Schon bevor die ersten Bomben auf Bagdad fielen, wurde gegen einen US-Einsatz im Irak mit Hinweis auf das Debakel in Vietnam opponiert. Ende August hat sogar Präsident George W. Bush, der diesen Vergleich die längste Zeit abgelehnt hat, darauf Bezug genommen, um vor einem überstürzten Abzug aus dem Irak zu warnen - nach dem Abzug der Amerikaner aus Südvietnam seien Millionen Menschen umgekommen.
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Zuletzt wurden durch die Anhörungen des US-Generals David Petraeus Erinnerungen wach: Im Jahr 1967 hatte der Oberkommandierende William Westmoreland vor dem Kongress Fortschritte bei der Bekämpfung des Kommunismus in Südostasien verkündet - die Hoffnung zerstob wenig später in der Tet-Offensive des Vietcong.
Während in den USA heftig über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Kriegen diskutiert wird, wird eine weitere mögliche Parallele kaum beleuchtet: Die internationale Auswirkung des US-Engagements. Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger wurde Vietnam zum Katalysator für Protestbewegungen in allen westlichen Ländern. Ähnliches scheint sich nun anhand des Irak bei den Muslimen zu wiederholen, und zwar, weil diese ja nicht nur in islamischen Ländern zuhause sind, auch in Europa.
Einst sahen junge Menschen in Vietnam das Symbol dafür, dass autoritäre Systeme jede Spur von Auflehnung und den Wunsch zur Selbstbestimmung unterdrücken wollen. Heute dient der Irak-Krieg - und Nebenschauplätze wie Afghanistan, Nahost und der Iran - Muslimen in aller Welt als Beweis, dass der Westen den Islam als minderwertig und bekämpfenswert einstuft. Dabei werden die Gefühle der in der eigenen Heimat erlebten Deklassierung, von Fremdenfeindlichkeit bis zu mangelnder politischer und sozialer Gleichstellung, in die Ferne projiziert.
Anders als damals führt dies in Europa nicht zu Demonstrationen, sondern zu einer Haltung des Rückzugs und der Verweigerung. Aber wieder glaubt eine Minderheit, nur mit Gewalt und Drohungen etwas ändern zu können. Nach Anschlägen und Attentatsplänen in Großbritannien und jüngst in Deutschland hat nun auch Österreich seinen Fall von "gut integrierten" Muslimen der zweiten Generation, die sich an Al-Kaida ein Beispiel nehmen.
Natürlich hinkt der Vergleich zwischen Vietnam und Irak. Unberücksichtigt dabei bleiben etwa die deutlichen Unterschiede, was Religion und Ideologie betrifft, oder der Anschlag vom 11. September 2001. Aber in der psychologischen Kategorie der Frustration, die als Basis für die Gewalt dienen kann, lässt sich manche Parallele aufspüren. Ihr wird weder mit staatlichen Überreaktionen noch mit anderen Zeichen, die die Muslime als weitere Demütigung empfinden müssen - etwa dem Verbot von Moscheebauten -, beizukommen sein.