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Noch fünf Jahre Erdogan

Von Martyna Czarnowska

Politik

Die Bestätigung des türkischen Präsidenten für eine weitere Amtszeit nährt Sorgen um die Demokratie in dem Land.


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Nach den Politikern folgten die Fußballer. Nach dem Wahlsieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kamen Glückwünsche von Staats- und Regierungschefs aus allen Weltteilen - und unter den ersten Übermittlern war der russische Amtskollege Wladimir Putin. Den Gratulationen schlossen sich dann die drei Istanbuler Fußballklubs Galatasaray, Fenerbahce und Besiktas an. Die Superliga-Größen beglückwünschten auf ihren Internetseiten den Amtsinhaber, der am Sonntag mit knapp 52,2 Prozent der Stimmen die Stichwahl für sich entschied und Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu schlug.

Die Ära Erdogan findet also eine Fortsetzung. Zumindest weitere fünf Jahre wird Recep Tayyip Erdogan an der Staatsspitze der Türkei stehen und die Politik des Landes mit seinen rund 85 Millionen Einwohnern dominieren. Dieser hat er gemeinsam mit seiner islamisch-konservativen Partei AKP in gut 20 Jahren an der Macht einen tiefen Stempel aufgedrückt. Das Amt des Präsidenten wurde gestärkt, dessen Kompetenzen wurden auf Kosten des Parlaments erweitert. Zuvor aber wurden Wirtschaftsreformen angestoßen, Armut und Arbeitslosigkeit bekämpft, wurde die Annäherung an die Europäische Union vorangetrieben. Dass sich diese Beziehungen sowie die wirtschaftliche Lage in der Türkei mittlerweile deutlich verschlechtert haben, dass die Lebenskosten enorm gestiegen sind und Erdogan einen politisch zunehmen autoritären und gesellschaftlich konservativen Kurs fährt, hat gut die Hälfte seiner Landsleute nicht davon abgehalten, den Präsidenten zu bestätigen.

Kaum Hoffnung für Kurden

Für die andere Hälfte der Bevölkerung, die sich einen politischen Wechsel gewünscht hat, ist das keine gute Nachricht. Kilicdaroglu hatte eine Rückkehr zum Parlamentssystem versprochen und in der ersten Phase des Wahlkampfs versucht, unterschiedliche Kreise einzubinden. Er konnte auch die Unterstützung kurdischer Gruppen gewinnen. Kurden machen gut ein Fünftel der Bevölkerung aus und noch immer mühen sie sich um mehr politische und gesellschaftliche Teilhabe.

Sie können sich nun kaum Hoffnungen darauf machen, dass es bald neue Verhandlungen darüber geben wird. Die sogenannten Friedensgespräche sind schon vor Jahren im Sand verlaufen. Ebenso wenig können Tausende festgenommene Oppositionelle, Anwälte, Journalisten und Aktivisten erwarten, dass sie rasch aus dem Gefängnis entlassen werden. Einen prominenten Insassen hat Erdogan sogar in seiner Siegesrede erwähnt: Selahattin Demirtas. Den seit sechs Jahren inhaftierten kurdischen Politiker bezeichnete der Staatschef als "Terroristen", der sicher nicht freigelassen werde.

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Abgesehen davon beschwor Erdogan "Einheit und Solidarität". "Nicht nur wir haben gewonnen", rief er Tausenden jubelnden Anhängern vom Balkon des pompösen Präsidentenpalastes in Ankara zu, der hunderte Zimmer hat und Sonntagnacht in die Farben Rot und Gold getaucht war. "Gewonnen hat die Türkei, gewonnen hat unsere Demokratie", konstatierte das Staatsoberhaupt.

Das ziehen Kritiker Erdogans im In- und Ausland in Zweifel. Andererseits: Dass sich dies auf die internationalen Beziehungen stark auswirkt, ist nicht sehr wahrscheinlich. So wird die außenpolitische Ausrichtung wohl ähnlich wie bisher bleiben. Erdogan hat sich zwar etwas von der EU und den USA distanziert und mehr Russland sowie China zugewandt. Doch weiß er, dass die Türkei auf die transatlantische Zusammenarbeit angewiesen ist. Umgekehrt ist sie ein gewichtiger Nato-Partner, der gerne seinen geopolitischen Einfluss in der Region demonstrieren und sich etwa als Vermittler im Ukraine-Krieg positionieren möchte.

Diese Karte wird auch ausgespielt. So sperrt sich die Türkei gegen den Beitritt Schwedens zur Nato. Ob ein für "bald" angekündigtes Treffen der Außenminister beider Länder die Blockade lösen kann, wird sich weisen.

EU-Beitrittsgespräche stocken

Und die EU? Sie mag zwar die Einhaltung von Menschen- und Grundrechten einmahnen, doch scheint sie vor allem daran interessiert, dass Ankara den Migrationsdeal einhält. Den Pakt hat sie mit der Türkei geschlossen, damit diese Migranten von der Einreise nach Europa abhält. Dafür hat sie der EU-Anwärterin politische Zugeständnisse gemacht, auf deren Einhaltung Erdogan pochen wird.

Die EU-Beitrittsverhandlungen selbst stocken hingegen seit Jahren. Stattdessen wird immer wieder die Idee einer "Partnerschaft" lanciert, die die Mitgliedschaft ersetzen soll. Am Montag hat dies etwa der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber, erneut angesprochen.

In Österreich würde dies Unterstützung finden, spricht sich doch die Mehrheit der Bevölkerung regelmäßig gegen eine Aufnahme der Türkei in die Gemeinschaft auf. Ebenso regelmäßig flammt eine innenpolitische Debatte um Migration und Integration auf - so auch am Montag, nachdem in der Nacht zuvor der Sieg Erdogans auf Wiens Straßen lautstark gefeiert worden und die Polizei eingeschritten war. Immerhin hatten fast 74 Prozent der in Österreich lebenden Türken für den Amtsinhaber votiert.

Die Wiener FPÖ nahm die Kundgebungen prompt zum Anlass, ein "Kalifat" zu orten und Innenminister Gerhard Karner zum Rücktritt aufzufordern. Der reagierte damit, dass er sich bei seinen Beamten für ihr "umsichtiges Handeln" bedankte.