Versorgungsrouten unpassierbar - Preise steigen - USA üben sich in militärischer Zurückhaltung.
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Bagdad. "Amerikanische Truppen werden nicht in den Kampf im Irak zurückkehren." Damit erteilte Barack Obama nach einer langen Sitzung seines Sicherheitsrates der Anfrage der irakischen Regierung eine klare Absage. Premierminister Nuri al-Maliki hatte Washington gebeten, ihm beim Kampf gegen die islamistische Terrororganisation Isis zu helfen, die große Teile im Norden des Landes in einem Blitzkrieg unter ihre Kontrolle bringen konnte und jetzt die Hauptstadt Bagdad erobern will.
Die irakische Armee hatte zeitweise kampflos den Terroristen das Feld überlassen. Maliki will nun die Terroristen verstärkt aus der Luft angreifen und braucht dazu die Technologie und das Know-how der Amerikaner. Doch diese sind nicht bereit, sich auf eine Seite zu stellen und eine Luftwaffe der Schiiten gegen die sunnitische Bevölkerung zu unterstützen. Die USA hätten nicht die Fähigkeiten, um die Probleme des Landes durch die Entsendung von "zehntausenden Truppen" zu lösen, stellte Obama klar. "Letztlich ist dies etwas, dass die Iraker lösen müssen." Damit sprach er aus, was immer deutlicher zutage tritt: Die Eroberungen von Isis sind nicht das Machwerk von etwa 10.000 Kämpfern allein. Was im Irak derzeit geschieht, ist ein Aufstand der Sunniten gegen die schiitische Regierung.
Blamage für "neuen Diktator"
Allerdings will Washington 300 Militärberater nach Bagdad entsenden, die der irakischen Regierung strategische Hilfestellung geben können. Angesichts der Schwäche der irakischen Armee ist eine bessere Einsatzplanung dringend geboten. Einige Tage zuvor hatte Obama bereits erklärt, 275 Soldaten zur Verstärkung der US-Botschaft in Bagdad entsenden zu wollen. Teile des Personals dort wurden schon evakuiert. Die 300 zugesagten Militärberater dürften dem irakischen Premier zunächst einmal sauer aufgestoßen sein. Denn um diese Experten tobte 2010 ein heftiger Streit zwischen den USA und dem Irak. Washington hatte schon damals Bagdad angeboten, Militärberater und Ausbilder im Lande zu belassen, auch wenn das Gros der Truppen Ende 2011 aus dem Zweistromland abziehen werde. Bedingung war die Garantie der Immunität für die Soldaten, damit sie bei eventuellen Fehlleistungen nicht vor ein irakisches Gericht gestellt werden können.
Maliki wies dies kategorisch von sich. Als der letzte GI den Irak verließ, ordnete der Premier einen "Feiertag der nationalen Unabhängigkeit" an und begann fortan, die Nation zu spalten wie kein anderer vor ihm. Er diskriminierte die Sunniten, zerstritt sich mit den Kurden und stieß selbst seine schiitischen Koalitionspartner immer öfter vor den Kopf. "Der neue Diktator in Bagdad" nannte ihn der Schiitenführer Moktada al-Sadr, dessen Stimmen Maliki noch zu einer zweiten Amtszeit verhalfen.
Gemischte Gefühle
Die Entscheidung der Amerikaner, nicht direkt ins Kampfgeschehen eingreifen zu wollen, ist in Bagdad mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden. Einige sind froh, dass sie nicht zurückkommen, weil sie ursprünglich für das Chaos im Irak verantwortlich seien. Die Präsenz der US-Truppen hätten damals die Terrororganisationen wie Al-Kaida ja erst zum Kampf herausgefordert. Andere haben Angst, dass der Konflikt sich ohne die professionelle Unterstützung von Washington in die Länge ziehen werde und früher oder später auch Bagdad erreichen wird.
Indessen sind die Auswirkungen des Aufstandes bereits in der Hauptstadt angekommen. Alle importierten Lebensmittel erleben derzeit eine Preissteigerung ungekannten Ausmaßes. Da Irak selbst außer Öl so gut wie nichts produziert, betrifft dies alle Bereich des täglichen Bedarfs. Die Versorgungsrouten aus der Türkei und Jordanien sind so gut wie unbefahrbar. Die Provinz Ninewa an der Grenze zur Türkei und Anbar zu Jordanien sind in der Hand der Aufständischen. Noch ist kein Versorgungsnotstand zu verzeichnen, die Vorräte reichen noch. Dauern die Kämpfe jedoch an, wird es mittelfristig ein Problem für die sechs Millionen Bagdader geben.
Wird Treibstoff knapp?
Jetzt schon ein Problem sind die Auswirkungen der Raffinerie in Baiji. Oberhalb von Tikrit in der Provinz Salahuddin gelegen, wird seit Tagen erbittert um die größte Ölverarbeitungsanlage Iraks gekämpft. Mal melden die Rebellen die Einnahme der Raffinerie, mal meldet die irakische Armee deren Rückeroberung. Tatsache ist, dass die Werke abgeschaltet sind und kein Rohöl dort mehr verarbeitet wird. Dabei produziert Baiji gut ein Viertel aller für den Binnenmarkt benötigten Treibstoffe für Fahrzeuge, Kraftwerke, Generatoren, Petroleumlampen und Kochgeräte.
Schlangen an den Tankstellen sind schon jetzt zu sehen. Die Menschen horten, was sie können. Nur zu präsent ist die Erinnerung an die Jahre 2006/07 und 2008, als schon einmal ein Bürgerkrieg tobte und die Raffinerie Ziel heftiger Sabotageaktionen der damaligen Widerständler wurde. Arbeiter wurden entführt und umgebracht, wenn kein Lösegeld gezahlt wurde, Reparateure eingeschüchtert und bedroht. Monatelang stand die Raffinerie still - und in Bagdad ging das Licht aus.