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Nigerias Ölsegen hilft nur wenigen: Pipeline-Explosion als Armutszeugnis

Von Georg Friesenbichler

Analysen

Die meisten Toten bei einer Explosion in Nigeria gab es zu Beginn des Jahres 2002: Mehr als 1000 Menschen starben damals in Lagos, als ein Munitionsdepot in die Luft flog. Mindestens ebenso viele kamen aber in den vergangenen Jahren ums Leben, als sie versuchten, Öl aus lecken Ölpipelines abzuzapfen.


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Wie viele es bei dem letzten derartigen Vorfall vom Dienstag waren, ist noch unklar. Mindestens 300 dürften es aber auf jeden Fall sein. An die 300 Menschen starben bereits Mitte Mai unter ähnlichen Umständen in dem kleinen Fischerdorf Inagbe nahe der Millionen-Metropole Lagos.

Bei dem jüngsten Unglück sollen zwei Diebesbanden hintereinander die Pipeline angezapft haben. In ihrem Gefolge tauchten hunderte Einwohner ab, um von der angebohrten Leitung gleichfalls zu profitieren und Benzin in ihre Kanister zu füllen.

Der Benzindiebstahl ist ein verbreitetes Delikt, das nur durch solche Explosionen in die Schlagzeilen gerät. Die Banden verkaufen das abgezapfte Benzin auf dem Schwarzmarkt, die anderen nutzen es für den Eigenbedarf. Mangel an überirdisch verlegten Pipelines herrscht nicht: Nigeria ist größter Erdölexporteur Afrikas, der achtstärkste der Welt. 90 Prozent der Deviseneinnahmen, 80 Prozent des Budgets kommen aus dem Ölgeschäft.

Gerade deshalb ist der ständige Benzin-Diebstahl kein Zeugnis krimineller Energie, sondern ein Armutszeugnis im Wortsinn: Trotz des Rohstoff-Reichtums leben 70 Prozent der geschätzten 130 Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze. Die Lebenserwartung im bevölkerungsreichsten Landes Afrikas liegt bei 47 Jahren.

Vom Öl profitiert somit laut Weltbank nur ein Prozent der Bevölkerung, die daraus resultierenden Einnahmen versickern in Korruption, Machtmissbrauch und Misswirtschaft. Zuletzt war dies Vizepräsident Atiku Abubakar vorgeworfen worden. Hintergrund dürfte allerdings ein Machtkampf mit Präsident Olusegun Obasanjo sein, der 1999 das Land nach drei Jahrzehnten Militärherrschaft in die Demokratie führte, nun aber nur schwer verkraftet, nicht ein drittes Mal kandidieren zu können. Jedenfalls landet Nigeria auf dem Korruptionsindex bei den Schlechtesten.

Dazu ist das Land der 250 Volksgruppen von ethnischen und religiösen Konflikten zerrissen. Im Norden dominiert der Islam, es kommt immer wieder zu blutigen Unruhen.

Aber auch im mehrheitlich christlichen Süden ist es alles andere als ruhig, wozu das Öl seinen Teil beiträgt. Im ölreichen Niger-Delta operieren zahlreiche Rebellengruppen, die immer wieder durch Entführungen oder Anschläge auf Pipelines auf sich aufmerksam machen. Sie verlangen eine gerechtere Verteilung der Öleinnahmen und Entschädigungen für die Umweltverschmutzung durch die ausländischen Konzerne. Shell und Agip zogen unlängst auf Grund der Sicherheitslage mehrere hundert Mitarbeiter ab. Trotzdem bleibt Nigeria umworbener Partner. Seite 7