa, wenn es versteht, woher die Konflikte rühren. Denn im Endeffekt reden wir über Migration, oder? Und wohin geht ein Viehhirte, wenn er ein besseres Leben sucht? Wenn die Verzweiflung zunimmt, sucht er früher oder später nach einer Zukunft in Europa.

Sie sind nach Nigeria zurückgekehrt und unternehmerisch tätig.

Ich war im Ausland, um zu studieren und Arbeitserfahrung zu sammeln. Aber ich musste einfach zurück, um einen kleinen Teil der Lösung beizutragen.