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Krisenregion im Westen Deutschlands verliert mit Opel den größten Arbeitgeber.
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Bochum. "Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt. Ist es besser, viel besser, als man glaubt!", sang Herbert Grönemeyer über seine Heimatstadt Bochum 1984. Damals zählte Opel zu den erfolgreichsten Autobauern Europas. Doch seit Jahren schreibt der Konzern Verluste, gilt das Werk im nordrhein-westfälischen Bochum als Schließungskandidat. Am Montag, nur fünf Tage vor dem 50. Jahrestag der Werkseröffnung, kündigte Interimschef Thomas Sedran das Unvermeidliche an: Die Produktion läuft 2016 aus. "Wir leiden unter enormen Überkapazitäten. Unter Berücksichtigung vieler Faktoren war Bochum leider das Werk, das das unwirtschaftlichste war."
3400 Mitarbeiter bangen um ihre Zukunft, wenn der letzte Mini-Van Zafira Tourer in vier Jahren im Ruhrpott vom Band läuft. Opel übt sich derzeit in der Ausgabe verbaler Beruhigungspillen: "Eine signifikante Zahl" an Arbeitsplätzen im Lager und einer möglichen Komponentenfertigung bleibe erhalten, sagte Stephen Girsky, Vize-Chef von Opels Mutter General Motors (GM). Doch Experten scheint die Erhaltung vieler Jobs unrealistisch: Man solle sich nicht an "irgendwelche Hoffnungen klammern", urteilt Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen.
Merkels Schulterzucken
Entsetzen herrscht unter den "Opelianern": "Der Schock ist nicht die Nachricht, sondern die Art und Weise, wie sie überbracht wurde", sagte Ex-Opel-Pressesprecher Andreas Graf Praschma gegenüber "derWesten.de". Das sei "menschenverachtend" gewesen. Tumultartige Szenen spielten sich angeblich bei der nicht-öffentlichen Betriebsversammlung ab, als Sedran die Entscheidung bekanntgab. Das Klima bei den laufenden Verhandlungen über ein Opel-Sanierungspaket zwischen Vorstand und Gewerkschaft scheint jedenfalls vergiftet.
Zurückhaltend reagierte hingegen die deutsche Kanzlerin auf die angekündigte Schließung. Angela Merkel erwarte, dass GM alles unternehme, um sozialverträgliche Lösungen zu finden, ließ Regierungssprecher Georg Streiter ausrichten. Doch Merkel signalisiert bereits, sich - im Gegensatz zu früheren Bemühungen - nicht für die Existenz des Werks einzusetzen. Opel und GM seien gefordert, ihren Kollegen Perspektiven aufzuzeigen, sagte Streiter. Kein Revival also von Grönemeyers Textzeile: "Bochum, ich häng’ an dir!"
Mit Opel verliert Bochum den größten industriellen Arbeitgeber der Stadt, das Fabriksgelände von 1,7 Millionen Quadratmetern droht zur Brachlandschaft zu verkommen. Bereits jetzt liegt die Arbeitslosenquote in Bochum deutlich höher als im Landesschnitt: Fast 18.000 Einwohner sind ohne Beschäftigung - knapp zehn Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: Lediglich 6,5 Prozent der Deutschen suchen einen Job, auch in Nordrhein-Westfalen - wo jeder fünfte Bürger Deutschlands lebt - liegt die Arbeitslosenquote mit knapp acht Prozent deutlich unter jener Bochums.
Es ist nicht der erste schwere Rückschlag für die strukturschwache Region. 2008 verlegte Nokia Produktion und Forschungsabteilung nach Rumänien, 4500 Stellen gingen damals verloren. Doch fällt mit dem Opel-Werk die erste Auto-Fertigungsstätte in Deutschland der Absatzkrise zum Opfer - Ende 2010 legte Opel die Produktion im belgischen Antwerpen still.
Während die deutschen Premiummarken BMW, Audi und Mercedes für 2012 Rekordabsätze vermelden, dümpelt Opel im Heimmarkt bei nur mehr 7,2 Prozent; vor 25 Jahren war es mehr als das Doppelte. Verfehlte Modellpolitik und sinkende Qualität der Fahrzeuge führten laut Experten zum Niedergang der Marke, an dem die Mutter GM nicht unbeteiligt war. Opel kämpft auch mit Konkurrenz aus dem eigenen Haus: Die GM-Billig-Marke Chevrolet gräbt dem Traditionshersteller in Europa das Wasser ab.
Setzt sich Opels Abstieg fort, müssen wohl noch mehr der zuletzt 37.500 Mitarbeiter in Europa um ihren Job bangen. Acht weitere Fertigungsstätten unterhält Opel in Deutschland, Großbritannien, Spanien, Polen und Ungarn.
Auch das Werk in Wien-Aspern spürt die Krise: 200.000 Motoren und Getriebe produziert man 2012 weniger als im Vorjahr. Kurzarbeit oder gar Entlassungen seien aber in Wien keine Themen, so eine Sprecherin zur "Wiener Zeitung".