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Noch kein "goldenes Zeitalter" Großbritanniens

Von Alexander Dworzak

Politik
Die Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien empört nordirische Unionisten.
© reuters / Clodagh Kilcoyne

Boris Johnson versprach den Briten den großen Aufschwung mit dem Brexit. Sein Nachfolger erbt jedoch einige Probleme.


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Es war eine der Sternstunden der Amtszeit von Boris Johnson: 2019 brachte der britische Premier das Brexit-Gesetz durch das Unterhaus. Von einem "goldenen Zeitalter" sprach Johnson damals. Gut zweieinhalb Jahre später kündigte er am Donnerstag seinen Rücktritt an. Die Nachfolge des 58-Jährigen wird erst geregelt. Mit welchen Herausforderungen wird er oder sie konfrontiert sein?

Schlechte Wirtschaftslage

Spätestens wenn Politiker nicht durch Popularität Krisen übertünchen können, gilt Bill Clintons 30 Jahre alter Spruch: "It’s the economy, stupid!" Die britische Wirtschaft erlebte in den vergangenen Jahren eine Berg- und Talfahrt: Im ersten Covid-Jahr, 2020, brach sie um fast zehn Prozent ein. 2021 folgte ein Plus um 7,5 Prozent. Für heuer musste die Prognose auf knapp vier Prozent korrigiert werden, für 2023 wird das niedrigste Wachstum aller G7-Industrienationen vorausgesagt. Gleichzeitig erreichte die Inflation ein 40-Jahres-Hoch, im Mai betrug die Teuerung 9,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Bis auf 11 Prozent könnte die Inflation bis Oktober noch steigen, erklärt die britische Notenbank.

Dazu sind infolge der multiplen Krisen die Staatsausgaben seit 2020 auf über 1.000 Milliarden Pfund pro Jahr angewachsen, 2019 waren es noch 863 Milliarden Pfund. Die Bank of England warnt vor einer lang anhaltenden Wirtschaftskrise.

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Während Löhne und Gehälter real sinken, wird der Frust in der Bevölkerung größer. Im Juni startete der größte Bahnstreik seit drei Jahrzehnten. Auch Lehrer und Ärzte könnten in den Ausstand treten, die Rede ist bereits von einem "Sommer der Unzufriedenheit" in Anlehnung an den "Winter der Unzufriedenheit" 1978/79. Damals streikten sogar Friedhofsmitarbeiter gegen die linke Regierung, die versuchte, die Inflation mit Sparmaßnahmen einzudämmen.

Folgen des EU-Austritts

Großbritanniens wirtschaftliche Probleme rühren auch durch den Brexit. Das bekamen die Bürger im vergangenen September zu spüren, als sie vor leeren Supermarkt-Regalen standen und sich lange Autoschlangen vor Tankstellen bildeten, weil Treibstoff knapp war. Bemerkbar machte sich damals, dass 100.000 Lkw-Fahrer fehlten. Zurückzuführen war dies auch auf Covid-Ausfälle, die strengeren Einwanderungsregeln spielten aber ebenfalls eine Rolle.

Seit Anfang 2021 ist Großbritannien nicht mehr Mitglied von EU-Binnenmarkt und Zollunion. Das führte zu "signifikant höheren Kosten für Verwaltung, Logistik, Zölle, Finanzierung und IT-Anpassungen bei gleichzeitig gesunkenen Umsatzerlösen", zeigt ein Bericht der Wirtschaftsprüfungskanzlei KPMG und der Britischen Handelskammer in Deutschland. So führte die Exportnation Deutschland seit 2015 um 27 Prozent weniger nach Großbritannien aus, weltweit wurde hingegen ein Plus von 15 Prozent verzeichnet.

Spannungen in Nordirland

Großer politischer Verlierer des Brexit waren jene, die am loyalsten zu London stehen: die nordirischen Protestanten. Die EU machte klar, dass sie auch nach dem Brexit keine Rückkehr zu physischen Grenzanlagen zwischen ihrem Mitglied Irland und Nordirland akzeptieren wird. Also musste Johnson zugestehen, dass Nordirland weiterhin den EU-Regeln von Binnenmarkt und Zollunion folgt. Das bedeutet Zollkontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien. Damit zog sich der Premier den Zorn der Loyalisten zu. Im vergangenen Jahr - dem 100. Jahrestag der Gründung Nordirlands - kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen vorwiegend protestantischer Jugendlicher.

Johnson versuchte, den Loyalisten entgegenzukommen, indem er von der EU Änderungen am Nordirland-Protokoll verlangte. Die Regierung in London veröffentlichte einen Gesetzesentwurf, wonach unter anderem britische Händler von der EU-Zollanmeldung befreit werden sollen, wenn sie Waren nach Nordirland liefern. Dieser einseitige und rechtswidrige Bruch des Abkommens ist für die EU ebenso inakzeptabel wie für Irland - und die Mehrheit der nordirischen Abgeordneten.

Seit der Wahl im Mai ist erstmals die republikanisch-katholische Sinn Fein stärkste Kraft im Belfaster Parlament. Das entspricht dem langfristigen demografischen Trend, wonach Katholiken Protestanten als größte Konfessionsgruppe ablösen. Dabei bestand der Zweck in der Gründung Nordirlands, eine protestantische Bevölkerungsmehrheit zu sichern. Trotz Karfreitagsabkommen 1998 herrscht Sorge vor neuen Gewaltausbrüchen. Längerfristig wird sich Johnsons Nachfolge mit der Frage nach der Wiedervereinigung Irlands beschäftigen.

Globaler Anspruch

Neben den Republikanern in Nordirland treibt die schottische Regionalregierung die Loslösung von London voran. Das Vereinigte Königreich könnte zu einer Union zwischen England und Wales schrumpfen. Zugleich hat bereits Johnsons Vorgängerin Teresa May den Leitspruch "Global Britain" ausgerufen: Befreit aus den "Fesseln" der EU soll das Vereinigte Königreich - Atommacht und ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat - seine eigenständige Führungsrolle demonstrieren.

Große Bedeutung kommt dabei den globalen Handelsbeziehungen zu. Mit Kanada, Japan oder Südkorea wurden neue Abkommen unterzeichnet, bis zum Ende dieses Jahres sollen die Verhandlungen mit Indien abgeschlossen sein. Auch der Beitritt zur Trans-Pazifischen Partnerschaft steht auf der Agenda, der unter anderem Mexiko, Vietnam und Australien angehören. Dieser Abschluss würde einen großen Erfolg bedeuten, deckt der Raum doch 30 Prozent der britischen Exporte ab.

Stark forciert hat Großbritannien seine politische Präsenz im indopazifischen Raum. Johnson trat als Kritiker Chinas auf, so auch bei der Demontage der Demokratiebewegung in Hongkong. Die Handelsbeziehungen zur Volksrepublik sollen dennoch nicht leiden. Ein schwieriger Spagat, auch für Johnsons Nachfolger.