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Noch schnell ein Haus abreißen

Von Nina Kreuzinger

Politik
Das Haus in der Heigerleinstraße gehört auch zu den "Last-Minute-Abrissen", bevor die neue Bauordnung gültig ist.
© Kreuzinger

Ab 1. Juli gelten strengere Regeln für die Schleifung von Häusern. Bis dahin fahren noch die Bagger auf.


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Wien. Ab 1. Juli 2018 gelten neue Spielregeln beim Abriss von alten Häusern. Denn ab dann braucht es eine Genehmigung. Die entsprechende Novelle wurde am Donnerstag im Gemeinderat beschlossen. Deswegen werden in ganz Wien derzeit "Last-Minute-Abrisse" durchgepeitscht. Ein aktuelles Beispiel in Wien-Ottakring zeigt System und Mechanismen.

Das Spiel mit der Zeit beginnt am Abend des 6. Juni mit einem Medienbericht: Bereits mit Anfang Juli sollen neue Regelungen in Kraft treten für historische Häuser, die in keiner Schutzzone stehen und bislang jederzeit von ihren Eigentümern ohne Genehmigung abgerissen werden konnten. Ein wichtiger Hinweis vor allem für jene Immobilienentwickler, die bereits fertige Pläne für ein Neubauprojekt in der Lade hüten. Sie kommen unter Zugzwang.

150 Meter neben Schutzzone

So auch die neuen Eigentümer eines Hauses in der Heigerleinstraße in Ottakring, nur knapp 150 Meter von einem bestehenden Schutzzonengebiet entfernt. Es ist ein stattlicher, warmgelber Jugendstilbau aus dem Jahr 1906, der größte im Gründerzeit-Ensemble und harmonischen Hinterhof-Gefüge. Im Innenhoftrakt war bis vor kurzem eine Glaserei untergebracht. An einen Abriss hätte keiner der Anrainer jemals gedacht.

In Gefahr brachten das Haus eigentlich Stadt und Bezirk bereits im Jahr 2014: Die MA21 (Stadtplanung) änderte anlässlich eines nahe gelegenen Großprojekts die Flächennutzungs- und Bebauungspläne für das Grätzl.

Ab jetzt durfte auch auf den anderen Grundstücken höher gebaut werden. Obwohl nur 2,36 Prozent des Hausbestands in Ottakring geschützt sind und die drei bestehenden Schutzzonen alle in den 90er Jahren gewidmet wurden, beantragte der Bauausschuss des Bezirks keine Erweiterung der Schutzzonen, um historische Häuser zu bewahren. So gerieten diese unter wirtschaftlichen Druck. Denn für Immobilieninvestoren sind ausgedehnte Neubauten ohne Mietzins-Deckelung das bessere Geschäft.

Der Glasereibetrieb schloss 2015. Die Liegenschaft mit dem in der Architekturliteratur vermerkten Jugendstilbau wurde verkauft. Seine Zukunft blieb bis zuletzt ungewiss. Die letzten Mieter verließen im Sommer 2017 das Haus.

Auf nachträgliche Anfrage seitens der Bezirksvorstehung bei der MA19 (Stadtgestaltung und Architektur) stellt sich heraus, dass die Heigerleinstraße schützenswert gewesen wäre. Im April wurde in der Bezirksvertretungssitzung ein Schutzzonen-Antrag von Rot-Grün für die Heigerleinstraße einstimmig angenommen.

Flugblatt über Abrisspläne

Doch dann geht es Schlag auf Schlag: Am Donnerstag, 7. Juni, werden Tatsachen geschaffen. Ein Flugblatt kündigt den Anrainern erstmalig die Abrisspläne für Ende Juni und ein folgendes Neubauprojekt an. Am Montag folgen schon die Terminvorgaben für die Beweissicherung in den Nachbarhäusern. Denn mit Rissen und Schäden in den Anrainerwohnungen ist zu rechnen, heißt es. Am schwarzen Brett hängt plötzlich die Einladung zur Bauverhandlung Anfang Juli wegen des geplanten Neubaus aus. In den mit Dezember 2017 datierten Plänen, die bei der Baupolizei (MA37) aufliegen, präsentiert sich ein nutzflächenoptimiertes Wohnhaus: vier Stöcke, zwei Dachgeschoße, 49 Wohnungen, Tiefgarage und im Innenhof ein Beherbergungsbetrieb zur kurzfristigen Vermietung. Eigentlich überprüft die MA19 Neubauprojekte aus stadtgestalterischer Sicht. Informationen, wie etwa das geplante Projekt in der Heigerleinstraße bewertet wird, gibt es aber nicht.

