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Nobelpreis für die Wunder-Schere

Von Alexandra Grass

Wissen

Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna haben Crispr/Cas9 entdeckt und damit die Genetik einschneidend verändert.


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Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entdeckten das wohl schärfste allerdings wohl auch umstrittenste Werkzeug, das die Genetik jemals gesehen hat. Mit der Genschere Crispr/Cas9 lässt sich das Erbgut nicht nur durchtrennen, sondern auch verändern und damit der Code des Lebens neu schreiben. Für diese Entdeckung wurden die beiden Biochemikerinnen, die schon länger als Favoritinnen galten, am Mittwoch mit dem diesjährigen Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Forschern ist es heute möglich, die DNA von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen mit extrem hoher Präzision zu verändern. Mittels der Genschere können Gene an- oder ausgeschaltet und durch fremde Bestandteile ergänzt oder ersetzt werden. Mit dem Werkzeug lässt sich deutlich präziser arbeiten als mit klassischen Methoden der Gentechnik. Zudem ist sie einfach, schnell und preiswert.

Die Studie der beiden Forscherinnen mit einer Anleitung für diesen Schneidemechanismus war erst im Jahr 2012 im Fachblatt "Science" erschienen. Seit 2013 weiß man, dass Crispr/Cas9 auch beim Menschen funktioniert. Nur sieben Jahre später ernten die Forscherinnen nun den größten Preis der Wissenschaft.

Experimente in Wien

Die Genschere habe zu vielen wichtigen Entdeckungen in der Grundlagenforschung beigetragen, Forscher seien in der Lage, Nutzpflanzen zu entwickeln, die Schimmel, Schädlingen und Dürre widerstehen. In der Medizin würden klinische Versuche mit neuen Krebstherapien laufen und der Traum, Erbkrankheiten heilen zu können, stehe kurz vor seiner Erfüllung, hieß es in Stockholm. "Diese genetische Schere hat die Biowissenschaften in eine neue Epoche geführt und bringt in vielerlei Hinsicht den größten Nutzen für die Menschheit", verlautbarte das Nobelpreis-Komitee.

Wie so oft in der Wissenschaft war die Entdeckung dieses Werkzeugs unerwartet. Während Charpentier Studien zu Streptococcus pyogenes, einem für den Menschen besonders schädlichem Bakterium, durchführte, entdeckte sie ein bisher unbekanntes Molekül, das Crispr/Cas9 erst zum Leben erwecken konnte. Diese Bakterien schützen sich nämlich vor eindringenden Viren, indem sie Schnipsel aus deren Erbgut in ihre eigene DNA einbauen. Das Enzym Cas9 wiederum ist der schneidende Teil der Schere. Es zertrennt das Erbgut an der angesteuerten Stelle. In Zusammenarbeit mit Jennifer Doudna konnte bewiesen werden, dass ein kontrolliertes Trennen möglich ist.

Die 51-jährige Charpentier ist Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Von 2002 bis 2009 war sie an der Universität Wien beziehungsweise den Max F. Perutz Laboratories in Wien tätig, wo die entscheidenden Experimente zu dem neuen System stattgefunden haben. Aufgrund geringer Perspektiven und eines besseren Angebots der Universität Umea wechselte Charpentier 2009 nach Schweden. Die 56-jährige Doudna ist an der University of California in Berkeley tätig.

Dass der Preis heuer an zwei Frauen geht, wertet Charpentier, die sich, obwohl schon lange als Anwärterin gehandelt, in einer ersten Reaktion "überrascht" von dem "unrealen" Anruf zeigte, als hoffentlich "sehr starkes Signal" für junge Frauen. Es zeige, dass "Frauen in der Wissenschaft auch große Preise" bekommen können.

Die Technik ist umstritten und schürt auch Ängste. Einerseits könnte Crispr dazu beitragen, schwere Erbkrankheiten und Krebs zu heilen, andererseits gab es auch schon Versuche, menschliche Embryonen so zu verändern, dass schädliche Krankheiten direkt aus der Keimbahn eliminiert werden können.

Sorgfalt gefordert

Sie habe sich immer darum bemüht, Voraussetzungen zu schaffen, "um sinnvolle Genetik zu machen" und "Werkzeuge zu liefern, um menschliche Erkrankungen besser zu verstehen". Sie hoffe nun, dass die Genschere auch zur Krankheitsbekämpfung eingesetzt wird, betont Charpentier. "Ich hoffe, dass die Diskussion, die ich gestartet habe, in die richtige Richtung gehen wird, indem die Anwendungen limitiert werden", hatte die Forscherin auch schon im Jahr 2017 in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" betont.

Für den Vorsitzenden des Nobelkomitees für Chemie, Claes Gustafsson, bergen die Erkenntnisse "enorme Kraft, die wir aber auch mit großer Sorgfalt verwenden müssen".