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Noch eine Chance für die Diplomatie

Von Henriette Löwisch

Politik

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Reisende Emissäre, Telefongespräche auf höchster Ebene und die erste Rohfassung einer UNO-Resolution: Seit dem NATO-Gipfel häufen sich von Bonn bis Moskau die Anzeichen, daß die Diplomatie im

Kosovo-Konflikt noch eine Chance bekommen soll. Die Bemühungen des Westens kreisen um Rußland, das den Schlüssel zum Frieden auf dem Balkan in der Hand halten könnte. Verliert der jugoslawische

Präsident Slobodan Milosevic den Kreml als Verbündeten, dann wäre es um seinen Machterhalt schlecht bestellt. Signale aus Belgrad deuten darauf hin, daß die Luft im eigenen Land für ihn schon dünner

geworden ist.

US-Vizeaußenminister Strobe Talbott sprach am Dienstag in Moskau mit dem russischen Sonderbeauftragten Viktor Tschernomyrdin · angeblich um zu sondieren, wie weit sich Milosevic den Forderungen der

NATO angenähert hat. Doch eigentlich ist in den westlichen Hauptstädten längst bekannt, daß es höchstens ein winziger Schritt war. Milosevic habe erstmals einer ausländischen Präsenz unter Hoheit der

UNO statt der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zugestimmt, hieß es am Rande des Washingtoner Gipfels. Tschernomyrdin habe dies überinterpretiert, weil er "UNO-Mission"

mit "militärischer Präsenz" gleichsetzte.

Daß Milosevic sich bewegt, scheint derzeit nur ein nachrangiges Anliegen der NATO zu sein. Viel wichtiger ist den westlichen Diplomaten, daß Rußland im Kosovo-Konflikt die Lager wechselt. Sie hoffen,

daß dies die Parameter der Auseinandersetzung entscheidend verschieben könnte. Stimmt Moskau erst einer UNO-Resolution über eine Schutztruppe für die Kosovo-Albaner und eine internationale Verwaltung

der Provinz zu, dann hätte die NATO eine viel bessere Legitimierung für ihr Handeln. Jugoslawien wiederum wäre dann international vollständig isoliert.

Die Vorarbeiten für eine Entschließung des UNO-Sicherheitsrates sind nach NATO-Angaben schon im Gange. Die Fäden laufen in Bonn zusammen, bei den Gesprächen zur Vorbereitung eines

Außenministertreffens der sieben führenden Industrienationen und Rußlands (G-8). Wochenlang hatten die USA gegen die Konferenz gemauert, weil sie keine echte Bewegung auf russischer Seite erkennen

konnten. Nun sehen sie offenbar Anlaß, ihren Widerstand aufzugeben, auch wenn das State Department voreiligen Jubel dämpft.

Dem jugoslawischen Präsidenten kann angesichts der westlichen Hoffnungen auf einen russischen Lagerwechsel nichts Gutes schwanen. Er müsse befürchten, von seiner Armeeführung oder von der

Nomenklatura in Stich gelassen zu werden, sobald die Russen nicht mehr auf seiner Seite stünden, hieß es auf dem NATO-Gipfel aus Delegationskreisen. Der jugoslawische Vize-Premier und frühere

Oppositionelle Vuk Draskovic sagte am Sonntag in einem Fernsehinterview, es sei falsch, den Massen vorzugaukeln, daß der große Bruder Rußland aufmarschieren und Serbien retten werde. Am nächsten Tag

behauptete er, dies sei auch Milosevics Meinung.

Nach britischer Darstellung hat der Belgrader Staatschef aus Furcht vor einer Revolte bereits führende Generäle festnehmen oder unter Hausarrest stellen lassen. Die Nachrichtenagentur Tanjug konterte

mit einer Botschaft von Heeresgeneral Dragoljub Ojdanic, der zum Kampf "bis zum Sieg" aufrief. Woher die NATO wissen will, daß Rußland Milosevic fallenlassen könnte, wird nicht verraten. Den engsten

Kontakt zum russischen Präsidenten Boris Jelzin scheint Altbundeskanzler Helmut Kohl zu haben, der vergangene Woche zwei Abende lang mit US-Präsident Bill Clinton im Weißen Haus zusammensaß.

Das neueste diplomatische Menuett hält die NATO nicht davon ab, an Szenarien für einen Einsatz von Bodentruppen im Kosovo zu basteln. Sie hofft zwar immer noch, daß der Luftkrieg ausreicht, um die

Belgrader Führung in die Knie zu zwingen. Diese Hoffnung beruhe jedoch auf der Prämisse, daß Milosevic Vernunft annehmen werde, bevor sein Land in Trümmern liege, sagte der scheidende Vorsitzende des

NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann. "Die Botschaft, die von der Entstaubung oder Überprüfung der Pläne vom vergangenen Jahr ausgehen sollte, lautet, daß wir bereit sind, dies bis zum Ende

durchzuziehen."