Sollte Ungarns Grenzzaun eines Tages halten, gibt es alternative Wege für die Flüchtlinge.
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Budapest. Ursprünglich wollte sich Ungarns Regierung mit dem Bau des 175 Kilometer langen und vier Meter hohen Zauns an der Grenze zu Serbien bis Ende des Jahres Zeit lassen. Dann konnte es Premier Viktor Orbán nicht schnell genug gehen: Die Armee wurde mobilisiert, Gefängnisinsassen und Langzeitarbeitslose. Sie mussten Stacheldrahtrollen schleppen, Zufahrten ebnen und Pfähle einstampfen. Doch spätestens als Anfang dieser Woche täglich tausende Flüchtlinge auf der Westbalkanroute über Mazedonien und Serbien in Ungarn ankamen, erwies sich Orbáns Zaun als Flop. An zahlreichen Stellen ist der Stacheldraht durchschnitten, beseitigt, oder er wird mithilfe einer Decke so angehoben, dass Menschen darunter durchkriechen können. Die Schutzsuchenden können die Sperranlage auch vermeiden, indem sie entlang der Bahngleise über die Grenze laufen - unter den Blicken der überforderten ungarischen Polizisten.
Nun soll eine 2000 Mann zählende Spezialeinheit ins Leben gerufen werden, die den Zaun bewacht. Damit greift Orbán einen Vorschlag der rechtsextremen Partei Jobbik auf. Menschenrechtsorganisationen bestreiten sowohl die Legalität als auch die Effizienz einer solchen Maßnahme. Doch angenommen, Ungarn gelänge es, seine südliche Grenze dichtzumachen: Wie würden dann die Alternativrouten der Flüchtlinge aussehen?
Die Balkanroute ist in letzter Zeit immer populärer geworden. Zwei Millionen Flüchtlinge befinden sich derzeit alleine in der Türkei. Nach und nach werden sich (große) Teile von ihnen auf den Weg Richtung Westen machen, wohl bevorzugt über die Balkanroute. Zwei EU-Staaten, nämlich Griechenland und Bulgarien, grenzen an die Türkei. Im Moment ist die Fahrt über Griechenland attraktiver, weil es offiziell von der Dublin-Regelung, wonach ein Asylantrag in jenem EU-Land gestellt werden muss, das ein Flüchtling als erstes betritt, ausgenommen ist: In diesem Fall riskieren die Asylsuchenden also nicht, später, etwa von den österreichischen Behörden, nach Griechenland zurückgeschickt zu werden.
Bis vor kurzem sah sich auch Bulgarien mit einer massiven Flüchtlingswelle konfrontiert: Zwar findet dort die Dublin-Regelung theoretisch Anwendung, aber das bergige Grenzgebiet und die Mittellosigkeit des Staates machen das Auffangen aller Einreisenden nahezu unmöglich. Hinzu kommt, dass das Land nach wie vor bei weitem nicht über die erforderlichen Unterkunftskapazitäten verfügt, weshalb manche EU-Länder Abschiebungen nach Bulgarien offiziell oder inoffiziell vermeiden.
Ausweichroute über die rumänische Grenze
Von Griechenland oder Bulgarien aus bieten sich Mazedonien und Serbien als nächste Transitländer an. Beide sind noch keine EU-Mitglieder, also nicht Teil des Dublin-Abkommens, und liegen auf dem Weg nach Mitteleuropa. Doch dann kommt die ungarische Grenze. Falls diese irgendwann tatsächlich unpassierbar wird, müssten die Flüchtlinge von der bisherigen Route abweichen.
Kroatien wäre dann die wahrscheinlichste Alternative, weil von dort Autobahnen nach Graz, Salzburg oder München führen - allerdings nicht direkt, sondern nur über Slowenien. Die politische Geografie erweist sich hier als ein größeres Hindernis als Orbáns Zaun, denn Kroatien ist zwar EU-Mitglied, aber noch nicht im Schengen-Raum. Für die Flüchtlinge bedeutet dies, dass sie die bewachte kroatisch-slowenische Grenze passieren müssen. Ihnen droht also die doppelte Dublin-Abschiebungsgefahr: zuerst in Kroatien, dann in Slowenien, falls die Polizei sie in einem dieser zwei Länder auffängt.
Eine weitere Alternative wäre ein Umweg durch Rumänien: Das serbische Subotica, der letzte Ort vor der ungarischen Grenze, liegt unweit des Dreiländerecks. Rumänischen Medien zufolge gibt es bereits erste Anzeichen, dass manche Asylsuchende das Ende des Zauns suchen, ein paar hundert Meter über das rumänische Staatsgebiet laufen, um dann schnell auf die andere Seite der Sperranlage nach Ungarn zu gelangen. Zwar drohte Budapest mit einer Ausdehnung des Zauns entlang der rumänischen Grenze, doch diese befindet sich innerhalb der EU und ein solcher Schritt würde einer völligen Abschottung Ungarns in der Union gleichkommen.