Die Eigentümerfirma stellt sich bei der Recherche als undurchschaubares Konstrukt heraus. Folgt man im öffentlich abrufbaren Firmenverzeichnis den Pfaden zu den Namen von Geschäftsführern und Gesellschaftern, zeigen sich einflussreiche Verbindungen im Hintergrund. Etwa zu Unternehmern, Anwälten und mächtigen Bauunternehmern, bis hin zur Stadt Wien.

Die Geschehnisse der folgenden Tage sind dann für Beobachter nur schwer nachvollziehbar. Eine Serie von Manövern mit und gegen die aktuellen Gesetzesbestimmungen und Verantwortlichkeiten, die auf verschiedene Magistrate verteilt sind: Ab 11. Juni starten Arbeiten zur Abtragung der Substanz im Inneren des Hauses. Eine Woche später steht die Abbruchfirma vor der Tür. Die Beweissicherung in den Nachbarhäusern ist noch nicht abgeschlossen. Alles im gesetzlichen Rahmen, heißt es auf Anfrage bei der Baupolizei.

Am 21. Juni wird der erste Bagger angeliefert. Absperrgitter, Hinweistafeln und Verkehrsschilder seitens der MA46 (Verkehrsorganisation und technische Verkehrsangelegenheiten) sind nicht vorhanden. Der Abbruch des Hauses erfolgt von innen nach außen, also von der Straßenseite für Passanten kaum bemerkbar.

Keine Baustellenschilder

Außen bewacht eine Männergruppe dauerhaft das Haus, Mitarbeiter der Abbruchfirma. Straßenraum für die Arbeiten wird mithilfe von alten Autoreifen auf Parkplätzen freigehalten. Am selben Tag verschärft sich die Lage. Über einen weiteren Medienbericht wird bekannt, dass auch für laufende Abrisse ab 1. Juli eine Bewilligung notwendig sein wird - sofern das Gebäude im Wesentlichen noch zu erhalten ist.

Tags darauf wird weiter abgerissen. Arbeiter beginnen die Fassade zu demolieren. Nach wie vor ist kein Hinweis auf eine offizielle Baustelle vorhanden. Der 24-Stunden-Permanenzdienst der Magistratsdirektion im Rathaus ist nicht erreichbar. Am Samstag wird ein Absperrgitter mit größerem Radius aufgebaut, Arbeiten im straßenseitigen Dachbereich beginnen. Der Leiter der Abbruchfirma sagt, seitens der Magistrate sei alles geklärt. Schließlich stellt sich heraus, dass von der MA37 eine Sondergenehmigung erteilt wurde, wegen "Gefahr in Verzug". Der Abriss von innen nach außen hatte das Gebäude instabil gemacht.

Die Frage, wie es so weit kommen konnte, ohne Schutzmaßnahmen auf dem öffentlichen Raum, bleibt offen. Per Telefonnachfrage will der zuständige Beamte des Permanenzdienstes im Rathaus seinen Namen nicht nennen. Jetzt darf jedenfalls weitergemacht werden. Die gefährlichen Abrissarbeiten dauern bis in die Dunkelheit, bis knapp 22 Uhr. Auf ihrer Facebook-Seite postet die Abbruchfirma Bilder von frisch demolierten Häusern. "Veni vidi vici", heißt es triumphal in den Kommentaren.

Es ist ein weiteres Gebäude, das der aktuellen Abrissoffensive anheimgefallen ist. Am 1. Juli wird das Haus so gut wie verschwunden sein. Im besten Fall ein "Bauernopfer" auf dem Weg hin zu einem bewussteren Umgang mit der Wiener Baukultur.

Die Autorin ist Anrainerin des beschriebenen Objekts.