)
Ein Gericht in Tokio hat am Dienstag Entschädigungszahlungen an Chinesen abgelehnt, die im Zweiten Weltkrieg Opfer biologischer Experimente der japanischen Besatzungsstreitkräfte wurden. Mit dem gestrigen Urteil erhöhen sich die jüngsten bilateralen Spannungen weiter. Peking verlangt nun erstmals einen Verzicht des japanischen Premiers Koizumi auf einen Besuch im Shinto-Schrein Yasukuni, in dem auch 14 japanische Kriegsverbrecher verehrt werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Japans fragwürdiger Umgang mit seiner Geschichte und die demonstrative Weigerung, 60 Jahre nach dem Ende der Besatzung eine Kursänderung einzuleiten, stellt die Beziehungen zum Reich der Mitte vor eine ernste Belastungsprobe. Japan hält trotz scharfer Kritik aus Peking und anti-japanischen Massenprotesten nicht nur an der Zulassung eines neuen Geschichtsschulbuchs fest, in dem die Kriegsverbrechen verharmlost oder gar verschwiegen werden, es verweigert beharrlich auch eine Entschuldigung für die Gräueltaten, die die einstigen Invasionstruppen begingen.
Am Dienstag folgte mit der Zurückweisung von Entschädigungszahlungen an Angehörige von Opfern, die an biologischen und chemischen Versuchen starben, ein weiterer Affront. Ein Tokioter Berufungsgericht bestätigte das Urteil eines Bezirksgerichts aus dem Jahr 1999, wonach ausländische Bürger keine direkte Wiedergutmachung von der japanischen Regierung verlangen dürfen, weil derartige Fragen bereits in den Verträgen der Nachkriegszeit mit den betroffenen Staaten geregelt worden seien.
"Einheit 731"
Geklagt hatten chinesische Familien, an deren Angehörigen die berüchtigte japanische Armee - genauer die "Einheit 731" - in der Mandschurei zwischen 1932 und 1945 brutale Chemie- und Bioexperimente (u.a. mit Anthrax) durchgeführt hat. Über 200.000 Chinesen kamen damals ums Leben. Der Verlauf der zunächst auf einen kleinen Personenkreis beschränkten Experimente bis zum grausamen Tod wurden auf Hunderten von Seiten mit detaillierten Illustrationen protokolliert. Später wurden auch Versuche im großen Maß an Chinas Bevölkerung durchgeführt.
Besonders blutig war auch das Massaker in Nanking. Dort hatten 1937 japanische Invasionstruppen etwa 300.000 Zivilisten abgeschlachtet und 20.000 Chinesinnen vergewaltigt. Bis zu 200.000 Frauen wurden in japanischen Soldatenbordellen zur Zwangsprostitution gezwungen. In den japanischen Schulbüchern wird das Massaker bis heute lediglich als Zwischenfall bezeichnet.
Vor diesem Hintergrund werden in China auch die alljährlichen Besuche des japanischen Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi im Yasukuni-Schrein als Provokation empfunden. In diesem shintoistischen Nationalheiligtum werden schließlich die Protagonisten des japanischen Militarismus wie der von einem internationalen Militärgericht als Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilte und 1948 hingerichtete Ex-Premier General Hideki Tojo verehrt.
Gestern verlangte Pekings Führung erstmals öffentlich einen Verzicht auf die Pilgerreise. Tokio wies auch diese Forderung umgehend zurück - wenngleich Koizumi selbst bereits anklingen ließ, dass er heuer von einem Tripp zum Schrein Abstand zu nehmen gedenke.
Keine Gesprächsbasis mehr
Die diplomatische Verstimmung zwischen beiden Ländern ist mittlerweile so groß, dass Koizumi ein Tete-à-tete mit Chinas Staatschef Hu Jintao auf dem morgen, Donnerstag, beginnenden Asien-Afrika-Gipfel in Indonesien in Frage stellt. "Wenn das ein Austausch barscher Worte wird, ist es besser, sich nicht zu treffen", meinte er am Montag, nachdem sich der Ton zwischen den beiden Regierungen bei einem Peking-Besuch des japanischen Außenministers Nobutaka Machimura am Wochenende erneut verschärft hatte.
Die Rache der Wirtschaft
Den japanischen Unternehmen bereiten die politischen Spannungen zunehmend Kopfschmerzen. Angesichts der Proteste und Boykotts gegen japanische Produkte machen sich Nippons Firmen große Sorgen um ihre Markennamen und die Attraktivität ihrer Produktionsstandorte. Direkt betroffen werden Ökonomen zufolge zunächst vor allem Supermarkt-Ketten wie Ito-Yokoda oder Verlage sein. Aus Furcht vor anti-japanischen Protesten sagen auch immer mehr Japaner Reisen nach Hongkong und nach China ab. Laut der Vereinigung von Hongkonger Reiseanbietern, hätten japanische Touristen aus diesem Grund im Mai bereits etwa 30 Prozent ihrer Touren nach Hongkong storniert; in Richtung China sei sogar jede zweite Reise abgesagt worden. In den nächsten zwei Monaten würden die Auswirkungen der Proteste auf die Tourismusindustrie Hongkongs sichtbarer, da sich die meisten Urlauber dann andere Ziele für ihre Sommerferien suchten.
Nach Ansicht von Analysten wird der Konflikt letztlich aber nur begrenzte Auswirkungen auf den Handel zwischen den beiden Ländern haben. Die Wahrscheinlichkeit eines Handelskrieges wird für gering gehalten. Der wesentliche Anteil der japanischen Exporte nach China besteht aus Maschinen und Vorprodukten. "Die werden auch weiterhin vor allem von den dort ansässigen japanischen Unternehmen eingesetzt, um für die Endnachfrage auf dem japanischen und amerikanischen Markt zu produzieren", erklärt Martin Schulz, Ökonom beim Fujitsu Research Institute in Tokio.
Allerdings habe der Konflikt Folgen für weitere Bereiche der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wie den Investitions- und Produktionsnetzwerken von Produzenten wie Toyota oder Canon.
Angst vor Ausschreitungen
"Hier wird sich eine zuneh mende Risikoprämie für die Produktion in China negativ auswirken, wenn der Produktionsstandort durch soziale Auseinandersetzungen in den Küstenregionen oder durch eine unkooperative Politik der chinesischen Regierung gefährdet wird", meint Schulz. Mehr als 30.000 japanische Firmen operieren im Reich der Mitte. Experten sind sich einig, dass Japans wirtschaftliche Zukunft auch langfristig weiter von der Entwicklung Chinas abhängt.
Seit einigen Monaten beobachten Ökonomen allerdings ganz allgemein einen Schwenk in China weg von Kapitalgüterinvestitionen. Die Nachfrage nach solchen Produkten nimmt ab. Dieser Umstrukturierungsprozess trifft Japans Exporte und damit seinen Wachstumsmotor unabhängig von den derzeitigen politischen Spannungen.