Personaldecke der SPD ist hauchdünn. | Signal an linken Parteiflügel, dass man Koalition mit Union ernst nimmt. | Berlin. Die blitzartige Nominierung der SPD-Kabinettsmitglieder war ein doppeltes Signal Franz Münteferings - nach außen wie nach innen. Dem p.t. erstaunten Publikum signalisierte der SPD-Chef: Wir haben genügend gute, ministrable Leute! Damit wollte er dem Eindruck entgegentreten, dass Gerhard Schröder tatsächlich eine Lücke hinterlässt, wenn vielleicht auch nicht die, von der er geträumt hat: Der SPD fehlt es eklatant an Nachwuchstalenten, die "Personaldecke" ist hauchdünn. Und durch den Verlust so vieler Ländermehrheiten wird auch künftig wenig nachwachsen. Nur so kann Sigmar Gabriel mit seinen 46 Jahren noch als "Jungstar" durchgehen.
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Das zweite Signal, nach innen, vornehmlich an den linken Flügel der SPD gerichtet, lautet: Wir nehmen diese Koalition ernst, wir wollen eine Partnerschaft mit der so heftig bekämpften Merkel-Union!
"Wir sind wie Sprinter", meint ein SPD-Abgeordneter, "die rennen ja auch nach der Ziellinie noch weiter, bis sich die Muskeln langsam entspannen". Der Wahlkampf, für die SPD ein Überlebenskampf, war so heftig geführt worden, dass eine Koalition mit der Union jetzt manchem wie ein Pakt mit dem Teufel vorkommt.
Weichen stehen auf Pragmatismus
Während die Öffentlichkeit endlich Resultate sehen will, geht es der SPD-Linken viel zu schnell. Gestern noch eingeschworen gegen Merkel, morgen schon die Hand für sie gehoben? Müntefering hat allen Grund, kräftigst auf Gegenkurs zu steuern.
Wie dem auch sei: Die acht Fachressorts, die vom kleineren Koalitionspartner SPD zu besetzen sein werden, plus dem Amt des Vizekanzlers, haben Gesichter bekommen. Die rote Hälfte des Kabinetts steht. Und siehe da! Nicht immer will gut' Ding auch Weile haben: "Müntes List" wird von den Kommentatoren wohlwollend aufgenommen, ebenso vom künftigen Koalitionspartner Union. Nicht einmal die Opposition hat bisher daran herumgemäkelt. Einzig ein paar jüngere SPD-Abgeordnete und Vertreter des linken Flügels maunzen über den Liebesentzug.
Die personellen Weichen sind jedenfalls auf Pragmatismus gestellt. In den Schlüsselressorts sitzen allesamt nüchterne Macher und keine romantischen Ideologen. Die meisten Vorschusslorbeeren heimst Frank-Walter Steinmeier ein. Der 49-jährige Niedersachse zog bisher die Fäden als Kanzleramtsminister eher im Stillen. Nun soll er als erster SPD-Außenminister nach fast vier Jahrzehnten in die Fußstapfen Willy Brandts treten.
Der Spekulantenstadel kann sich nun mit voller Kraft auf die Union stürzen, die sich mit ihren Namen noch mindestens bis zum Montag Zeit lassen will. Hier geht es z.B. um die Frage, ob die CSU zwei oder drei Minister nach Berlin schicken will.
Einziger Haken an der SPD-Liste: Es steht noch nicht einmal fest, ob es überhaupt eine Große Koalition geben wird. Erst am kommenden Montag, dem 17. Oktober um 17 Uhr, werden je fünfzehn Unterhändler im Hauptquartier der SPD den Verhandlungsreigen eröffnen. Danach sollen die Gespräche abwechselnd in den Parteizentralen der CDU und der SPD stattfinden. In vier Wochen will man zu einem Ergebnis kommen, das in jeweiligen außerordentlichen Parteitagen (vermutlich ab 14. November) von der Basis bestätigt werden soll.
Frühestens Mitte November darf man also damit rechnen, dass Zuschnitt und Zusammensetzung eines Bundeskabinetts feststehen - einmal abgesehen vom Wesentlichen: Von den Leitlinien und dem Kurs der künftigen Bundesregierung.
Noch gehen die Kontrahenten schonungsvoll miteinander um. Was an Geplänkel zu vernehmen ist, kommt entweder von den Draußen-Gebliebenen, wie von Wolfgang Clement, dem Noch-Wirtschaftsminister, der sich über die Zerschneidung seines Ressorts ärgert, oder von Ideologen, die sich im Wahlkampf zu heiß geredet haben und noch nicht auf Arbeitstemperatur abgekühlt sind.
Reibungsflächen zeichnen sich ab
Erste Nagelprobe wird die Wahl des Bundestagspräsidenten am kommenden Dienstag sein. An der Breite der Zustimmung für den Unionskandidaten Norbert Lammert, 56, wird sich erweisen, wie sehr die SPD-Fraktion zur Fahne steht.
Dennoch zeichnen sich schwierige Reibungsflächen ab: Wird die Union von ihrer Forderung nach betrieblichen Bündnissen abrücken? Wird die SPD Vorschläge machen, wie man auch ohne Erhöhung der Mehrwertsteuer die Lohnnebenkosten senken kann? Werden die Großparteien die Kraft aufbringen, zwischen vier und sechs Milliarden Euro jährlich einzusparen, um die Maastrichter Stabilitätskriterien zu erreichen? Woher will man die Mittel für die höhere Forschungsförderung nehmen? Was geschieht mit Hartz IV und mit den Renten?
Beide Partner, SPD und Union, wissen: Sie sind zum Erfolg verdammt, denn die Alternativen wären noch schlimmer. Die SPD kann sich Neuwahlen im Augenblick nicht leisten, die Union müsste sich unter erheblich schlechteren Bedingungen um die Gunst einer - dann wesentlich "teureren" - FDP bemühen.
Der Opposition geht es im Moment nicht besser. Auch hier müssen die Rollen erst neu gelernt, die Karten neu verteilt werden. Die Grünen müssen jetzt einige Zeit stillhalten, um ihre Minister nicht zu kompromittieren. Mit dem Weggang Fischers fehlt ihnen zudem eine ihrer wichtigsten Galionsfiguren. Frau Künast ist - das hat sie schon im Berliner Landesparlament gezeigt - nicht die geborene Oppositionsführerin. Oskar Lafontaine freut sich immer noch, Schwarz-Gelb verhindert zu haben. Er sieht sich und seine Linkspartei als "antikapitalistischen Schutzwall". Allein durch das bloße Auftreten der Linken sei die SPD bereits gezwungen worden, sich gleichfalls nach links zu bewegen.
Die FDP, die eines ihrer besten Wahlergebnisse eingefahren und sich Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung gemacht hatte, muss auch erst ihre Sprache finden. Wenn dem Fraktionschef Wolfgang Gerhardt die Verhandlungen schon zu lange dauern, bevor sie überhaupt noch begonnen haben, wirkt das ein wenig ratlos. Die Argumentationslinie der FDP für die nächsten Jahre ist hingegen jetzt schon klar: In einer großen Koalition wird es keinen Politikwechsel geben, Reformen werden der Schwerfälligkeit der Koalition zum Opfer fallen und am Ende wird nur eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners herauskommen.