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"N.N., ein Jahr alt, ertrunken auf dem Weg nach Lampedusa"

Von Martyna Czarnowska

Politik

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Die meisten bleiben ohne Namen. "N.N." steht dann auf der Liste, die United zusammengestellt hat, das "Europäische Netzwerk gegen Nationalismus, Rassismus, Faschismus und zur Unterstützung von Migranten und Flüchtlingen". Manchmal steht das Alter dabei: "N.N., ein Jahr alt, aus dem sub-saharischen Afrika, ertrunken, Boot sank auf dem Weg nach Lampedusa."

Oder: "Sardar Ayari, 25, männlich, aus Afghanistan, blinder Passagier, zermalmt zwischen zwei Lkw, als er in Patras (Griechenland) in einen der Lkw klettern wollte, der nach Italien fuhr."
Oder: "Tatiana Serykh, weiblich, aus Russland, Selbstmord, sprang mit ihrer Familie aus einer Wohnung im 15. Stock in Glasgow (Großbritannien), weil ihr Asylantrag abgelehnt worden war."

Es ist eine Todesliste, die das Netzwerk mit Hilfe verschiedener Quellen, wie Hilfsorganisationen oder auch Medienberichte, anführt. 15.181 Menschen sind darauf zu finden. Sie alle starben in den vergangenen 17 Jahren bei dem Versuch, in die Europäische Union zu gelangen - oder hier zu bleiben.

Massengrab Mittelmeer

Das sind nur die dokumentierten Fälle. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der Toten höher ein. Allein im Jahr 2006 seien auf dem Weg von Westafrika zu den Kanarischen Inseln an die 6000 Flüchtlinge ums Leben gekommen, gab Pro Asyl an. Auch das Mittelmeer ist zu einem Massengrab geworden. Und an der ukrainisch-slowakischen Grenze finden Grenzpolizisten, wenn der Schnee schmilzt, immer wieder Leichen von Menschen, die im Winter davor dort erfroren sind.

Unterdessen beraten die Europäer darüber, wie sie die Außengrenzen der EU dicht machen können, um illegale Einwanderung einzudämmen. Italien fühlt sich mit der Versorgung von 30.000 Flüchtlingen aus Nordafrika überfordert und streitet mit Frankreich darüber, ob es den Einwanderern eine Aufenthaltsgenehmigung erteilen darf oder nicht. Die EU-Staaten am Mittelmeer, wo viele Migranten landen, fordern mehr Solidarität von den anderen Mitgliedsländern ein. Es wird sogar erwogen, die Wiedereinführung der Grenzkontrollen innerhalb der Union zu erleichtern.

Klar haben die Europäer das Recht darauf, ihre Grenzen zu sichern, ihre Einwanderungspolitik selbst zu gestalten und Asyl lediglich jenen zu gewähren, die die Voraussetzungen dafür erfüllen. Nur: Sie schaffen es nicht. Gemeinsame Standards wollen die Mitgliedstaaten weder bei Asyl noch bei Immigration. Vielmehr ist jeder bestrebt, das eigene Land möglichst abzuschotten. Zu wenig wird bedacht, dass Asylmissbrauch auch durch mangelnde Migrationspolitik entsteht: Steht nur diese eine Möglichkeit offen, nach Europa zu gelangen, werden es auf diesem Weg ebenso jene versuchen, die nicht um ihr Leben fürchten, sondern sich ein besseres wünschen.

Wer ist zuständig?

Doch abgesehen von all dem könnte es sich Europa sehr wohl leisten, gestrandete Flüchtlinge zu versorgen, egal ob sie zu Recht um Asyl ansuchen oder aus wirtschaftlichem Elend heraus emigrieren. Aber stattdessen kann es vorkommen, dass, während Menschen auf Booten in Seenot geraten, die Länder darüber debattieren, wessen Küstenwache für die Rettung zuständig ist. Oder die Nato muss Vorwürfe zurückweisen, sie habe Flüchtlingen nicht geholfen. In der Zwischenzeit sterben weiter Menschen an den Grenzen zu Europa.