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Nix passiert - aber alles anders

Von Christian Mayr

Analysen

Abschlussbilanz über die Psychiatrie U-Kommission. | Brisante Aussagen, viele Veränderungen und ein prinzipielles Missverständnis. | "Es gab keinerlei Hinweise auf Missstände in der Wiener Psychiatrie. Und wo es keine Missstände gibt, gibt es auch keine politische Verantwortung." Also sprach Christian Deutsch, Fraktionsführer der Wiener SPÖ in der Rathaus-Untersuchungskommission, die die Zustände in der Wiener Psychiatrie unter die Lupe genommen hat. Ganz so einfach ist die Sache freilich bei weitem nicht, wie die bisher 29 Sitzungen gezeigt haben. Die 30. und letzte wird am 19. Februar stattfinden - Zeit für eine kritische Bilanz.


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Tatsächlich gibt es bis dato kein rechtsgültiges, mit klaren Beweisen untermauertes Urteil, dass es Missstände in der Psychiatrie gab oder gibt. Man sollte nicht zu überrascht sein, denn es herrscht offenbar ein prinzipielles Missverständnis, was eine U-Kommission leisten kann - und was nicht. Es geht nämlich immer nur um die politische Verantwortung für etwas; nicht, ob etwas so oder anders passiert ist und wer daran direkt Schuld trägt. Eine U-Kommission ist eben kein Gericht.

Und nachdem es Direkt-Betroffenen (Patienten, Angehörigen) mit SPÖ-Mehrheit untersagt wurde, ihre Erlebnisse zu berichten und der ersatzweise angetretene Patientenanwalt einen skurrilen Auftritt hinlegte, war es ein Ding der Unmöglichkeit, Missstände aufzuzeigen, aufzuklären und sie auch anzuerkennen.

Viel aus Lainz gelernt

Letztlich beißt sich damit die Katze in den Schwanz: Wie soll eine Kommission eine politische Verantwortung klären, wenn es nicht die geeigneten Mittel gibt, den Gegenstand der Verantwortung zu untersuchen? Dass mit Mehrheit jeder (unliebsame) Zeugen abgelehnt werden kann, spricht nicht gerade für das ansonsten löbliche Instrument einer U-Kommission als Minderheitenrecht in Wien.

Die Wiener SPÖ hat jedenfalls aus der letzten U-Kommission über den Geriatrie-Skandal in Lainz gelernt: Damals musste die Spitze des Krankenanstaltenverbunds (KAV) inklusive der Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann gehen - auch und vor allem, weil Missstände als solche anerkannt wurden. Diesmal war es ganz anders: Es wurden alle Vorwürfe kategorisch zurückgewiesen und Aussagen von Experten als "Einzelmeinung" degradiert. Der Unterschied zu Lainz: Damals gab es einen internen Kontrollbericht des Magistrats über die üblen Zustände, der einfach nicht negiert werden konnte. Über das Otto-Wagner-Spital (OWS) gab es nichts Vergleichbares.

Dennoch kann eine positive Bilanz gefällt werden: Nicht nur, dass Zeugen viele brisante Fakten zu Tage brachten, gab es praktisch in allen Bereichen Veränderungen und Verbesserungen. Gleichsam nach dem Motto: Nix is´ passiert, aber alles wurde anders.

* Bemerkenswert war etwa, dass sich alle auswärtigen Experten klar gegen Netzbetten aussprachen - und diese nur von KAV-Mitarbeitern verteidigt wurden. Zitat eines deutschen Arztes: "Bei uns findet man Netzbetten nur noch in Psychiatrie-Museen."

* Die Patientenvertretung am OWS bestätigte, dass es nirgendwo sonst derart häufig zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen (Fixierung, Netzbett) kommt wie am OWS - und zwar mit deutlichem Abstand. Ein direkter Zusammenhang zwischen diesem Faktum und Personalnot wurde hergestellt.

* Bauliche Mängel wurden immer wieder erörtert: In manchen Pavillons gibt es keine Geschlechter-Trennung bei den Waschräumen; punkto Brandschutz zeigten sich grobe Lücken; auch die internistische Versorgung von Patienten kann laut einem Arzt nicht voll gewährt werden.

* Vernichtend auch die Kritik von Kinderpsychiater Max Friedrich: Wien sei vom internationalen Standard in der Kinderpsychiatrie "weit entfernt". Hier reagierte die Politik prompt und schuf mehr Betreuungsplätze - woraufhin sich Friedrich wie zu "Weihnachten und zumindest zehn Geburtstagen" fühlte.

* Trotz Angst vor Repressalien sagten einige KAV-Mitarbeiter mutig aus. Etwa eine Ärztin und Mittelbauvertreterin, die vor allem die Nachbetreuung psychisch Kranker kritisierte und meinte, diese würden in Wien "verkommen".

Was verändert wurde

* Aufgrund dieser - nennen wir es - "Fehlentwicklungen" kam es zu umfangreichen Veränderungen: Die Posten für Ärzte und Pfleger am OWS wurden massiv aufgestockt; ein Sicherheitsdienst schützt jetzt das Personal vor Angriffen bzw. hindert Patienten an der Flucht; der Einsatz von Netzbetten wurde reduziert bzw. wird von einer Kommission überwacht; erstmals liegen konkrete Pläne vor, den Steinhof bis 2015 als Psychiatrie-Moloch aufzulösen (analog zum Pflegeheim Lainz).

Und schließlich ist es der U-Kommission und kritischen Medien zu verdanken, dass erstmals seit Jahrzehnten über die Unterbringung psychisch Kranker diskutiert wird und dies dazu beigetragen hat, eines der letzten großen Tabus der Gesellschaft aufzubrechen. Letzteres hat sogar die SPÖ als Erfolg der Kommission akzeptiert.