Philosoph erklärte, wie anstrengend der Skeptiszismus ist. | Wien. Mit einem Symposium zum Thema "Von der Unabhängigkeit des Denkens" verabschiedete sich Rudolf Burger am Donnerstag von der Universität für angewandte Kunst, an der er seit 1987 lehrte. Dass denkerische Unabhängigkeit für Burger selbst eine philosophische Tugend ist, bewies er in den letzten Jahren mehrfach durch Stellungnahmen, die für heftige Kontroversen sorgten.
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Für Wirbel sorgte er etwa Anfang der 90er Jahre, als er der österreichischen Außenpolitik im Balkan-Konflikt "Kriegsgeilheit" unterstellte. Eine weitere Debatte löste er 2001 aus, als in dem Essay "Die Irrtümer der Gedenkpolitik" den öffentlichen Umgang mit der NS-Zeit kritisierte und für "das Vergessen" plädierte.
Auf Würdigungen zu seiner Emeritierung wollte Burger verzichten. Der jetzige Rektor der Angewandten, Gerald Bast, hob am Anfang des Symposions dennoch Burgers skeptizistische Grundhaltung lobend hervor. "Nur wenige von Burgers Kritikern sind im Gegensatz zu ihm bereit, den Skeptizismus auch auf sich selbst zu beziehen."
Die vier zum Symposion eingeladenen Vortragenden teilten Burgers nihilistische Grundeinstellung. Der Literaturwissenschafter Helmut Lethen befasste sich mit dem Versuch des deutschen Philosophen Helmuth Plessners, nach dem ersten Weltkrieg die instabil gewordenen Verhaltensregeln neu zu begründen.
Bedeutungslosigkeit des Menschen
Reinsten Nihilismus bot der deutsche Schriftsteller Ulrich Horstmann: "Wüsste der Mensch über seine Bedeutungslosigkeit Bescheid, hielte er seinen Ausstieg von der Barbarei zur Zivilisation nicht der Mühe wert. Zu dieser Erkenntnis kommt er aber nur durch Aufklärung."
Eine "präskriptive Ästhetik" forderte der Kulturphilosoph Christian Deman. Demnach ist nicht entscheidend, was wir als schön empfinden, sondern was schön sein soll. "Vieles empfinden wir als ästhetisch schön. Die spannende Frage aber ist, welche ästhetischen Erfahrungen auch erlebenswert sind!" Die Unterscheidung zwischen ästhetisch erlebenswerter und nicht erlebenswerter Kunst würde in Wahrheit die Kunstgeschichte machen, dies aber geschickt verschleiern. "Die Kunstgeschichte tut so, als sei sie durch die Phänomene, nicht durch den Erzähler selbst bestimmt."
Der Literaturwissenschafter Karl Heinz Bohrer nahm sich schließlich des eigentlichen Themas des Symposions - "Unabhängigkeit des Denkens" - an. Montaigne, Schlegel und Nietzsche verkörpern für ihn innovatorische und unabhängige Denker, vor allem weil sie vergleichsweise unsystematisch sind. Gegenwärtig sei es schwierig noch Denker solchen Schlages zu finden. Worauf es ankommen, um innovativ zu sein, sei "die Vermeidung von Gedanken. Ein neuer Gedanke kommt plötzlich."
Beiseite geschobene Denkschablonen
Am Ende erläuterte Burger nochmals die skeptizistische Denkweise: "Das Anstrengende daran ist, alle Denkschablonen und Idealismen beiseite zu schieben, um die Sachen selbst in den Blick zu nehmen." Eine bemerkenswerte Aussage, wenn man bedenkt, dass die Übereinstimmung zwischen Denken und Wirklichkeit gerade das ist, was die klassische Metaphysik unter Wahrheit verstanden hat. Dient also auch der Skeptizismus am Ende der Wahrheit?
Doch ganz ohne Würdigungen ging die Veranstaltung nicht zu Ende. Wissenschaftsminister Johannes Hahn, selbst promovierter Philosoph, rühmte Burgers Unbeugsamkeit. Er verstehe es, seine teils provokativen Standpunkte auch argumentativ zu stützen. Solche Personen seien auch wichtig für den öffentlichen Diskurs, da sie verhinderten, dass vor lauter Schlagzeilen, die "Substanz" einer Thematik verloren gehe.
Am 2. Juni bringt das "Extra" der "Wiener Zeitung" ein ausführliches Interview mit Rudolf Burger.