In Peking dürfte Erleichterung herrschen. Kein chinesischer Dissident wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Ähnlich zufrieden könnte man in Moskau sein. Die Russin Lidija Jussupowa muss ihren Kampf für die Einhaltung der Menschenrechte in Tschetschenien ohne das Preisgeld von rund einer Million Euro weiter führen. Das Komitee hat mit Marti Ahtisaari einen Mann gewählt, dessen Vergangenheit wenig Anlass zu Kontroversen böte - wenn da der Kosovo nicht wäre. | Denn ein kleines Volk am Balkan protestiert heftig gegen die Preisvergabe. Immerhin hat der Finne als UNO-Vermittler den Plan einer "überwachten Unabhängigkeit" des Kosovo entwickelt, der im Februar auch tatsächlich zu einer Souveränitätserklärung der serbischen Provinz führte. Belgrad wehrt sich bis heute gegen diese Formel, die zuletzt sogar die Nachbarn Montenegro und Mazedonien - unter heftigem Protest der serbischen Volksgruppen in diesen Ländern - dazu brachte, den Staat Kosovo anzuerkennen.
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In diesem Fall hat sich Ahtisaaris noch 2001 ausgesprochene Warnung bestätigt, dass eine Kosovo-Unabhängigkeit das empfindliche Gleichgewicht auf dem Balkan gefährden würde. Die mittlerweile veränderten Kräfteverhältnisse in dieser Gegend mögen den Finnen, der dort schon seit den Neunzigern vermittelt hatte, zu seiner Haltungsänderung bewogen haben, als er im Vorjahr seinen Plan vorlegte. In der Zwischenzeit erlangte eine solche Lösung allerdings auch überregionale Bedeutung: Russland konnte sich auf diesen Präzedenzfall einer gestörten territorialen Integrität berufen, als es die abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und Süd-Ossetien einseitig anerkannte.
2006 wäre sein Ruf eines erfolgreichen Friedensstifters, vor allem in den Fällen von Namibia und der indonesischen Provinz Aceh, noch unbefleckter gewesen. Damals zeigte sich der oftmals nominierte Finne tief enttäuscht, dass ihm der aus Bangladesch stammende Wirtschaftsprofessor Mohammad Yunus vorgezogen wurde.
Die Auszeichnungen für Yunus oder den Klimakämpfer Al Gore haben gezeigt, dass für das norwegische Nobelpreiskomitee mittlerweile auch der Kampf gegen Armut oder für die Umwelt zu entscheidenden Faktoren der Friedenspolitik zählen. Mit Ahtisaaris Auszeichnung folgt man der älteren Tradition, Vermittlertätigkeit zu würdigen, wie dies schon dem Ex-US-Präsidenten Jimmy Carter im Jahr 2002 zuteil wurde, der ähnlich wie Ahtisaari ein Weltreisender in Sachen Versöhnungsbemühungen ist. Auch Kämpfer für Menschenrechte fanden sich ab und zu unter den Preisträgern, die aber selten aus mächtigen Nationen stammten, die so verärgert werden könnten. Man muss schon bis 1975 zurückgehen, um den sowjetischen Dissidenten Andrej Sacharow zu finden.
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